FÄÄÄÄSTIVÄÄÄÄLS
So richtig angefangen hat der Quatsch damals mit Woodstock. Da fallen einem sofort Schlagwörter ein wie: legendäre Konzerte, Camping, Schlammschlacht, Dosenbier und Party. Die einen lieben sie, die anderen hassen sie. Hier Pro und Contra zum Festival-Fun:
Pro – Sophia:
Eigentlich habe ich mit den Festival-Besuchen erst sehr spät begonnen. Meine Premiere war das Southside Festival genau an jenem Wochenende an dem ich 23 wurde. Um Mitternacht, als mein Geburtstag begann, fingen meine Freunde an „Happy Birthday“ zu singen und hunderte Menschen stimmten schnell mit ein, ziemlich gut! Zugegeben, das war zu einer Zeit, als es auf Festivals auch noch als irre lustig galt, einfach so „Helga“ zu rufen und alle mitmachten.
Solche Trends kommen und gehen, was bleibt ist die Tatsache, dass Festivals temporäre Pforten zu ungeahnten Parallel-Universen und einem kollektiven Bewusstseinszustand im Ausnahmezustand sind.Festivals sind wie Pizza, das Grundrezept ist immer dasselbe, aber die Beläge machen den Unterschied. Es gibt winzig kleine Festivals, die nur einen Tag dauern und riesige Festivals, die sich auch über einen ganzen Monat erstrecken können. Verranzte Kifferfestivals und todschicke, auf denen alle Besucher aussehen als wären sie aus einem Street Style Blog heraus gepurzelt.
Mein zweites Mal war im Sommer darauf das Frequency Festival noch am Salzburgring. Freiluft-Tauchen – heisst, es regnete in Strömen. Hier lernte ich die Klassengesellschaft auf Festivals kennen: Artists, Sponsoren, Crew, VIPs, Gäste. Ich stand an der Spitze, denn diesmal war ich mit meiner Band da. An diesem Tag feierte ich auch meine erste Backstage-Party, mit dem großen Finale, dass mein damaliger Freund einen gutgemeinten Joint erwischte und Smudo ihn mit Handtüchern aus seiner Garderobe zudeckte.
Aber natürlich gibt es auf Festivals auch noch andere essentielle Dinge, außer Backstage-Parties. Zum Beispiel die Konzerte. Pulp, die legendäre Brit-Pop-Helden der 90er um Mastermind Jarvis Cocker, haben sich dieses Jahr für wenige Festival-Auftritte wiedervereint und was soll ich sagen? Ich sah sie in Barcelona vor abertausenden von Fans, die sich in den Armen lagen und jedes Wort mitsingen konnten – es war fantastisch! Das macht für mich ein gutes Festival aus! Weniger die Gallonen Dosenbier, als vielmehr ein perfektes Line-Up meiner Lieblingsbands und -DJs, traumhaftes Wetter, diese kollektive Verbundenheit und der (be)stechende Duft von Abenteuer und Freiheit der über die überteuerten Hot-Dog-Stände weht…
Contra – Benny:
Wie seit etwa meinem sechzehnten Lebensjahr wurde ich auch heuer wieder pünktlich kurz vor Beginn der Festivalsaison gefragt: „Gehst du Nova?“ oder „Sehn ma uns am Urban?“.
Und wie jedes Jahr ist meine Antwort immer dieselbe: „Nein.“ Ich verzichte meist auf eine ausschweifende Erklärung á la „Bevor ich Geld dafür bezahle, tagelang auf einem ekelhaften Campingplatz in einem ekelhaften Zelt zwischen ekelhaften Menschen vor mich hinzuvegetieren, nur um mir tausende Bands anzusehen, von denen mich vielleicht zwei interessieren, hacke ich mir lieber ein Bein ab.“, da ich weiß, dass ich mit dieser Ansicht auf wenig Gegenliebe stoße.
Der Beginn meiner Aversion gegen Festivals und dergleichen liegt jedoch ein bisschen weiter zurück. Die erste und einzige Festival-ähnliche Veranstaltung, die ich je besucht habe, war das Donauinselfest 2001. Unbedingt wollte ich die damals gerade topaktuelle und bis heute die – meiner zwar bescheidenen, jedoch unanfechtbar richtigen Meinung nach – beste deutsche Girlgroup aller Zeiten (neben Modern Talking) live erleben: Die No Angels!
Der Schrecken, der sich mir dort bot, war verheerend:
Geschätzte 45 Grad im Schatten (von dem es dort keinen gab), gefühlte siebzehnmillionen schwitzende, Bier-aus-Dosen-und-Plastikbechern-trinkende, pöbelnde, stoßende Prachtexemplare der Wiener Arbeiterklasse, die mir nicht nur die Sicht auf meine Jugendheldinnen Lucy, Sandy, Vany, Jessica und Nadja verstellten, sondern – zu meinem grenzenlosen Entsetzen – dem zweifelsohne wundervollen Spektakel auf der Ö3-Bühne auch noch absolutes Desinteresse, ja teilweise sogar schon fast so etwas wie Verachtung entgegenbrachten. Buh-Rufe und herabwürdigende Bemerkungen über die musikalische Darbietung der fünf Popstars waren nur die Spitze des Eisbergs. Das Fass zum Überlaufen brachte eine geworfene Wasserflasche, die meinen Liebling Lucy am Bein traf, woraufhin die Menge frenetisch applaudierte. Hätte ich anstelle der Künstler den Auftritt vor solch undankbarem Publikum schon längst abgebrochen, legten die, gewiss schon Festival-erprobten, No Angels Professionalität und Sportsgeist an den Tag und setzten ihre Show ohne Unterbrechung fort.
Wären das aggressive, undankbare und vor allem unattraktive Publikum und die bedrückende Hitze allerdings nicht genug Grund gewesen, mir selbst das Versprechen abzunehmen, nie wieder eine derartige Veranstaltung aufzusuchen, so war ich mir spätestens am Rückweg, der sich als Spießrutenlauf zwischen Alkoholleichen, brüllenden Kleinkindern mit Luftballons und hässlichen Zöpfen, die von ihren Eltern verloren oder eventuell sogar ausgesetzt wurden (die Kinder, nicht die Zöpfe!), einigen Exhibitionisten und Neonazis herausstellte, klar: Nie wieder Festivals!