What’s the story Morning Glory?

Samstags im Club. Du bist betrunken, benebelt, enthusiastisch und horny. Gehst mit einem wildfremden Menschen nach Hause, wirst intim und ihr wacht verschwitzt, verschmiert und mit zärtlichem Mundgeruch nebeneinander wieder auf. Der Morgen danach – Grauen oder Idyll? Kommt ganz darauf an…

SOPHIA

Zumeist merken wir ja schon in der Nacht, wie der nächste Morgen verlaufen wird. Entweder das Gegenüber flüchtet vor Morgengrauen, weil mit sinkendem Alkoholpegel die Erinnerungen an den zuhause wartenden Lebenspartner zurückkehren oder die Drogen hören auf zu wirken und es fühlt sich plötzlich alles nur noch halb so sexy an.

Anderenfalls schläft man nach dem Koitus meist erschöpft neben- , auf- oder ineinander ein. Falls der Akt nicht mehr vollzogen werden kann (Suff), ist es bei gegenseitiger Sympathie durchaus von Vorteil gleich einen Nachholtermin für den nächsten Tag zu vereinbaren. Damit gleich alles klar geregelt ist.

Als Frau empfiehlt es sich, sobald du wach bist, erst einmal ins Bad zu taumeln und die Reste des Make Up‘s so umzustrukturieren, dass du halbwegs frisch aussiehst. Von gänzlichem Abschminken ist dringend abzuraten – das machts in jedem Fall schlimmer. Gegen den fiesen Mundgeruch hilft nur Zähneputzen, befindest du dich in einem fremden Bad, kannst du mit Hilfe deiner Finger und etwas Zahnpasta ähnliche Resultate erzielen. Vielleicht zuvor noch mit der Innenseite eines Kleidungsstück den schlimmsten Belag von den Beisserchen rubbeln. Ist es die eigene Wohnung, solltest du dem Aufriss einen Apfel reichen oder besser noch, selbst einen verzehren und ihn dann spielerisch abbeißen lassen. Ist er nicht ganz doof, nutzt er die erfrischende Gelegenheit, denn das erneute Küssen macht danach gleich wieder viel mehr Spaß.

Der ideale Morgen danach gestaltet sich aus erneutem Sex, der meistens viel besser ist als der in der Nacht, interessanten Gesprächen und gegenseitiger Sympathie, die von einer gemeinsamen Tasse Kaffee in der Badewanne über ein opulentes Frühstück manchmal sogar bis zum Abendessen reichen kann. Ob es ein einmaliges Vergnügen bleibt, oder daraus eine heiße Affäre oder eine gemeinsame Zukunft wird – alles ist offen.

Ein beschissener Morgen danach dagegen geht so: Ein überheblicher Typ, mit dem du eigentlich nie mitgehen wolltest, hat es schließlich geschafft, dich in seine versiffte Wohnung zu schleifen, wo er dich egoistisch durchvögelt und dann auch noch das Kondom reißt. Am nächsten Morgen weckt er dich mit den Worten: “Also, ich muss in ner halben Stunde los, bis dahin musst du verschwunden sein, aber magst du mir nicht noch schnell einen blasen?“ Während du ungläubig blickend und mit einem Riesenschädel deine zerrissene Unterhose findest, checkt er auf Facebook schon die Nachrichten von anderen Chicas und postet ein schmieriges Foto von dir, das er heimlich gemacht hat. Du baust dich vor ihm auf und brüllst ihm in sein dreckiges Angesicht: “Sag mal, hat dir deine Mutter keine Manieren beigebracht? Du bringst mich jetzt gefälligst zur Tür und erklärst mir haargenau wie ich zur nächsten U-Bahn Haltestelle komme!“ Verdutzt folgt er deinen Anweisungen. Als du dir bei deinem Frauenarzt die Pille danach holst, wird dir noch mitgeteilt, dass du dir eine Infektion eingefangen hast. Gratulation. Danke.

Zum Glück überwiegen die guten Morgen danach, sonst hätte ich wohl schon ernsthaft erwogen, ins Kloster zu gehen… Nee, nur ein Witz. Aber manche Männer haben uns Frauen wirklich nicht verdient. 


 

BENNY

Immer wieder höre ich Horrorgeschichten vom „Morgen danach“. Man wacht in einer fremden Wohnung auf, an den Wänden hängen Pferdeposter, der eigene Kopf droht zu explodieren und neben einem liegt ein Exemplar der Gattung Mensch, das diese Bezeichnung neu definiert. Im negativen Sinn. Und man fragt sich: Wo bin ich, was mache ich hier, wie komme ich wieder weg und WAS IST PASSIERT? Trotz regelmäßigen Alkoholkonsums bin ich selbst aber noch nie in eine derartige Situation geraten und der klassische „Walk of Shame“ blieb mir bisher erspart. Was nicht heißen soll, dass ich nicht auch mit einer passenden Geschichte aufwarten kann:

 

Spätestens als er im Taxi zu mir nach Hause von seinen strenggläubigen jüdischen Eltern erzählt, bei denen er mit seinen fünfundzwanzig Jahren immer noch ungeoutet im Kinderzimmer wohnt, hätten bei mir die Alarmglocken schrillen sollen. „Egal“, denke ich. Ich bin besoffen, er sieht ganz süß aus und irgendwie hat es auch sowas wie den Reiz des Verbotenen. Ein spießiger jüdischer Theologiestudent. Fast schon exotisch! Das gibt bestimmt genug Gesprächsstoff für mindestens zwei Flaschen Wein mit meinen Freundinnen. Die Nacht selbst ist enttäuschend unspektakulär. Ein wenig unbeholfener, schüchterner Kuschelsex – mehr war nicht drin.

 

Ein paar Stunden später werde ich durch ein Flüstern geweckt: „Es ist so schön mit dir! Ich liebe dich!“ Schlagartig werde ich wach und der letzte Rest Betrunkenheit entschwindet, ich denke „Oh Scheiße!“, blicke in seine erwartungsvollen Augen und sage: „Oh, Scheiße!“ Wie ein angeschossenes Reh starrt er mich an, beginnt fast zu weinen. „Ähm, ich meine: Ich muss mal kurz aufs Klo.“ Etwas Besseres fällt mir in diesem Augenblick nicht ein.

 

Verwirrt und – ich gebe zu, ich bin ein schlechter Mensch – auch ein bisschen angeekelt stürme ich ins Zimmer meiner Mitbewohnerin und besten Freundin und lasse den armen Jungen nackt und alleine in meinem Bett zurück. Carinas Reaktion auf meine Beichte fällt erwartet herzlos aus: „Selbst schuld. Alle beide.“ Ja, ich weiß. Aber was soll ich tun? Jetzt ist es auch schon zuspät. Ich beschließe, das Beste aus der Situation zu machen und sie einfach zu ignorieren. Verdrängung und Ignoranz gehörten schon immer zu meinen Stärken. Also lege ich mich zu Carina auf die Couch und wir sehen ein bisschen fern, erfreuen uns an den Resten des gestrigen Mittagessens und vergessen den liebeskranken Casanova, der im Nebenzimmer wohl immer noch sehnsüchtig auf meine Wiederkehr wartet. Oder? Auf einmal hören wir ein uns unbekanntes, lautes Geräusch. Fast wie… „Er bringt uns um, Carina! Er hat eine Motorsäge!“ Heldenhaft bringe ich mich hinter meiner Freundin in Deckung. „Benny? Ich glaube… er saugt Staub!“ „Was? Wir haben einen Staubsauger?“

 

Tatsächlich wäre es eine Untertreibung, würde ich sagen, dass mich der Anblick, der sich mir bietet, als ich vorsichtig meine Zimmertür öffne, schlicht überrumpelt. Meine Bücher, CDs und Klamotten, die jahrelang verstreut auf dem Boden lagen, mein gut durchdachtes systematisches Chaos – alles hin! Sogar meine dreckigen Socken, die unter dem Bett ein eigens Leben geführt haben – zusammengelegt und farblich geordnet! Mit einem strahlenden Lächeln kommt mir mein Fehler von letzter Nacht entgegen, den Staubsauger in der einen Hand, einen halbleeren schimmelnden Joghurtbecher in der anderen. „Guten Morgen mein Schatz! Ich dachte, ich mache dir eine Freude, wenn ich es uns beiden hier ein bisschen gemütlicher mache!“

 

Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das ein guter oder ein schlechter Morgen danach war. Aber so viel ist sicher: die Wohnung war noch nie so sauber!