WG des Grauens
Die Wohnsituation ist für Studierende ein relativ vielschichtiger Themenkomplex. Eine eigene Wohnung ohne nervenden Anhang fällt zumeist in die Kategorie: unbezahlbar. Hotel Eltern hat zwar generell gute Konditionen und ein annehmbares Service, aber die Hausordnung ist nicht immer dem Alter entsprechend. Bleiben als Rückzugsort noch Studentenheime und Wohngemeinschaften. Welches Risiko WGs mit sich bringen, zeigen zwei ehrliche Erfahrungsberichte auf.
Der ganz normale Wohnsinn
von Sophia
Momentan bin ich auf Wohnungssuche. Ich suche nach einer schönen 1-2-Zimmer-Wohnung, bezahlbar und in Wunschlage. Gar nicht so leicht was Passendes zu finden. Ab und zu fragt mich jemand: Wieso ziehst zu nicht in eine WG? Und dann sage ich: Ich habe zehn Jahre in WGs gewohnt, ich habe echt genug davon, ich könnte ein Buch darüber schreiben… für den Anfang reicht aber eine Kolumne.
Als ich langsam nestflüchtig wurde, so mit 17-18 Jahren, zog ich vorübergehend zu einer Freundin. In ihr Zimmer. Wir teilten uns ein Bett und hatten eine Menge Spaß, außer wenn ihre Mitbewohnerin, eine temperamentvolle Italienerin mit großen Brüsten und Hang zu knappen Outfits, mal wieder besonders laute Sex-Geräusche von sich gab. Und so lernte ich:
Lektion 1: In WGs hat man nur eine sehr eingeschränkte Privatsphäre und kann davon ausgehen, dass einen jeder Mitbewohner schon einmal beim Ficken gehört hat.
Als ich mit der Schule fertig war, zog ich in ein 1-Zimmer-Appartement, konnte die neugewonnene Freiheit aber nicht so richtig genießen, zu groß war die Einsamkeit. Nach zwei Jahren beschloss ich mir eine WG zu suchen, das war soo viel cooler!
Damals ist gerade „Die fabelhafte Welt der Amélie“ im Kino gelaufen und ich griff die Idee mit den Passfotos auf, welche die Protagonistin verwendet hat, um den Liebsten zu finden. 4 Passfotos auf denen ich mich hinter Schildern verschanzte, auf denen jeweils was anderes stand: „Ich“, „Suche“, „WG“ und „Telefonnummer“. Kopien davon hängte ich an allen Zigarettenautomaten der Straßen auf, in denen ich wohnen wollte. So würde ich Nichtraucher-Mitbewohner von vorn herein ausschließen. Die dubiosesten Menschen riefen an, sprachen mir auf den Anrufbeantworter, Jungs die ein Date wollten, einer der wollte, dass ich für ihn putze (nackt), kurz: jeglicher Mist. Ein Typ klang allerdings viel versprechend, 2er-WG, Innenstadt-Lage, ich ging hin, wir waren uns sympathisch, ich zog ein. Ich ahnte nicht was mich erwartete. Nach außen hin schien alles gut, ich hatte das Studium geschmissen und begann gerade eine Friseurlehre, nebenher schrieb ich Gedichte, machte Party bis zum Umfallen und spielte in experimentellen Theaterstücken obskure Rollen.
Er war Aufnahmeleiter bei einer bekannten Daily Soap, lässig und Kiffer.
Ich wusste nicht, dass er wegen Drogendealens schon im Knast gesessen hatte, auf Bewährung war und immer noch fröhlich dealte (das Versteck war unser gemeinsames Kellerabteil und manchmal auch mein CD-Regal). Außerdem war er ein Großmeister im Scheiße-Bauen. Und ich kannte noch nicht seinen fragwürdigen Freundeskreis, den ich mal so grob der Münchner Gangsta-Rap-Szene zugeordnet hätte.
Auf jeden Fall fing es damit an, dass sich seine männlichen Gäste gerne mal nachts zugeballert zu mir ins Bett legten, entweder weil sie nicht wussten wohin oder einfach mal schauen wollten „ob da was geht“. Falls ich grad niemanden rausschmeißen musste, dann lag morgens, wenn ich es eilig hatte, jemand in der Badewanne. Kam ich Samstag nachmittags aus der Arbeit, natürlich fix und foxi, weil ich die Nacht davor mal wieder nicht geschlafen hatte, so war in der heimischen Küche After-Show-Party angesagt, auf dem Küchentisch lagen ein paar Lines Koks und einmal musste ich eine vollkommen zugedrogte Porno-Darstellerin trösten, die ihren Moralischen hatte und mir kreischend erzählte, dass ihr Freund sie zu diesen Filmchen zwingen würde…
Etwa 1 Jahr habe ich in diesem Irrenhaus durchgehalten, hier einige Höhepunkte kurz zusammengefasst:
- Minderjährige Serien-Statistinnen, die voll auf Speed die ganze Wohnung auf Hochglanz polierten.
- Eine Wohnungsparty, bei der einer meiner Gäste von einem seiner Gäste mit einem Klappmesser massiv bedroht wurde.
- eine Silvesterparty, die trotz meiner Abwesenheit auch in meinem Zimmer steigt und Zerstörung und Diebstahl mit sich bringt.
Äußerst wütend schrieb ich eine Hass-Ode an meinen Mitbewohner und machte mich zu einem Poetry-Slam auf. Während meines Vortrags riss ich mir theatralisch die Jacke vom Leib und trug darunter ein Shirt, auf dem stand: SUCHE WG-ZIMMER! W und G hatte ich genau auf die Brüste gemalt. Was soll ich sagen, an diesem Abend fand ich eine neue Bleibe, gemeinsam mit 3 Jungs, „alles wird gut“ dachte ich. Von wegen.
Hier herrschte Zucht und Ordnung mit Struktur! Es gab einen Putzplan, eine Badewanne in der Küche und einen Feuermelder, der schon bei angebranntem Toast zu heulen begann, aber so hoch aufgehängt war, dass nur die großen Männer auf großen Stühlen stehend fähig waren, ihn abzustellen. Auf dem Klo gab es FHM-Kalender und natürlich wurde im Stehen gepinkelt. Alles ging soweit gut und besonders der Sportstudenten-Mitbewohner war bei meinen Freundinnen sehr beliebt, oft versuchten sie den Moment abzupassen, wenn er, nur mit einem kleinen Handtuch bekleidet aus der Küche/Bad kam und seinen Adoniskörper samt Waschbrettbauch auf dem langen Flur spazieren führte.
Im Jahrhundertsommer 2003 hatte ich ein paar stressige Wochen mit Liebeswirrungen, ich schupfte trotzdem im Alleingang meine Gesellenprüfung (mein Ausbilder hatte sich 2 Wochen vorher mit der Kundenkartei aus dem Staub gemacht), doch an eines hatte ich nicht gedacht: Den Putzplan einzuhalten! So wurde eine WG-Sitzung anberaumt, mit ernsten Gesichtern eröffneten mir die Jungs, wie enttäuscht sie wären und dass ich das nur schwerlich wieder gutmachen könnte. Ich habe wie eine minderjährige Serien-Statistin voll auf Speed geputzt und die Wogen haben sich wieder geglättet.
Ein halbes Jahr später lief der Mietvertrag aus, ich zog nach Wien und das Haus wurde abgerissen. Dort teilte ich mir eine Wohnung mit einer schrillen Schauspielerin, die später eine Comedy-Karriere beim ORF machte und immer ihren Hund zuhause ließ, der daraufhin alles zerbiss, was ihm zwischen die Zähne kam. Die Dame hatte einen Freund, der sie gerne so lautstark beschimpfte (vielleicht mochte sie das?), dass mir Hören und Sehen verging. Da wir einen Staffelmietvertrag hatten, hielt es mich dort auch kaum ein Jahr. Es folgten weitere Wohngemeinschaften, unter anderem mit einem Ex-Gspusi, der sich als totaler Sozial-Psycho entpuppte und mich nach einem halben Jahr wieder auf die Straße setzte, unter anderem weil ich sauer war, dass er immer heimlich meine Kosmetikprodukte mitbenutzte. Auch in den letzten Jahren kamen noch einige tragikkomische Anekdötchen hinzu, ich fasse einfach mal zusammen:
Lektion 2: Ziehe niemals mit jemandem zusammen mit dem du intim bist/warst, außer ihr seid ein Paar oder es ist bereits verjährt!
Lektion 3: Dinge, die dir wichtig sind wie Spezial-Schokolade oder andere Suchtmittel, solltest du immer versteckt in deinem eigenen Zimmer horten!
Lektion 4: Ziehe nur mit Männern zusammen, die es nicht als Kastrationsversuch betrachten, wenn man sie bittet im Sitzen zu pinkeln!
Lektion 5: 10 Jahre WGs reichen für ein Leben!
Rouge Noir am Badezimmerspiegel
von Benjamin
Nach jahrelangen Diskussionen hatten meine Eltern endlich Erbarmen (oder auch einfach nur keine Energie mehr) und gestatteten mir, die große weite Welt zu erkunden. Was für mich damals bedeutete: Wien! Einzige Bedingung: ich sollte einen Job finden und mir mein Leben selbst finanzieren. Kein Problem! Nach nur drei Tagen Internetrecherche und einem kurzen Telefonat hatte ich eine Lehrstelle in einer Buchhandlung für Schwule und Lesben. Dass es sich dabei im Grunde mehr oder weniger um einen Pornoladen handelte, in dem ich aufgrund meiner Minderjährigkeit eigentlich noch gar nicht arbeiten durfte, interessierte weder mich noch meine damaligen Vorgesetzten. Dazu aber vielleicht ein anderes Mal mehr.
Das Thema heute lautet ja: Wohngemeinschaften und Mitbewohner. In den paar Jahren, die ich in Wien gelebt habe, bin ich von WG zu WG gezogen und kein einziges Mal hatte ich das Glück (oder Pech?) auf „normale“ Mitbewohner zu treffen. Die erste Wohnung, die ich bezog, teilte ich mir mit einem schwulen Theologiestudenten, dessen beiden Katzen Noah und Moses und einer beachtlichen Pornosammlung, die hinter dem Fernseher im gemeinsamen Wohnzimmer „versteckt“ gehalten wurde. Anfangs fand ich die regelmäßigen Clubtreffen der „SchwuLesBischen Theologen“ inklusive lautstarken Debatten über die Rolle des Homosexuellen in Kirche und Gesellschaft noch ziemlich amüsant. Spätestens nach dem Vorwurf, ich wäre der Antichrist und würde durch meinen Pornoverkäuferjob das Bild der Homos ins falsche Licht rücken und eigentlich sollte man einen Exorzismus an mir durchführen, fasste ich den Entschluss, eine neue Bleibe zu finden.
Glücklicherweise hatte ich drei Wochen zuvor in einer Bar einen attraktiven jungen Mann kennen gelernt, mit dem ich mich sowohl körperlich als auch menschlich gut verstand und er bot mir sogleich an, doch übergangsweise bei ihm zu logieren. Wir teilten also ein paar Wochen lang Wohnung und Bett und es lief überraschend gut. Ich war kurz davor, mich ernsthaft zu verlieben und malte mir schon eine gemeinsame Zukunft mit Haus am Land, zwei Katzen und einer antichristlichen Pornosammlung hinter dem Fernseher aus, während ich das Abendessen zubereitend in der Küche stand und auf die Heimkehr meines Göttergatten in spe wartete, als dieser plötzlich wutschnaubend vor mir stand und mich des Ehebruchs bezichtigte – mit meiner besten Freundin! Zuerst hielt ich das ja noch für einen unglücklichen Scherz, bis ich das Buttermesser mit dem pinken Kunststoffgriff in seiner zitternden Hand bemerkte, mit dem er in Angriffsposition auf mich zielte. Zu einer körperlich-gewalttätigen Auseinandersetzung kam es nie. Zu einem lautstarken Streit jedoch sehr wohl, in dessen Verlauf Tränen flossen, mit Geschirr geworfen und anschließend direkt auf dem dreckigen Küchenboden Versöhnung gefeiert wurde. Es war ein paar Stunden und Runden später, als wir erschöpft in Löffelchenstellung im Bett lagen, er mir zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich und liebevoll flüsterte: „Wenn du mich noch einmal betrügst, dann bringe ich dich um!“, bevor er einschlief und mir lautstark ins Ohr schnarchte. Geschockt stand ich auf, als ich mir sicher war, dass sich der gute Herr tief im Land der Träume befand, schlich mich ins Wohnzimmer, wählte panisch die Nummer meiner Freundin – mit der ich ja angeblich eine heiße Affäre am Laufen hatte – und flehte sie an, mich sofort hier rauszuholen. Sie versprach, in 20 Minuten da zu sein und in Windeseile packte ich alle meine Besitztümer, die ich schnell fassen konnte in Ermangelung eines Koffers (der unter dem Bett lag und ich hatte nicht die Absicht, schlafende Hunde zu wecken) in Plastiksäcke und wollte gerade die Wohnungstür ein letztes Mal hinter mir ins Schloss fallen lassen, als meine dramatische Ader mit mir durchging und ich noch einmal schnell ins Badezimmer lief, um mit meinem Lieblingslippenstift, Chanels Rouge Noir, ganz groß „Christian, ich bin weg! ♥“ an den Spiegel zu schreiben, bevor ich heulend, mit zwei großen Mülltüten bepackt, auf die Straße lief und in das bereitstehende Taxi sprang, in dem schon meine allerbeste Freundin auf mich wartete.
Die nächsten drei Jahre lebte ich in unzähligen verschiedenen Wohngemeinschaften, mit unzähligen verschiedenen Leuten zusammen. Nirgendwo hielt es mich jedoch länger als ein paar Monate. Weder in der Transen-WG, in der ich jeden Morgen zweieinhalb Stunden früher aufstehen musste, um ins Badezimmer zu kommen, noch in der Zweihundert-Quadratmeter-Luxuswohnung einer guten Freundin, deren Mutter einen unnatürlichen Zwang zur Natürlichkeit und einen Hang zur Freikörperkultur hatte und ihren wild bewachsenen Unterleib gerne zu Schau stellte – selbst wenn ich Gäste hatte. Dann war da noch das entzückende Floridsdorfer Mädchen, das ich über einen gemeinsamen Bekannten kennengelernt hatte und das sich sein Geld durch ein privates Piercingstudio im Esszimmer verdiente. Wer Interesse an einem gepiercten Bauchnabel um nur 10 Euro hat, kann sich natürlich bei mir melden, ich leite gerne den Kontakt weiter. Für eventuelle Blutvergiftungen und dergleichen wird allerdings keine Haftung übernommen. Und nicht zuletzt Susanne, die Kunststudentin. Hochintelligent, sehr talentiert und immer ein Bier in der Hand. Nämlich wirklich IMMER. Aufstehen um 15 Uhr, Gang zum Kühlschrank, erstes Bier. Danach folgten fünfzehn bis fünfundzwanzig weitere, während sie der ganzen Welt von ihrem verstorbenen Großvater, der schon mit Pocahontas und Mussolini Tee getrunken hatte und außerdem der Erfinder von Sauerstoff und genoppten Kondomen gewesen zu sein schien, erzählte. Obwohl ich sie recht gern hatte, war ich dann doch ein bisschen erleichtert, dem biergetränkten Irrsinn zu entkommen (ich hatte das Gefühl – langsam aber doch – wie sie zu werden), als ich die Aufnahmeprüfung an der Budapester Mode-Uni bestand. Das traf sich sogar doppelt gut, da meine Oma in Budapest seit dem Tod ihres Mannes vor ein paar Jahren immer verwirrter wurde und meine Familie auf der Suche nach jemandem war, der sich ein bisschen um sie kümmerte und ich so die Chance auf eine günstige Wohnmöglichkeit in bester Innenstadtlage hatte. Versteht mich jetzt bitte nicht falsch – ich liebe meine Oma sehr! Wenn ich jedoch gewusst hätte, dass sie jeden zweiten Tag vergisst, wer ich bin und einen halben Herzinfarkt erleidet, wenn sie diesen „fremden seltsamen Mann“ in ihrer Wohnung sieht, dann hätte ich mir wohl doch eher ein Zimmer in einem Studentenwohnheim genommen. Nichtsdestotrotz kümmere ich mich natürlich rührend um sie und ihren geliebten Hund, der mir erst gestern wieder in meine Gucci Sneakers gepisst hat. Ich bin sicher, er meint es als Zeichen der Zuneigung. Worin ich mir noch sicher bin: WGs sind eine tolle Erfahrung, man lernt die Menschheit und das Leben kennen, aber für die Ewigkeit sind sie nichts. Nächstes Mal ohne Mitbewohner.