Ich Brauch Farbe
…wie man immer bunter wird
„Ich hab auch schon mal drüber nachgedacht mich tätowieren zu lassen…“, darüber können jene nur lachen, die einmal angefixt wurden. „Sich pecken lassen“ kann schnell zur Sucht werden, die eigentlich nie wieder aufhört. Sophia und Alex wurden beide infiziert , was manchmal schneller geht, als man denkt. Gedanken zu einer modernen Ersatzreligion aus dem Stift zweier Jünger:
„Ich hab dich so rein und schön geboren, was verschandelst du dich nur so…“, so spricht die Mutter stets, wenn sie ein neues Peckerl auf der Oberfläche ihrer Tochter entdeckt.
Ja, meine Mama hat es nicht unbedingt leicht, bis heute macht sie sich wohl Vorwürfe, weil sie mir die allererste Tätowierung selbst erlaubt hat. Ich war sehr jung, 15 Jahre alt, als ich beschloss mich tätowieren zu lassen. Mit großer Argumentations- und Überredungskunst schaffte ich es, meine Eltern zu überzeugen, mir die Erlaubnis zu erteilen. Wahrscheinlich dachten sie damals es sei mit einem Motiv erledigt, doch danach wurde ich süchtig. Spätestens nachdem der Tätowierer (ein Klischee-Typ: bullig, in Lederkluft, furchteinflößend, riesengroß, er hatte ein Terrarium mit Schlangen und Leguanen in seinem Studio) mich mit den Worten verabschiedete: „Bis zum nächsten Mal!“, fing ich sofort an über ein nächstes Mal nachzudenken.
Schon als Kind hatte ich eine große Affinität verspürt, meine Brüder waren beide tätowiert, wenn auch eher überschaubar, und mit 12 startete ich einen ersten Selbstversuch auf dem linken Unterarm (den ich allerdings Jahre später covern ließ). Ich drehte ganz laut die Toten Hosen/Opelgang auf, um mich vom Schmerz abzulenken und ging mit Tusche und Nadel ans Werk. Tage später entdeckte meine arme Mutter den unförmigen Fleck (sollte ein Stern werden) und fragte, ob ich mich verletzt hätte – sie war entsetzt, ich war stolz wie Oskar.
Alles schön gleichmäßig verteilt!
So ging es dahin, wenn man erstmal anfängt, hört man eben nicht mehr auf.
Irgendwann ist die Hemmschwelle bei Null, weil man ja eh schon nicht mehr untätowiert ist, feststellt, dass man mit den bisherigen Gemälden gut gelebt hat und einfach immer neue Ideen entstehen. Selbst nimmt man es gar nicht mehr wahr, es gehört zum Körper dazu wie Muttermale. Erstaunlicherweise kann man auch mit fragwürdigen Motiven gut leben (so wie der chinesische Drache über meinem Po) oder mit miserabel gestochenen (so wie die Katze auf meinem Bein, die ich mir in Bangkok in der berüchtigten Khao San Road hab machen lassen). Ich liebe alles alles, was ich so am Körper trage, richtig froh bin ich nur, dass ich Ende der Neunziger Jahre nicht dem Trend erlegen bin, mir ein Tribal stechen zu lassen, oder noch schlimmer, ein Arschgeweih! Damit könnte ich nicht so gut leben.
Als wichtig empfinde ich es auch, dass die Tätowierungen immer in einem guten Gleichgewicht zueinander stehen, also dass zum Beispiel auf jedem Arm gleichviel ist, sonst wir der eine „zu schwer“. Alles muss schön gleichmäßig verteilt sein. So gehe ich auch vor, wenn ich eine neue Idee habe, ich überlege mir eine Stelle, an der noch Platz ist, meist weiß ich das innerhalb von ganz kurzer Zeit, und ich habe mich noch nie geirrt. Als ich mich das erste Mal in Wien stechen lassen wollte, ging ich zu einem Typen, den mir jemand empfohlen hatte, das Motiv: ein selbstgezeichneter Comic-Vogel, die Stelle: rechter Unterarm.
Der Meister der Nadeln meinte schroff: „Nö, so nen Krikel-Krakel-Scheiß kriegst von mir nicht, klassische Schwalbe kannste haben, und auf den Unterarm? Da kann ich dir gleich sagen, dass du damit nicht glücklich wirst…“. Er selbst hatte „Halli-Galli“ auf seinen Fingern stehen, vielleicht ging er von sich als Negativbeispiel aus? Auf jeden Fall bin ich so zu meiner lieben Moni Weber gekommen, die im „Happy Needles“ arbeitet und die ich mit meinem Umzug nach Berlin schweren Herzens hinter mir lassen musste. Sie hatte keine Bedenken und hat mich mehrfach verziert.
Was ist dran an der Sucht mancher Menschen nach dem Vorgang des Tätowierens selbst? Natürlich ist es ein „süßer“ Schmerz, es ist ja auch ein Schmerz, den man gerne in Kauf nimmt, weil man nach dem Ergebnis strebt. Ich könnte jetzt nicht sagen, dass ich total geil auf den Schmerz bin, nach 1 ½ Stunden hab ich dann schon langsam genug, die Vorstellung 5-6 Stunden am Stück gepeckt zu werden, finde ich eher beängstigend, wobei ich gehört habe, dass man irgendwann nicht mehr so viel mitkriegt. Auch das Abheilen nervt eher, manche Farben verheilen schlechter als andere, rot zum Beispiel, das dauert dann oft wochenlang. Aber es macht schon Spass, sich auszuliefern und zu versuchen, das Schmerzempfinden mental auszuschalten.
Alt und runzlig, aber bunt!
Eine Sache, die mich immer wieder erstaunt und auch nervt, sind die Reaktionen mancher Mitmenschen, besonders beim Ausgehen. Klar, über Komplimente freut man sich, aber wenn jemand Wildfremder glaubt, er hätte das Recht, deinen Arm festzuhalten wie einen Gegenstand, um ihn sich genauer anzusehen, so ist das doch ein respektloser Eingriff in die Privatsphäre.Am lustigsten sind die Checker, die ankommen und sagen: „Ist das eecht??“. Was erwarten die als Antwort? „Ne, alles aufgemalt, von einem sehr guten unterbeschäftigten Künstler, der in seiner Freizeit bei mir zuhause rumsitzt!“ oder „Nein, das ist ein sehr durchsichtiges Ed-Hardy-Sleeve mit täuschend echtem Druck!“ Ja, klar.Für mich persönlich gibt es Stellen, die werden immer blank bleiben (so wie Mama es am liebsten hat), zum Beispiel mein Dekolleté, das wäre mir sonst einfach zu derb. Oder der Bauch.„Und was machst du, wenn du alt bist?“ fragt einer. Was soll ich machen, ich werd runzlig, du auch, nur bin ich ein bisschen bunter dabei. Und wenn meinen zukünftigen Enkelkindern langweilig ist, können sie sich die Bilder anschauen und ich kann mir dazu Geschichten ausdenken.
Es tut einfach gut, manche Sachen auf der Haut zu tragen, wie mein momentanes Lebensmotto: „Die Zeiten sind hart, aber modern!“
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Als ich mich das erste Mal tätowieren ließ, war ich 16. Man schrieb das Jahr 1995, und ich hörte ziemlich viel Red Hot Chili Peppers. Michael Balzary alias Flea, Bassist der Band, hatte es mir damals angetan. Vor allem, weil er immer so gut wie nackt auf der Bühne rumhüpfte und dabei seine Tattoos zur Schau stellte. Ein kleines, kreisförmiges Tribal unter dem linken Schlüsselbein sollte “mein Erstes” werden. Von Flea inspiriert sozusagen. Ich schlug die gelben Seiten auf und suchte mir ein Studio. Irgendeines. So genau kann ich mich gar nicht mehr erinnern, aber als ich dort zum Termin erschien, hat mich niemand gefragt, wie alt ich bin.
Ich hatte damals kinnlange, blonde Kurt-Cobain-Haare und sah wirklich jung aus. Das war der Dame egal, die sich dort ans Werk machte, wahrscheinlich brauchte sie dringend wen zum Üben. Denn nach gut 2 schmerzvollen Stunden blickte ich ganz stolz auf ein eiförmiges Etwas. Ein schwarzer, kleiner Fleck. Die Linien waren nicht gerade und nicht rund, teilweise über die Kontur raus gemalt. Es war mir egal. Ich war so stolz und voll mit Endorphinen, der Erste aus meinem Freundeskreis mit einer Tätowierung. Voll cool!
Erstaunlicherweise hab ich danach ziemlich lange damit gewartet, ein Cover-Up zu machen, also diesen “Unfall” überstechen zu lassen. Ich war mir einfach nie sicher, womit ich es hätte überdecken sollen. Zwischen 16 und 25 passiert ja eine ganze Menge im Leben eines schwulen jungen Mannes. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es die wichtigste Zeit in meinem Leben war, bezüglich Selbstfindungsprozess usw.
Doch eines Tages kaufte ich mir ein Tattoo-Magazin und entdeckte “Old School”! Anker, Pin-up-Girls und Schwalben. Klassisch, zeitlos und der beste Weg, seine Haut mit bunter Farbe zu schmücken.
Ich fing dann auch an, Leute mit ansprechenden Tätowierungen zu fragen, wer denn der Künstler sei, der das gemacht hätte. So bin ich an Andy gekommen. Meinen Tätowierer. Er arbeitet im Rattelsnake in Wien, ist aber ursprünglich aus San Francisco. Sein erstes Tattoo auf mir war ein Nordic Star als Cover-Up für das verpfuschte Tribal. Und weil ich dann so richtig auf den Geschmack kam, gleich noch zwei Schwalben links und rechts vom Bauchnabel. Ich vertraue Andy, und ich gehe gerne zu ihm. Ich denke, das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für gute Tätowierungen: Finde jemanden, der deinen Geschmack hat und gut zeichnen kann!
Tut das nicht weh?
Mit dem Schmerz ist das so eine Sache. Natürlich lautet die erste Frage, wenn die Leute meine Tattoos entdecken: “Hat das weh getan?‘ – “ Na no na!” Sicher tut es weh, aber das gehört eben dazu. Aufgeregt bin ich auch bei der zehnten Tätowierung wie bei der ersten. Nach 10 Minuten ist das dann allerdings vorbei und man gewöhnt sich an das Gefühl.
Nachdem ich mir auf die rechte Innenseite meines Oberarmes einen Anker stechen hatte lassen, habe ich festgestellt, dass etwas mit den rot tätowierten Stellen des Ankers nicht stimmte. Es juckte und die Haut war angeschwollen. Im Sommer wurde es besonders schlimm. Nach einer Weile verblasste das Rot. Mein Körper hat es regelrecht abgestoßen. Anscheinend bin ich gegen einen bestimmten Inhaltsstoff dieser speziellen roten Farbe allergisch. Kann man vorher ja nicht unbedingt wissen. Mittlerweile haben Andy und ich ein ‚Bio-Rot‘ entdeckt und nochmal drüber tätowiert. Ein bisschen russisches Roulette war es schon, als ich mir auf die Innenseite meines rechten Unterschenkels ein riesiges rotes Herz mit einem ‚I Love Mum & Dad‘-Schriftzug stechen ließ. Zum Glück ist dabei alles da geblieben, wo es hin soll, nämlich unter der Haut.
Man sieht schon, ich bin süchtig. Jedes Jahr seit ich 25 bin, sind ein oder zwei Tattoos dazu gekommen. Natürlich mache ich mir viele Gedanken über die Motive und wohin sie gehören. Dies stellt nach meiner Erfahrung das größte Problem für die meisten Menschen dar: ‚Wer weiß schon, ob mir DAS in 10 Jahren noch gefällt?‘ höre ich dann oft. Für mich aber hat alles eine besondere Bedeutung und Legitimation. Von den zwei Vögeln auf dem Bauch, die mein Sternzeichen Zwilling repräsentieren bis hin zum Anker, der mir Grundhaftung geben soll. Ich habe mich auch getraut, mir den Namen meines Ex-Freundes in einem kleinen, gebrochenen Herz mit Dolch tätowieren zu lassen. Bis jetzt habe ich auch das nicht bereut. Es ist als Mahnung gedacht. Mein Unterschenkel ist übersät mit kleinen, persönlichen Tattoos die insgesamt ein Ganzes ergeben. Von einer Waschmaschine bis hin zu einem Smiley findet man dort alles was meine Persönlichkeit ausmacht! Das alles gehört einfach zu mir dazu wie meine Nippel, Narben oder eben Muttermale, es wird zu einem Teil meines Körpers.
Meine Mutter mag die Peckerl. Die einzige Kritik, die ich zu hören bekomme ist: ‚Jetzt reicht es dann schon langsam…‘. Besonders der Dolch auf meinem Unterarm war ihr etwas zu viel. ‚Den kann man ja auch nicht mehr verstecken‘ war ihr Argument. Doch generell hat sie nichts dagegen und hat sogar jahrelang überlegt, wo sie selber gern eines hätte. Nach mindestens drei Sommern des Testens mit Aufklebe-Tattoos aus der Bravo (ich habe eine kleine Schwester) und zum Anlass ihres 50. Geburtstages war es dann soweit. Ich habe für meine Mutter einen Termin bei meinem Tätowierer ausgemacht. Nach langer Überlegung wurden es drei Sterne links im Dekolleté, die symbolisch für den Ehemann und die zwei Kinder stehen. Nie werde ich vergessen, wie meine Mutter mit den Worten ‚der hat ja eh scho vüle Duttln gsehn‘ ihren BH fallen ließ und barbusig vor Andy stand. Er hat dann nur gentleman-like gemeint, dass es eigentlich nicht notwendig sei, sich komplett zu enthüllen. Sie ist eben ein Kind der 60er und der FKK-Bewegung. Abgesehen davon war sie echt eine harte Sau. Nicht einen Mucks gab sie von sich.
Je ne regriette rien!
Tattoos hat man ein Leben lang. Sie sind ein Ausdruck der Persönlichkeit. Man sollte sich gut überlegen, was man sich stechen lässt und von wem. Ich habe schon so manchen Pfusch in Referenz-Mappen und auf der Haut von Aufrissen entdeckt. In beiden Fällen rate ich dazu, schnell davon zu laufen.
Ob man süchtig wird? Also meistens habe ich schon Ideen für ein neues Tattoo während ich noch tätowiert werde…
Außerdem gibt es noch viel freie Haut auf meinem Körper. Ich plane gerade mein nächstes Peckerl. Der rechte Arm soll noch voll werden. Und der Rücken natürlich auch noch. Genauso wie der linke Unterarm und die linke Wade. Und… und… und…