Online-Dating
fusssklave123 sucht Frau/Mann fürs Leben
„Wir haben uns im Internet kennengelernt, jetzt haben wir ein Eigenheim und zwei entzückende Bälger!“ hört man es mittlerweile immer öfter aus der Wickelstube schallen. Es ist anscheinend vollkommen normal, sich nicht mehr aus dem Haus zu bewegen, um den Partner fürs Leben, den Lebensabschnitt oder nur eine schnelle Nummer kennenzulernen. Wie sieht es bei Benny und Sophia aus? Inklusive Gastkommentar.
Sophia:
Ach, Online-Dating! Früher war ich ja immer neidisch auf meine schwulen Freunde, weil die so vollkommen unkompliziert über einschlägige Foren Sex-Dates vereinbaren konnten und da die tollsten Typen ergatterten, ohne nächtelang durch räudige Clubs streifen zu müssen.
Für das Aufspüren der wahren Liebe, ich weiß nicht… Das hat bis jetzt immer noch ohne Persönlichkeitsprofil und Übereinstimmungsdiagramme funktioniert, aber für etwas Unverbindliches, why not?
Vor etwa einem Jahr schwärmte mir eine Freundin von OKCupid vor, einer Dating-Seite für Heteros, die in Berlin viele Mitglieder hat, kostenlos ist und von Partnerschaftssuche bis hin zu Casual Sex Contacts alles anbietet.
Neugierig (mein zweiter Vorname) meldete ich mich an. Ich achtete bei meinen ausgewählten Profilfotos darauf, nicht zu viel von meinen Tätowierungen zu zeigen, um die „Boah-du hast-ja-geile-Tattoos“-Prolls gleich mal auszusortieren und auch das DJ bei Beruf nahm ich bald wieder raus, um nicht dauernd gefragt zu werden: „Wo legst du so auf? Und was genau? Ich mach auch ein bisschen selber Musik, hier mein Soundcloud-Profil…“ . Gähn.
Schnell musste ich feststellen, dass das Angebot an attraktiven Männern, die mich auch intellektuell antörnten, sehr gering war. Entweder schrieben mir fette, hässliche Säcke, die meine Alterswünsche komplett ignorierten („Nimmst du das wirklich so streng mit dem Alter?“ – „Ja, und mit dem handsome auch!“) oder verpeilte, zottelhaarige Touristen mit der Hoffnung zwischen Vorm-Berghain-abgewiesen-werden und Sonntag-Mauerpark-Karaoke noch schnell ne Nummer mit einem awesome blonde native girl schieben zu können. Wäh.
Ich bekam auch Nachrichten wie die: „Hallo, ich bin Tom, 33 und Arzt aus dem Prenzlberg. Ich hab‘ zwar Frau und Familie, aber dennoch Sehnsucht nach fremder Haut und Nervenkitzel… Hab noch Lust neue Wege zu gehen und unsere Gelüste zu ergründen und auszuleben. Meld‘ Dich, wenn Du Lust auf einen diskreten aber gern intensiven Kontakt hast… LG, Tom“
Und schrieb zurück: „Hallo Tom, sag mal verarschst du mich?“
Worauf ich als Antwort bekam: „Nö, wieso?“
Nein, danke. Weder heimliche, gutsituierte Ehebrecher mit Yoga-Frau und Kleinkind zuhause noch verlebte, versaute Terry Richardsons für Arme die Bilder von meiner Muschi machen wollten, wurden erhört. Wäh. Wäh. Wäh.
Mit jedem Tag auf OKCupid schrumpfte meine Libido etwas mehr zusammen. Ein einziges Mal hab ich mich mit jemandem getroffen. Er hatte auf seinem Profil nur so pseudo-existenzialistische Schattenwurf-Fotos, klang aber schlau und vernünftig und so bat ich ihn, mir ein Bild zu schicken, auf dem man sein Gesicht erkennen könne. Dies tat er und er sah total gut aus. Wir verabredeten uns und stellten fest, dass wir auch noch (verrückt in einer Stadt mit 3,5 Millionen Einwohnern) in unmittelbarer Nachbarschaft wohnten. An einem Sonntag Abend trafen wir uns und nach einigen alkoholischen Getränken und dem Durchackern tiefschürfender Gesprächsthemen landeten wir im Bett. Mehrere Wochen ging das so, wir waren sogar ein bisschen verknallt, doch dann machte er einen Rückzieher und offenbarte mir seine Psycho-Macken und die damit einhergehende Bindungsunfähigkeit. Ich nahm es gelassen und mittlerweile sind wir gute Freunde und laufen uns ab und zu im Supermarkt über den Weg. Bei OKCupid habe ich mich aber abgemeldet. I have a certain standard.
Benny:
Ich bin im Allgemeinen eher kein Fan von Kontaktanzeigen jeglicher Art. Oder besser gesagt – die Anzeigen an sich finde ich umwerfend. Nur antworten würde ich wohl eher nicht darauf. Und um selbst eine aufzugeben bin ich wahrscheinlich zu feig, zu faul oder zu frigide. Oder alles zusammen.
Eine meiner liebsten Freizeitbeschäftigungen besteht allerdings darin, mir auf diversen Internetplattformen die kuriosesten Inserate herauszupicken und mich stundenlang darüber zu amüsieren. Inzwischen bin ich schon zu einem regelrechten Profi auf dem Metier des Auffindens besonders gelungener Datinganzeigen avanciert. Ein kurzer Blick auf die Titelzeile (Dauerharter Boy, 38 J., 15*4 cm, 97 kg, 172 sucht Frau oder devote Transe fürs Leben) und/oder den Usernamen (fusssklave123, geil16jetzt, stringfan_ottakring) des Inserenten genügt und ich weiß, ob es sich lohnt, den gesamten Text zu lesen. Hiermit enden allerdings auch schon meine Erfahrungen mit Onlinedating und der verzweifelten Suche nach dem anonymen Liebesglück. Gut, dass sich meine Freundin Agnes intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
Agnes:
Seit geschlagenen sechs Jahren bin ich auf der ermüdenden und fruchtlosen Suche nach der wahren Liebe. In großen Momenten der Schwäche und Einsamkeit ist es mir schon das eine oder andere Mal passiert, meine Fühler in Richtung E-Dating zu strecken.
Beim ersten Mal war ich gerade zarte fünfzehn Jahre alt und wollte doch einfach nur einen coolen Skater-Boyfriend wie Avril Lavigne einen hatte. Mit Piercings und schlecht sitzenden Hosen und so weiter. Also erstellte ich ein Profil bei einem bekannten Singleportal im Internet und wartete.
Tom007 schrieb mich prompt an, und fragte ob ich ein Intimpiercing hätte. Fritz_am_Mond fragte mich, ob ich denn noch Jungfrau sei und wenn ja, wie viel es ihn kosten würde, diese Jungfräulichkeit zu erstehen. Es waren zwar nicht ausnahmslos solche Zuschriften, dennoch ließ sich ein roter Faden erkennen und ebenjener Faden war meinem 15jährigen Ich wohl etwas zu viel, also deaktivierte ich mein Benutzerkonto und wandte mich für die nächste Zeit wieder dem wahren Leben zu. Das war zwar in Wirklichkeit nicht wirklich ergiebiger, was das Liebesglück betraf, aber dennoch…
Die Jahre danach füllte ich also mit halbherzigen Romanzen und One-Night-Stands. Aber die erste große Liebe, dieses ominöse Phänomen von dem alle schwärmen, die besagten Schmetterlinge im Bauch, das Herzrasen, die weichen Knie, das blieb alles aus bei mir. Von Jahr zu Jahr wurde es merkwürdiger und peinlicher zu erklären, ich hätte noch nie eine Beziehung gehabt. Mit 15 behauptete ich damals noch waghalsig, ich würde mich umbringen, wenn ich mit 17 noch nicht die erste große Liebe gefunden hätte. Mit 17 versuchte ich mich mit der Tatsache aufzuheitern, dass ich ja noch nicht einmal volljährig sei. Mit 18 Jahren weinte ich tagelang. Mit neunzehn wurde ich trotzig und nahm mir vor, dem Onlinedating noch eine Chance zu geben und registrierte mich diesmal bei einem neuen E-Dating-Service, der zwar ‚Niveau‘ versprach, allerdings kostenpflichtig war.
Es wäre schön, jetzt schreiben zu können, dass sich der ganze Aufwand gelohnt hat und ich eine glückliche Beziehung führen würde. Wie gesagt, es wäre schön. Was ich gelernt habe (außer, dass die Liebe zu suchen sehr sehr teuer sein kann)? Dass ich noch nicht bereit bin, mein Schicksal in die Hände eines Computers zu legen. Die Männer, mit denen ich die höchste charakteristische Übereinstimmung hatte, interessierten mich in etwa so sehr, wie der Matheunterricht damals in der Schule. Außerdem habe ich gelernt, dass es unglaublich schwierig ist, sich selbst in Worten zu beschreiben. Vielleicht ist es nur mein Eindruck, aber ich finde E-Dating-Seiten hängt ein Mief von Verzweiflung an, den ich nicht in mein Leben lassen möchte. Denn Verzweiflung und Liebe machen kein gutes Paar.