Urbaner Häuserkampf – das Flex und die Sperrstunde
Genug, es reicht! Schon lange genug müssen wir ertragen, wie bei den ausgelassensten Partys, den besten DJs und am Höhepunkt der schönsten Räusche im Flex um vier Uhr das Licht angeht. Einfach so. Einfach so? Ein Rückblick mit Ausblick.
Rückblick
Es ist der 19.5.2008. Anlässlich der wöchentlich stattfindenden Drum’n’Bass-Partyreihe „Beat It“ pilgere ich mit schwerem Gepäck Richtung Flex am Wiener Donaukanal. Mission: Das letzte DJ-Set des Abends bestreiten. Wie immer freue ich mich darauf, in diesem speziellen Club aufzulegen. Im Flex gibt’s keine „fuck up‘s“, keine schlecht besuchten Partys, vor allem nicht am Donnerstag. Wenn dort wenig los ist, freut man sich über mehr Platz.
Gutgelaunt also geht’s die Stiegen der Augartenbrücke runter, das obligate Dealer-Gesindel routiniert ignorierend. Schon seit längerem mehren sich in diesen Wochen die Gestalten, die einem vor dem Flex-Besuch in Frischhaltefolie eingepacktes Klopapier verkaufen wollen, das sie angeblich mal im Arsch hatten. An selbigem gehen mir diese Gestalten auch vorbei, anderen wiederum nicht. Doch darüber später mehr. Noch weiß ich nicht, was mich erwartet. Zwar hat man sich auf der Straße schon Dinge wie „Oida, im Flex geht jetzt scho um hoib vier s’Licht aun!“ ins Ohr getuschelt, doch ich schenke in meiner grenzenlosen Naivität solchen offensichtlichen Räuberpistolen kaum Beachtung. Flex um vier zu? Lächerlich!
Willkommen in der Realität
So, Zeit wird’s für mich. Um halb drei begebe ich mich auf die Bühne und sehe ein gut gefülltes Flex. Die Party ist ausgelassen. Das Publikum ist gut drauf, die First-Row-Fanatics skandieren „Vuuuuigas!“ Alles wie gewohnt soweit… Doch der Schein trügt. Um halb vier – quasi mitten in der Party – kommt ein Security und verkündet, dass das meine letzte Nummer sei und das Licht gleich angehe. In der Euphorie des Auflegens tue ich diese Botschaft vorerst als schlechten Scherz ab und krame weiter emsig in meiner Plattentasche. Security sieht’s und macht mir klar: „Kein Scherz.“ Licht an. WHAT THE FUCK? Nicht nur mir geht’s so, das ganze Flex wirkt wie paralysiert. Die tatsächlich letzte Nummer läuft Richtung Endlosrille –Logistics‘ „Cocoon“. Dann Stille und Knacksen der Plattennadel. Die erste Reihe wird aktiv, beginnt zu schreien. Schreie, jetzt auch von hinten. Hilfe! In meiner Hilflosigkeit versuche ich meine beste „ich will doch eh noch spielen!“-Pose hinzubekommen. Murrend bewegt sich der Mob langsam Richtung Garderobe und Ausgang, niemand will so recht begreifen, was gerade passiert ist. Dass da gerade das Flex um halb vier das Licht angemacht hat. Der beste Club Österreichs, mit dem besten Soundsystem von hier bis Berghain.
Fragen…
Mittlerweile ist ein Jahr vergangen, wir wissen jetzt mehr darüber. Aber irgendwie auch nicht. Es gibt politische Motivation gleichermaßen wie persönliche. Die Fronten in diesem urbanen Häuserkampf sind für die Gäste und Künstler des Flex unklar – will jetzt die Stenzel einen Pelztierladen aus der Bude machen? Oder ist es doch dieser ominöse Anwalt, der nur seinen Sohn vor dem sicheren Drogentod bewahren will? Oder will gar die Polizei ihre Kampftauchereinheit am Donaukanal stationieren? Und: Verkauft Tom Eller im Flex Drogen?
…und Antworten
Der ominöse Anwalt ist Mag. Dr. Johann Etienne Korab, seines Zeichens Rechtsanwalt „aus einer alt-österreichischen Juristenfamilie, die seit mehr als 200 Jahren kontinuierlich Juristen hervorgebracht hat.“ (Homepage Kanzlei Korab) Er arbeitet laut einer Presseaussendung des Vorjahres, verfasst von Flex-Geschäftsführer Tom Eller, „an seinem Projekt, das Flex zu schließen. Mit beinahe biblischem Hass versucht er, Druck auf die Gemeinde Wien auszuüben, unseren Mietvertrag zu kündigen. Seine angebliche Motivation: seinem Sohn wurden bei der U-Station Schottenring Drogen angeboten (…).“
Mittlerweile paktiert jener Dr. Korab mit ÖVP-Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel. In einem Artikel der Tageszeitung „Österreich“ vom 4.12.2008 erklärt die ehemalige ORF-Anchorlady: „(Korab leitet Schritte ein), weil das gesamte Flex illegal ist. Da gibt es keine Baugenehmigungen oder sonst etwas, was rechtens ist.‘ Harter Tobak. Fest steht jedenfalls, dass das Flex im Gegensatz zu Kommerzbuden wie dem Praterdome oder der Nachtschicht eine Barkonzession besitzt. Und Bars dürfen in Wien nur bis vier Uhr offen haben. Das bedeutet, dass das Flex beim zuständigen Polizeirevier Deutschmeisterplatz um Sperrstundenverlängerung ansuchen muss. Diese Sondergenehmigung wurde dem Lokal aber in den 15 Jahren seines Bestehens nun schon mehrfach verweigert. Tom Eller erklärt in einem Interview mit der OKTO-Sendung „frei:h stunde“: „Die letzte Begründung argumentierte die Dienststelle damit, dass von Jänner bis September 2008 über 600 Straftaten im Bereich der Augartenbrücke verübt worden sind. Außerdem hätten wir die Sperrstunde schon einmal überzogen.“
Flex = Drogen?
Dass das Flex schon mal länger als bis vier Uhr offen hatte, wissen wir. Was hat es aber mit den 600 Straftaten auf sich? Den vielzitierten „Drogensupermarkt“ und die
damit verbundene Begleitkriminalität vor und um das Flex gibt es seit drei Jahren in dieser Intensität. Vor ungefähr drei Jahren wurde der nahe gelegene Schwedenplatz und dessen Drogenszene einer „Aktion Scharf“ unterzogen. Die Dealer mussten sich also einen neuen, ebenfalls frequentierten Platz suchen, um ihrem illegalen Geschäft nachzugehen. Also vors Flex. „Die Dealer würden auch vor jeder Oberstufenschule oder der Hauptuni stehen und verkaufen wollen, aber da dürfen sie nicht, weil die Polizei dort viel strikter vorgeht. Zu uns kommen aber dieselben Leute – da ist es plötzlich wurscht! Das Flex ist ja das Flex. Aber das kann man nicht so einfach trennen.“ meint Eller zur anfänglichen Untätigkeit der Polizei.
„Da müsste ja jedes Lokal zusperren“
Die „Abteilung zur Bekämpfung der Straßenkriminalität“ hat mittlerweile aufgeräumt und die Szene von der Augartenbrücke vertrieben. Mit dieser Abteilung arbeitet das Flex zusammen, das seit der Eskalation der Situation mit allen Mitteln versucht hat, die Polizei zum Handeln zu bewegen und gegen die Dealer vorzugehen. Die lange Untätigkeit nach außen begründet die Kripo mit zeitintensiver Beobachtung der Situation und dem häufigen Operieren in Zivil. „Außerdem bekommt keiner mit, wenn von 15 Dealern bei der Stiege vier festgenommen werden.“ meint Wolfgang Preiszler, stellvertretender Leiter des Wiener Kriminalamts, ebenfalls im Gespräch mit „frei:h stunde“ Er ergänzt: „Das Flex ist mit seinen leistungsstarken Securities und der rigiden Vorgehensweise bei Drogenkonsum im Lokal sogar vorbildhaft. (…) Eines weiß ich sicher: Das Flex ist sicher nicht die Ursache für irgendeine Drogenproblematik in diesem Bereich. Da müsste ja jedes Lokal im Umkreis von 400m zusperren.“Probleme gibt es also nicht mit der Kripo, sondern mit
uniformierten Beamten des Kommissariats Deutschmeisterplatz. Eller analysiert: „Das sind sicher nicht alle, aber innerhalb dieses Beamtenapparats gibt es eine ganz klare Flex-Feindschaft. Auch die Polizei ist politisch eingefärbt, und das sind eben die Strache-Jünger, die bei der blauen Gewerkschaft sind.“ Nicht sehr weit hergeholt, wenn man bedenkt, dass die umgehende Reaktion auf die Flex-Presseaussendung von der „AUF“ kam, der „Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher im öffentlichen Dienst“, gezeichnet vom FPÖ-Nationalratsabgeordneten Norbert Werner.Die Kripo wiederum hat vor zwei Monaten auf einer Pressekonferenz verkündet, dass die „Operation Leopold“, die sich auch mit der Szene beim Flex befasste, nach drei Jahren und der Verhaftung von 145 Dealern abgeschlossen sei. Die Situation sollte sich also beruhigt haben, die Szene geht wieder wo anders hin und wir können wieder bis sechs Uhr feiern. Weit gefehlt. Jetzt kommt wieder Anwalt Korab ins Spiel, der „Flex-Stalker“ (Eller): Durch seine zahlreichen Anzeigen gegen das Flex und den damit verbundenen Revisionsverfahren gibt es derzeit keine Aussicht auf Sperrstundenstreckung. Die laufenden Anzeigen sind auch der Grund der Handlungsunfähigkeit der Gemeinde Wien, die laut Geschäftsführer Eller weiterhin uneingeschränkt hinter dem Flex steht.
Ausblick
Im Moment wirkt es wie die Ruhe vor dem Sturm: Die Revisionsverfahren werden bald zu einem Ende kommen, die Unterschriftenaktion zur Sperrstundenverlängerung kratzt an der 20.000er Schallmauer. Bald wird es Entscheidungen geben müssen, in welche Richtung auch immer. Die Flex-Gästeschar kommt nach über einem Jahr der Repressionen immer noch erstaunlich zahlreich, man hat sich mit der Situation vorübergehend abgefunden. Trotzdem kann das kein Dauerzustand sein, denn das Flex gehört zu Wien wie Länderspielniederlagen im Happel-Stadion. Ich jedenfalls freue mich immer noch auf DJ-Sets im Flex. Der letzte Tune des Abends hat mittlerweile Tradition, es ist Benny Page’s „Turn down the Lights“, ich hoffe, ich kann ihn bald zu Hause lassen… Volume fordert: „Flex bis sechs für alle!“
FLEX BOX:
Im Oktober als Punkrock-Schuppen im 12. Wiener Gemeindebezirk gegründet, zieht das Flex 1995 begleitet von Bürgerprotesten in den ersten Wiener Gemeindebezirk an den Donaukanal. Seit Beginn steht das Flex für gelebte Clubkultur, abseits von Charts und Kommerz: Von Techno- über Drum´n´ Bass bis hin zu Indie-Rock wird alles und mehr gespielt. Vor allem die elektronische Fraktion liebt das Flex für seon massives Soundsystem, das wohl mitverantwortlich war für die starke Entwicklung von Basslastigen Genres in Wien.