Faul vs. Fleißig

Supernackt #55

Zweiundsechzig von uns Superreichen besitzen so viel Vermögen, wie die ärmere Hälfte von euch armen Schluckern. Klingt eigentlich gar nicht so viel. Drei Milliarden mal Null ergibt immer noch Null. Trotzdem wird attestiert: Die Kluft zwischen arm und reich, also zwischen faul und fleißig, wird immer größer. Eine Ansichts- und Charaktersache.

Einblicke in die Gedankenwelt der Reichen und Geföhnten

Sind wir wirklich so fleißig? Klar, während wir Goldbarren jonglieren und das Gewicht der Welt auf unseren Schultern balancieren, probieren andernorts 60 Nackerte verzweifelt eine Reisschale zu tragen. Und ernsthaft: Ihr dürft Fleiß nicht mit körperlicher Arbeit gleichsetzen. Hackeln sollen die anderen. Außerdem wird es sich bald Ausgehackelt haben. Die Automatisierung der Arbeitsprozesse, der Fortschritt in der Robotik und die rasante Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz werden jeden ineffizienten, unzuverlässigen Handgriff menschlichen Ursprungs in Kürze abgelöst haben.

So gesehen wird es mittelfristig auch unnötig sein, fleißig das eigene Gehirn zu trainieren. Konzepte, in denen in Zukunft primär gigantische, selbstlernende Serverfarmen von Quantencomputern zum Denken angedacht sind, brauchen kein universales Bildungssystem für Freigeister. Viel mehr ein Ausbildungssystem, darauf ausgelegt, euch zu wirtschaftstauglichen, rentablen Arbeitsdrohnen zu programmieren. Um jene Arbeiten zu vollbringen, die von den Robotern noch nicht kostendeckend erbracht werden können. Sinnvoll ist nur, fleißig nach Lücken im System zu suchen, im Gesetzes-, im Wirtschafts-, im Vermögensbereich, egal. Einmal erkannt, gehören sie erbarmungslos ausgenützt. Am effektivsten auf globaler Ebene, um Geld, Ressourcen und Arbeitskraft längst möglich, mit höchstmöglicher Auslastung zum bestmöglichen Preis für sich arbeiten zu lassen. Egal in welcher Konstellation, egal für welches Projekt, die einzige Bewertung liegt im kurzfristigen Gewinn. Fleißig ist, wer mehr hat.
Geld. Nichts und niemanden wertend, aber stets bewertet werdend. Niemandem verpflichtet, schafft Geld verbindlich Pflichten. Nur sich selbst gesellig, nur bei sich selbst vorstellig. Selbst ohne Gewissen, macht es gewissenlos. Risiko und Folgekosten werden von der Gemeinschaft getragen. Warum auch nicht: Wenn ein fauler, arbeitsloser Alkoholiker vom Staat erhalten wird, dann muss ein fleißig arbeitender Banker um so mehr vom Staat erhalten werden. Fleißig ist, wer mehr von allem hat. Fleißtreibend daher auch die Aufgabe, sich in wohlhabende Dynastien einzuheiraten. Ein lohnendes, aber kein leichtes Unterfangen, nachdem wir – in tiefstem Inzest verbunden – unsere verzogenen Prinzessinen und Prinzen in bewachten Wohngegenden, gut abgesicherten Bunkervillen und elitären Schulen abschotten und nur Kontakt auf gleicher Kontoebene zulassen. Wer es schafft, sich ein neues Leben zuzulegen, hineinzuschleimen und uns ohne Ehevertrag zu ficken, hat die Lücke in unserem System gefunden. Fleißaufgabe bestanden. Wir sind so fleißig.
ILLUSTRATION: KRISTOF TARISZNYAS