Klatschsüchtig!

Anderen Menschen dabei zuzusehen wie sie sich zugrunde richten, herumhuren, zu- und wieder abnehmen? Mutmaßen über intimste Details der sogenannten Reichen und Schönen – wie den Grad der Cellulite-Schädigung am Oberschenkel, eitrigen Hautausschlag oder sogenannte Fashion-Fiaskos? Was finden wir eigentlich so geil an Exclusiv, Prominent, InTouch, Gala, Perez Hilton, etc.? Waschweib Sophia und Lästermaul Benjamin geben Auskunft:

Sophia:

Schundblätter waren bei uns zu Hause früher tabu und vergleichbare Fernsehsendungen gab es noch nicht. Wir kuckten die Tagesschau und die ZiB, das höchste der Gefühle war die Klatschspalte der Süddeutschen Zeitung. Doch einmal im Jahr fuhren wir auf Urlaub nach Kärnten und unsere Pensionsdame dort hatte die ganze Kollektion herumliegen: Das Goldene Blatt, Bild der Frau und Dutzende andere. Seit frühestem Lesealter dürstete ich jährlich nach dem ausgiebigen Studium der Dramen europäischer Königshäuser und untreuer Schlagerstars.

Im Teenageralter ging es dann mit Bravo, Mädchen und Popcorn weiter. Später, als ich eine Friseurlehre begann, musste ich natürlich up to date bleiben, denn nur die wöchentliche Lektüre von Gala und Bunte erlaubte eloquenten Kunden-Smalltalk ohne Wissenslücken. Etwa zur selben Zeit wurde das erste Mal RTL Exclusiv ausgestrahlt und etwas später kam die erste InTouch auf den Markt, die noch willkürlicher, hässlicher und schonungsloser Bericht erstattete. Solche Impertinenz kannte ich bis dato nur aus der englischen Yellow Press, die ich auf der London-Fahrt entdeckt hatte.

Die Rundumversorgung war und ist gesichert, doch was gibt uns dieser Müllhaufen unnützer Informationen eigentlich? Wir können nach Lust und Laune ablästern, über Menschen, denen wir Sozialneid gegenüber empfinden, können Stars herunter machen, die wir im selben Moment anhimmeln und kommen immer wieder zur Erkenntnis: Sie sind wie wir und sie bleiben genauso wenig von den Widrigkeiten des Lebens verschont!

Da hilft kein Nummer-Eins-Hit und keine Mittelmeerjacht, Mischa Barton schaut ungeschminkt genauso Scheiße aus wie ich und Kate Moss schwankt auch, wenn sie zuviel gesoffen hat. Jude Law betrügt die makellose Sienna Miller mit dem unscheinbaren Kindermädchen und trotz hochbezahlter Stylisten greift selbst Cate Blanchett immer wieder zu Fetzen, in denen wir uns nicht einmal beerdigen lassen würden. Kirsten Dunst und Peaches Geldof daten bevorzugt Jungs in engen Hosen, die in einer Band spielen – kommt mir bekannt vor.

Klatschpresse lese ich, um mein Hirn auszuschalten, alleine in der Badewanne oder auf Reisen. Am Flughafen Berlin Tegel winkte mich neulich die Sicherheitsbeamtin zur Seite und ich dachte schon – was will die denn nun – da hatte sie schon meine Fluglektüre in der Hand und sprach: “Ach, die kenn ick noch jar nich, muss ick ma kurz durchblättern… Ah, Angelina Jolie, die hab ick ooch schon ma hier jehabt, so ne Zicke, aber der Brad, der isn echter  Jentleman…“

Gemeinsam fachsimpelten wir noch ein paar Minuten, dann musste ich zum meinem Gate, ich setzte meine Sonnenbrille auf, hüllte mich in meinen Designermantel und schritt durch die Halle wie ein waschechter Hollywood-Star, eine Gruppe Senioren drehte sich nach mir um.


Benny:

Verkaterte Sonntage ohne hochwertigste RTL-Unterhaltung á la „Gestandener Mann ist eifersüchtig auf Pudel“, „Sexy Webcam-Girl lässt Traumhochzeit platzen“ oder „Rebellische Zwillinge treiben Katzenliebhaberin in den Wahnsinn“? In meinem Freundeskreis undenkbar! Spotzl, Molti und Pichler, Robert Nissl und die sexy Bauern und Schwiegertöchter? Unsere Helden von heute!

Warum aber lieben wir es, uns am Elend gescheiterter Existenzen – und genau darum geht es – zu ergötzen? Purer Sozialvoyeurismus? Verzweifelter Versuch, das Ego zu pushen oder das eigene Versagen im Leben herunterzuspielen? Ich weiß es nicht. Meine Oma pflegte immer zu sagen „Miss dich nie nach unten!“ Mir egal. Ich brauche meine wöchentliche Dosis Assi-TV, um halbwegs ausgeglichen durch die Woche zu kommen. Scheiß auf Kreuzworträtsellösen, Backen oder Kiffen, um den Alltagsstress auszublenden!

Den Schulermittlern dabei zuzusehen, wie sie einer mobbenden Jugendbande an der Anne-Frank-Gesamtschule gekonnt das Handwerk legen oder am Goethe-Gymnasium die Mädchen der Unterstufe vor einem perversen Spanner in der Umkleidekabine schützen, ist die beste Methode, abzuschalten und sein eigenes Lebensleid für zwanzig bis fünfundvierzig Minuten zu verdrängen. Hat man schwache Nerven und sollten einem aus diesem Grunde die spektakulären Fälle der zwei wöchentlich wechselnden Ermittlerteams (ich persönlich bevorzuge Team Petersen-Koch-Kaspary) zu harter Tobak sein, empfehle ich entweder die Gesellschaftsstudie „Mitten im Leben“, die den wahren Alltag bundesdeutscher Bürger schonungslos bis ins kleinste Detail darstellt und dem Zuseher zeigt: „Du bist nicht allein!“ oder aber Boulevardsendungen wie „RED! Stars, Lifestyle & More“ oder das österreichische Pendant „PINK!“, in denen in erster Linie darauf geachtet wird, einen gewisses Standard an seriösem Journalismus nicht zu überbieten und den armen Reichen & Schönen, über die berichtet wird, auch noch das letzte Fünkchen Würde zu entreißen, das sie noch ihr Eigen nennen können, indem man der gesamten Welt vor laufenden Kameras den Inhalt ihrer Nachttischschränkchen und/oder Büstenhalter zu präsentieren.

Differenzieren sollte man hierbei auf alle Fälle zwischen österreichischem und deutschem Fernsehen für die Massen. Sind unsere lieben Nachbarn darauf erpicht, wenn schon nicht Niveau, dann zumindest eine Prise Ironie (meist in Form von auffallend untalentierten Schauspielern) in ihre Sendungen zu packen, vertrauen die Österreicher auf ihre natürliche Begabung zu unterhalten. Vergleiche hierfür Frauentausch/Tausche Familie bzw. Saturday Night Fever/X-Diaries. Scripted Reality hat man hierzulande nicht nötig. Dem Publikum bleibt überlassen, welche Form von Unterhaltung ihm mehr zusagt.

Weiterhin eher ungeklärt bleib allerdings die Frage nach dem „Warum?“ Warum interessiert man sich für diese Art von Fernsehen? Vielleicht könnten die Schulermittler hier ein bisschen ermitteln. Aber ich glaube, die stehen gerade Mitten im Leben und zelebrieren ihr Saturday Night Fever zusammen mit getauschten Familien im Brennpunkt. Ich geh mal fernsehen.