Familien feiern Feste!
Bevor wir angefangen haben, uns in dunklen Underground-Clubs rumzutreiben, nächtelang auf schruffigen Betonböden die Zehen wund zu tanzen und auf Behinderten-Toiletten mit wildfremden Menschen rumzumachen, gab es genau eine Art von Party in unserem Leben: Die Familienfeier! Dass dieses (oft erzwungene) Zusammentreffen Blutsverwandter nicht weniger ereignisreich und nervenaufreibend ist als so manche Afterhour, beweisen folgende Erfahrungsberichte von Sophia und Benjamin.
Das große Fressen
von Sophia
Ich hetze die Treppen bis in den vierten Stock hinauf. Natürlich bin ich zu spät, so wie meist. Die Wohnungstür oben ist angelehnt. Ich halte kurz inne, atme ganz tief durch, richte mich auf und trete ein. Eine Geräuschkulisse gleich der eines türkischen Bazars schlägt mir entgegen. Familienfeier. Väterlicherseits. Wer am Lautesten schreit hat am meisten zu sagen. Na dann, Prost! Die mütterliche Seite meiner Verwandtschaft pflegt eher andere Betätigungsfelder. Sie ist spezialisiert auf Intrigen, Erbschleicherei, vorgetäuschte Selbstmordversuche und andere Spielchen. All das würde ein Buch füllen oder eine ergiebige Psychotherapie. Aber zurück zum Thema. Die Feste.
Meine Großmutter kommt aus Ostpreußen, eine „Vertriebene“, so wie etwa jede dritte Oma in meinem deutschen Freundeskreis. Sie hat die Not zweier Kriege am eigenen Leib gespürt, sie wuchs auf Gehöften auf, umgeben von Besitztümern so groß wie Vorarlberg. Zwischen den Kriegen war es ein Land in dem Milch und Honig floss, und mit der Blütezeit der Wirtschaftswunderjahre und der Übersiedelung ins holde Bayern (wo ja wie wir wissen auch „Milch und Honig fließt“, – Zitat Edmund Stoiber), stand vor allem eines ganz oben auf der Liste: „Das große Fressen“.
Zu meiner Zeit, so wie wohl auch die Jahrhunderte davor, erreichte es seinen Höhepunkt jedes Jahr zur Weihnachtszeit, genauer am ersten Feiertag:
12:00 Ankunft bei den Großeltern
12:10 Mittagessen, Gänsebraten mit Knödeln, Rotkraut, Äpfeln und reichlich Soße
13:00 Verdauung, gerne Schnaps
13:30 Vorbereitung des Nachmittagskaffees, es werden erste Kekse (dt.Plätzchen) gereicht
14:00 Kaffee und Kuchen, traditioneller Mohnstriezel, gerne Donauwelle, manchmal Frankfurter Kranz (Buttercreme!) , dazu mehr Kekse
15:00 Bescherung, mehrere Runden „Gottes Segen“ (ostpreuß. Kartenspiel)
15:30 Traditionelles Weihnachtsliedersingen zur großväterlichen Hammondorgel
16:00 Traditionelles Abspülen der Frauen in der Küche, die Männer schauen Fernsehen oder so (keine Ahnung, ich war in der Küche…)
17:30 Abendessen, kalte Wurst- und Schinkenaufschnitt-Platten, Heringssalat mit Mayonnaise, Eiersalat mit Mayonnaise, Shrimps-Salat mit Mayonnaise, geräucherter Lachs, Käseplatte, Brot
19:00 Keiner kann sich mehr bewegen, wir quälen uns die vier Stockwerke hinunter, plumpsen ins Auto, fahren nach Hause und schauen „Stars in der Manege“
Nur ein einziges Mal habe ich mehr totes Tier geballt auf einem Esstisch gesehen als an diesen Festtagen und das war auf einem tschechischen Filmfestival, das offensichtlich vom örtlichen Fleischerei-Verband gesponsert war. Ich will damit nur sagen, dass es eine fürsorgliche, liebevolle Mast ist, die allerdings oft übers Ziel hinausschießt. Legendär der Tag, als mein Bruder noch ganz klein war, meine Großeltern ihn hüteten und er sich, nachdem er wieder von meinen Eltern abgeholt wurde, erstmal die ganze Nacht übergeben musste. Sie hatten ihn schlicht und einfach überfüttert.
Auch ich kann manche Dinge bis heute nicht essen, weil meine Oma sie mir als Kleinkind gewaltsam in den Mund gestopft hat.
Eine andere sauer aufstoßende Erinnerung im Bezug auf Familienfeiern ist die Hochzeit meines ältesten Bruders (der Überfütterte). Man könnte auch sagen: Ein Drama in Tracht.
Prinzipiell kann ich nicht verstehen, wie Menschen auf die Idee kommen für die öffentliche Bekundung ihrer gegenseitigen Liebe, Geldsummen im zweistelligen Tausender-Bereich aufzuwenden. Und dann noch, um davon einen rustikal geschmückten „Heustadl“ zu mieten, eine Blaskapelle und 100 Gallonen Bier? No way! (Sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass mittlerweile 2 Kinder in die Welt gesetzt wurden, die sich mit großen Schritten dem Teenageralter nähern, die Ehe unschön geschieden wurde, von kindlichen Langzeitschäden und Verhaltensstörungen gar nicht anzufangen… das schöne Geld…).
Der ganze Terror begann schon zur Mittagszeit. Nach der Trauung fanden wir uns in einem Biergarten im Münchner Umland wieder. Das zum Namen gehörende Getränk wurde ausgeschenkt und die Blaskapelle fing an, lustige Saufspiel-Animation zu betreiben. Nach harmlosen Versen wie: „…Und wer im April Geburtstag hat steh auf, steh auf, steh auf…“ ging es zur Sache mit Derbheiten wie „..Und wer es lieber von Hinten mag…“.
Ein Drama in Tracht
Mein Golden Moment kam, als die furchtlosen Gesellen sangen: „..Und wer denn noch Jungfrau ist…“ – und ich blieb sitzen! Ich war damals 16 und meine Omas und Großtanten durchbohrten mich mit fragenden Blicken. Ich fühlte mich fürchterlich, das straff geschnittene Erb-Dirndl (Trachtpflicht) machte es auch nicht besser. Kurz vorm emotionalen Zusammenbruch kam mir mein anderer Bruder (der Unverheiratete, wie ihn die Verwandten gerne nennen) zur Hilfe und wir beschlossen einen Spaziergang zu machen. In der nächsten halben Stunde fand ich heraus, dass er, damals 29 Jahre, seine Vorliebe fürs Kiffen wieder entdeckt hatte und wir teilten uns einen amtlichen Ofen. Den Rest der Hochzeit erlebte ich auf einer erträglichen Wolke. Das Einzige, was wirklich extrem nervte, waren die notgeilen Wasserwacht–Kumpels meines frisch vermählten Bruders, die ernsthaft und ausdauernd versuchten, bei mir zu landen. Zum Glück hatte ich damals noch kein Handy und nach der Nummer des elterlichen Telefonanschlusses trauten sie sich dann doch nicht fragen. Als ich ihn noch hörte, wie er gut angetrunken einem Kumpel ins Ohr schrie: „ Ich bin zwar 31, aber ficken kann ich immer noch wie 21!“ Gratulation!
Wenn ich einmal heiraten sollte, dann möchte ich das auf einem Barockschloss tun. Mit diamant-bestäubten Pfauen, einem gigantischen Feuerwerk und Lady Gaga soll mir und meinem Bräutigam ein Ständchen singen. Zu essen gäbe es Kartoffelbrei, Spinat und Spiegelei, zu trinken nur besten Champagner. Und Cola light – für den Bräutigam. Da muss ich wohl auch noch ein paar Kolumnen schreiben, bis das umsetzbar ist. Oder anfangen Lotto zu spielen.
Familie ist das, wo man zwar Gen-mäßig aus einer Suppe gerührt wurde, doch manchmal das Gefühl hat, aus verschiedenen Sonnensystemen zu stammen, weil man so unterschiedlich ist.
Auch wenn man in eine andere Stadt zieht, holt sie einen immer wieder ein und ob man will oder nicht, man ist ein Teil des ganzen Irrsinns. Mittlerweile hab ich gelernt, dass man nicht immer aufessen muss, es nicht weiter auffällt, wenn man eine halbe Stunde zu spät kommt und falls man keine Lust auf „Gottes Segen“ hat, kann man auch die neueste „Krone am Sonntag“ durchgehen.
Clueless vs. Familienfeier
von Benjamin
Feste soll man ja bekanntlich feiern, wie sie fallen. So auch Familienfeste. Selbst, wenn die Familie – wie in meinem Fall – zu achtundneunzig Prozent aus erzkatholischen, traditionalistisch und rechts(radikal) angehauchten ungarischen Wirtschaftsingenieuren, Mathe- und Religionslehrerinnen besteht. Die übrigen zwei Prozent werden schwesterlich geteilt zwischen meiner einundsechzigjährigen (wahrscheinlich) lesbischen und (noch wahrscheinlicher) jungfräulichen Großtante Olga, die sich mit diversen Fehltritten (Studium der klassischen Musikgeschichte, Austritt aus der Römisch-Katholischen Kirche) ins totale soziale Aus katapultiert hat und – mir. Gerne werden wir als Beispiele genannt, wenn es darum geht, dem Nachwuchs zu erklären, wie das Leben als braver Bürger nicht auszusehen hat. Dieser Umstand stört uns jedoch weniger, bleibt uns dadurch doch meistens erspart, an den regelmäßig stattfindenden Familienfestivitäten teilnehmen zu müssen. Horden kreischender, dicker Kinder, die alle genau gleich aussehen, und zu jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit Rosenkranz auspackende oder Gebetslieder anstimmende Damen mittleren Alters versetzen weder mich noch Großtante Olga in wirklich euphorische Partystimmung. Aus diesem Grund war ich dann doch relativ überrascht, als letztens die Einladung zur Hochzeit meines Cousins ins Haus flatterte.
Trotz anfänglicher Unsicherheit und anderer terminlicher Verpflichtungen – am Tag der Trauung sollte „Clueless“ im Fernsehen laufen – beschloss ich dann doch, guten Willen und Familiengeist zu zeigen und bestätigte, wie auf der entzückenden kotzfarbenen Einladungskarte erbeten, mein Kommen per E-Mail.
Vier Wochen später erschienen also Großtante Olga und ich, fast pünktlich und im Partnerlook ganz stilgerecht in Anzug und schwarzem Hemd mit Trauerkragen, an der genannten Adresse, freuten uns über die ablehnenden und entsetzten Blicke der Verwandtschaft und wunderten uns über die recht ungewöhnliche Ortswahl für die Trauungszeremonie. Denn die fand nicht, wie erwartet, in einer pompösen katholischen Kirche mit sexy Jesusbildchen statt, sondern – man lese und staune! – in einer ehemaligen Synagoge, in der, wie ich später herausfand, seit Mitte der Neunziger regelmäßig ökumenische Gottesdienste abgehalten werden. Die holde Braut nämlich, gebürtige Amerikanerin aus reicher Ärztefamilie, ist protestantischen Glaubens, genau wie ihre Eltern. Und da diese für die gesamten Kosten aufkamen (die sich bei über fünfhundert geladenen Gästen und einer Feier im Hilton wahrscheinlich doch ein bisschen anhäufen) verweigerten sie eine rein katholische Zeremonie. Ganz zum Leidwesen der Familie des Bräutigams. Und zu meinem! Denn dies bedeutete, dass ich beinahe drei Stunden auf einer harten, kalten Holzbank sitzen musste, während vorne der katholische Gottesmann, in goldenem Kleidchen einer schillernden Drag Queen gleich, und der ganz ansehnliche protestantische Pfarrer in dezentem Schwarz um die Gunst des Publikums buhlten und versuchten, einander mit ihren Predigten und Segnungen zu übertrumpfen.
Zwischendurch wurde das Schauspiel von einem überraschend talentfreien Kinderchor aufgelockert, der eine ungarische Version von Jackos Heal the World zum Besten gab. Ein verstohlener Blick zur Seite der Brautfamilie verriet mir, dass die edlen Herren und Damen, die mit ihren glamourösen Hutkreationen allesamt aussahen, als wollten sie eigentlich zum Pferderennen nach Ascot, etwas verwirrt dreinblickten und nicht so recht wussten, was sie denn von dem ganzen Spektakel halten sollen. Nach gefühlten drei Jahren wurden wir endlich entlassen. Jedoch nur auf Bewährung, zuvor galt es ja noch die Feier im Hilton durchzustehen. Kaum dort angekommen bemerkten wir schon dichtes Gedränge vor einem liebevoll handgemalten Schild, das sich als Sitzplan für die Gäste herausstellen sollte. Großtante Olga und ich wurden gnädigerweise zu zweit an einen kleinen Tisch in der Ecke vor den Toiletten verbannt. Auch die Mitglieder der Brautfamilie saßen binnen Minuten ruhig und brav an den ihnen zugeteilten Plätzen. Bei meinen Leuten allerdings herrschte – natürlich – ein heilloses Durcheinander und eine hitzige Diskussion entbrannte. Warum durften zwar die Großtanten Elisabeth und Maria (meine geliebte, senile achtundneunzigjährige Großmutter) mit dem katholischen Pfarrer an einem Tisch sitzen, Tante Monika und Onkel István allerdings mussten sich den Platz mit Cousin Béla und Cousine Eszter teilen? Béla und Eszter ihrerseits waren nicht sonderlich erfreut darüber, von ihren eigenen Eltern öffentlich verschmäht zu werden. Als nach etwa einer Stunde, sieben Ohrfeigen, zwei Nervenzusammenbrüchen und einem Nasenbeinbruch endlich jeder einen Platz gefunden hatte, der ihm halbwegs würdig erschien, wurden die üblichen Reden geschwungen und neuerliche Segnungen durch unseren VIP, den katholischen Priester ausgesprochen. Wo sein protestantischer Kollege abgeblieben war, wusste niemand.
Das Buffet ist eröffnet
Die teuren exotischen Gerichte wurden von meiner Familie natürlich einvernehmlich und beinahe hasserfüllt verschmäht und stattdessen wurden mitgebrachte Tupperwareschüsseln, gefüllt mit Rindsgulasch und Krautrouladen, ausgepackt und großzügig – auch an die „heidnische neue Familie“ – verteilt. Dazu wurde selbstgebrannter Pálinka gereicht, der die Gemüter sämtlicher Anwesenden binnen kürzester Zeit dermaßen erhitzte, dass ich meine – oben bereits erwähnte – Großmutter dabei beobachten konnte, wie sie lasziv die oberen drei Knöpfe ihrer Bluse öffnete und sich wie zufällig ein Stück nach vorne beugte, während sie dem ehrwürdigen Herrn Pfarrer anzügliche Blicke zuwarf. Aber wer kann es ihr verdenken? Opa ist seit sieben Jahren tot und der Gottesdiener sieht ja auch wirklich attraktiv aus in seinen güldenen Gewändern. Als ich kurz darauf, schon leicht angeheitert, die Toiletten aufsuchte, hörte ich eindeutig unkeusche Laute aus einer der Kabinen. Etwa zwanzig Minuten später konnte ich von meinem strategisch gut gelegenen Platz beobachten, wie der hübsche achtzehnjährige Bruder der Braut (auf den ich schon den ganzen Abend ein Auge geworfen hatte, der meine Annäherungsversuche jedoch charmant abblockte) und mein schrecklicher, verpickelter Cousin Attila, mit hochrotem Kopf und verklärtem Grinsen im Gesicht, die Räumlichkeiten kurz nacheinander verließen. Tödlich beleidigt beschloss ich, meine Würde zu wahren und zu verschwinden.
Aber wo war Großtante Olga?
Sie hatte sich vor einiger Zeit auf Pálinka-Suche begeben und war seitdem nicht mehr aufgetaucht. Auch auf meine Anrufe reagiere sie nicht. Alleingelassen und mit einem riesigen Knacks im Ego machte ich mich also auf den Weg in die Freiheit, als ich vor dem Hotel gerade noch sah, wie der verschollen geglaubte Pastor Händchen haltend mit einer Dame ins Taxi stieg, die meiner wahrscheinlich lesbischen und noch wahrscheinlicher jungfräulichen Großtante erschreckend ähnlich sah… Beim nächsten Mal halte ich mich wohl doch lieber an „Clueless“.