Was passiert, wenn die Gletscher schmelzen?
Vor uns die Sintflut #77
Man sagt, sie sind das Gedächtnis der Menschheit und ihrer Klimageschichte. An ihnen zeigt sich vieles, was vor Tausenden von Jahren passiert ist – wir sehen an ihnen aber auch, was die Menschen jetzt gerade verursachen. Aber was passiert eigentlich,wenn die Gletscher schmelzen?
Die Gletscher der Erde sind Tausende von Jahren alt. Sie sind stetig fließende Eismassen, die durch neuen Schneefall genährt werden. Der schnellste von ihnen, der Jakobshavn-Gletscher in Grönland, fließt stolze 17 Kilometer im Jahr. Weil sie immer in Bewegung sind, bringen sie manchmal tiefgefrorene Erinnerungsstücke ans Licht, in denen sie die Zeit angehalten haben: Die österreichische Pasterze hat zum Beispiel in den 90ern Zirbenäste ausgespuckt, die über 10.000 Jahre alt sein sollen. Forscher können mit solchen Funden herausfinden, welche Art von Vegetation in dieser Zeit geherrscht hat. Man weiß auch, dass sich auf vielen Gletschern Eis aus unterschiedlichen Klimaepochen überlagert.
So viel zum Gedächtnis der Menschheit. Und trotzdem werden unsere Enkel vielleicht nie einen Gletscher mit eigenen Augen sehen. Die Gletscher schmelzen. Island betrauert seinen ersten komplett verschwundenen Gletscher, den Okjökull. Im Himalaja soll bereits ein Viertel des Eises geschmolzen sein. Wenn wir so weitermachen, könnte die Arktis ab 2030 im Sommer gänzlich eisfrei sein. Österreich herzt noch immer seine Pasterze, die jährlich zwischen 30 und 40 Meter zurückgeht und in den nächsten 40 Jahren komplett von der Erdoberfläche verschwunden sein könnte. Und: Der aktuelle Gletscherbericht des Alpenvereins hat den traurigen Spitzenreiter des Gletscherrückgangs erkoren. Von einem Gletscher der Venedigergruppe sind innerhalb eines Jahres 128 Meter Eis verschwunden. Ja, es gab auch in der Vergangenheit bereits Warmzeiten. Schon vor etwa 20.000 Jahren, beim Übergang aus der letzten Kaltzeit, sind im Anschluss an natürliche Temperaturanstiege Eismassen geschmolzen. Die jetzige Erwärmung ist allerdings nicht ausschließlich auf natürliche Auslöser zurückzuführen. Darin ist sich die ernstzunehmende Wissenschaft weitestgehend einig.
Mit dem Beginn der Industrialisierung (und der damit verbundenen Energiegewinnung durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas) waren nicht mehr nur Treibhausgase aus der Natur oder solare Einflüsse bestimmend für das Weltklima, sondern auch durch den Menschen zusätzlich produzierte „anthropogene“ Treibhausgase.
Und was kommt dann?
Man geht davon aus, dass auf die Gletscherschmelze Überflutungen, Erdrutsche, später aber auch Wassermangel und Dürre folgen. Die schmelzenden Eismassen können Gletscherseen zum Brechen bringen und Dörfer sowie Täler überschwemmen. Gleichzeitig sind Gletscher vielerorts eine wichtige Trinkwasserquelle, die längerfristig fehlen könnte. Wenn der Permafrost auftaut, steigt durch Stein- und Bergrutsche die Gefahr, dass Häuser, Lifte oder Berghütten wegschlittern. Apropos Permafrost: Seine Schmelze würde Massen von den eingefrorenen Treibhausgasen Methan und Kohlendioxid freisetzen.
Eine Eisschmelze würde auch einen Anstieg des Meeresspiegels bedeuten. Derzeit steigt dieser jährlich bereits um über 3,5 mm. Das wird langfristig zum Problem für Länder wie Grönland, denen wichtige Transportwege wortwörtlich wegschmelzen. Aber auch für Inselstaaten oder flache Regionen am Meer wie die Niederlande, die durch einen Anstieg des Meeresspiegels Lebensraum ihrer Einwohner verlieren. Schmelzen die Gletscher, sinkt auch der sogenannte Eis-Albedo-Effekt, der der Erde wie ein Sonnenschirm gegen die Hitze hilft. Das Eis reflektiert nämlich 85 bis 90 Prozent des eintreffenden Sonnenlichts, wodurch sich die Umgebung wenigerer wärmt. Das Meer, aber auch Wälder, reflektieren hingegen nur 10 Prozent und heizen sich durch die restlichen absorbierten 90 Prozent auf.
Und jetzt?
Laut ZAMG verbuchen wir seit 1900 durchschnittlich 0,9 °C mehr auf dem Weltthermometer. In Österreich sogar um bis zu 2 °C. 2018 war das bisher heißeste Jahr des Landes seit Beginn der Aufzeichnungen vor 253 Jahren. Wir hatten heuer den wärmsten, sonnigsten und trockensten Juni der Messgeschichte. Einen der fünf heißesten Sommer. Sieben Sommer der 2000 erstehen bereits auf der Liste der heißesten Sommer der Messgeschichte. Auch wenn es schon mal so warm war und auch wenn die Natur selbst beim Treibhauseffekt eine Rolle spielt: Fakt ist, dass der Mensch wesentlich zum Klimawandel beiträgt und ihn beschleunigt. Noch nie sind so viele Flugzeuge in der Luft oder LKWs auf der Straße gewesen, noch nie wurde so viel Regenwald abgeholzt, noch nie wurde so viel CO2 in die Luft geblasen. Der Mensch hat zweifelsohne das natürliche Gleichgewicht ins Wanken gebracht. Jetzt liegt es an ihm, die Reißleine zu ziehen und das Klima wieder ins Lot zu bringen, bevor es irreversibel kippt und es wirklich ungemütlich auf unserer schönen Erde wird.