Die allgemeine Ratlosigkeit der Kulturbranche

Die allgemeine Ratlosigkeit der Kulturbranche

Ein Versuch, sie zu fassen

Wir waren und sind immer dort, wo’s laut ist. Doch derzeit herrscht bis mindestens 31. August 2020 absolute Stille in der österreichischen Veranstaltungsbranche. Und in dieser Stille ist das Echo der Ratlosigkeit seit letztem Freitag so laut wie noch nie.

Nun hatten wir übers Wochenende etwas Zeit, die in der Pressekonferenz vorgestellten Maßnahmen für Kunst und Kultur zu verdauen. Doch irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass man die Tragweite und die Auswirkungen dieser Maßnahmen noch immer nicht ganz fassen kann. Denn wenn man einmal genauer nachdenkt, werden einem nicht nur die unzähligen offenen Fragen bewusst … nein, es beschleicht einen auch das Gefühl, dass nicht nur das Dach, sondern bereits das ganze Haus des österreichischen Kulturbetriebs in Flammen und damit kurz vor dem Kollaps steht.

Vorne weg müssen aber zwei Sachen in aller Deutlichkeit klargestellt werden: Natürlich ist unbestreitbar, dass die gesetzten Maßnahmen richtig und wichtig für unser aller Gesundheit sind. Dem widerspricht niemand. Wir stehen, wie vermutlich auch alle heimischen Veranstalter*innen und Künstler*innen, voll und ganz hinter dem Beschluss der Regierung. Außerdem muss darauf hingewiesen werden, dass dieser Artikel keine Antworten auf die vielen offenen Fragen liefern kann. Er soll mehr ein Festhalten dieser sein, um die eigene und brancheninterne Ratlosigkeit zusammenzufassen.

Auch wenn die neuen Maßnahmen der Regierung für Kunst und Kultur zu erwarten waren, sitz der Schock dennoch tief. Die Pressekonferenz hat nicht nur ein Gefühl der Ohnmacht hinterlassen, sondern nun auch jede noch so kleine Hoffnung auf so etwas wie auch nur ansatzweise Normalbetrieb zu Nichte gemacht. Auch an dieser Stelle noch mal in aller Deutlichkeit: Wir wissen, warum es keine so baldige Rückkehr zu Normalität geben kann. Jedoch muss die Frage nach der Zukunft nach fünf Wochen Stillstand gestellt werden, denn wie gesagt: Es brennt bereits! In diesem Kontext waren die Worte von Vizekanzler Werner Kogler und Staatssekretärin für Kunst und Kultur Ulrike Lunacek nur Tropfen auf dem heißen Stein, aus dem das Haus der Kulturbranche mittlerweile besteht. Denn ganz ehrlich: So ziemlich jedes Konzert – egal ob vor unter 100 oder über 10.000 Besucher*innen – und jede Party findet im Stehen auf engem Raum statt. 20m2 pro Person? Ähm ja, da braucht ihr nicht uns, um euch zu sagen: Das ist ein unumsetzbares Szenario!

(c) Heimo Spindler

Es ist ein Hin und Her zwischen Verständnis und einer aus der Machtlosigkeit geborenen Ungeduld. Egal, wie oft man sich selbst ermahnt und versucht, nicht gleich fordernd auf Antworten zu plädieren – denn man weiß, dass man diese nicht bekommen wird. Mittlerweile scheint nun ein Punkt erreicht, an dem das Gedulden nicht mehr so gut gelingt. Wir verstehen alle, dass wir abwarten müssen, jedoch kann man die vielen Fragen nicht verdrängen, so sehr man sich auch bemüht: Denn was wird ab Mitte Mai passieren? Was bringt uns die besagte Planungssicherheit, wenn viele Kulturschaffende bereits jetzt kurz vor dem Aus stehen? Wie soll sich das alles auch nur einigermaßen glimpflich lösen lassen? Wie viele Fonds kann und wird die Regierung zusätzlich für eine ganze Branche bereitstellen? Wie kann und wird es im Herbst weitergehen? Und wie gravierend und wie lange werden die Auswirkungen der Krise zu spüren sein? Von Frage zu Frage steigern sich die Ratlosigkeit und die Wut über das allgemeine Unvermögen, diese zu beantworten.

Auch die Großen der heimischen Veranstaltungsbranche stehen vor massiven Herausforderungen. Die neu gegründete Interessensgemeinschaft Österreichische Veranstaltungswirtschaft kritisiert vor allem die Tatsache, dass die weitreichenden Maßnahmen der Regierung ohne Absprache mit der Branche beschlossen wurden. Die Regierung wisse anscheinend gar nicht, um welche Dimensionen es hier geht: „Wir reden von 8,5 Millionen verkauften Tickets im Jahr. Von Hunderttausenden Nächtigungen, Tourismuseffekten und einer Wertschöpfung von 5,8 Milliarden Euro, die wir auslösen“, so ihre Vertreter, zu denen unter anderem Ewald Tatar (Barracuda Music), Christoph Klinger (Ö-Ticket, Eventim), Matthias Rotermund (Live Nation) und Klaus Leutgeb (Leutgeb Entertainment) gehören. Ganz abgesehen von den fehlenden Einnahmen trotz laufender Kosten, stellt vor allem die Ticketrückerstattung derzeit ein kaum lösbares Problem dar. „Die Regierung fasst einen Beschluss, präsentiert aber gleichzeitig keine Regelung, was mit den schon 5,5 Millionen verkauften Tickets passieren soll“, so Ewald Tatar im Gespräch mit der Kronen Zeitung. Jedoch brauche es für potenzielle Lösungen, wie beispielsweise durch ein Gutscheinmodell, rechtliche Hilfestellung und vor allem Gespräche mit der Regierung. Und zwar so bald wie möglich!

Und bevor an dieser Stelle auch gleich wieder der Monopolvorwurf kommt, sei zu bedenken, dass auch an diesen Großkonzernen Tausende Mitarbeiter*innen sowie unzählige kleinere Partnerunternehmen (von Logistik über Technik bis hin zu Gastronomie) hängen, die um ihre Existenz bangen. Und damit das alles nicht so abstrakt klingt und ihr ein konkretes Firmenlogo dazu im Kopf habt: Wir sind ebenfalls weitreichend betroffen! Als Presenter des Nova Rocks und Festivalvermarkter haben wir in den letzten Jahren unzählige Projekte mit verschiedensten Kund*innen vor Ort umgesetzt – HOFER Grill Area, ÖBB Railaxed Base & Area, VOLUME Win & Chill Area powered by Raiffeisen, unser Autogrammzelt powered by Red Bull MOBILE, you name it. Von unserem Magazin mit seinem Vertrieb bei Konzerten, in Venues, Clubs und Bars oder auf den Universitäten und Fachhochschulen ganz zu schweigen. Auch wir verlieren durch die derzeitigen Maßnahmen eine Menge Geld und können bis auf Weiteres keine Printausgaben mehr produzieren. Wir wollen an dieser Stelle kein Mitleid heischen, sondern nur verdeutlichen, wer oder was an dieser Branche alles dranhängt.

(c) Thomas Ranner
Doch genug von uns. Was ist mit den mittleren bis kleinen Konzert- und Partyveranstalter*innen, Venue- und Clubbetreiber*innen? Mit den Booker*innen, Promoter*innen und Labels? Mit all jenen, die im Hintergrund der Bühnen und Dancefloors die Fäden ziehen und einen reibungslosen Ablauf ermöglichen? Und denjenigen, die auf der Bühne oder hinter den Decks immer wieder für unvergessliche Konzertmomente und Partyerlebnisse sorgen? Den Künstler*innen, deren Haupteinnahmen aus den Live-Auftritten und den Verkäufen von Merchendise bei Gigs stammen? Wir haben einige von ihnen vor gut einem Monat befragt – nachzulesen in der Artikelreihe „Stimmen aus der Branche“. In diesem Kontext ging es auch um die finanzielle Tragbarkeit der Situation und wie lange diese denn möglich sei. Nun ja, bereits in den Tagen nach der Bekanntgabe des ersten Veranstaltungsverbots waren die Aussichten vieler Vertreter*innen alles andere als rosig: Lange hält man das nicht ohne finanzielle Unterstützung durch – ein paar Monate, bis Ende April, bis zum Sommer oder maximal Ende des Sommers, mit Kredit vielleicht bis Ende des Jahres. Die Mittel sind enden wollend, die Ideen für neue, kreative Einnahmequellen zwar weitreichend vorhanden, doch deren Umsetzung schwierig, denn das Live-Erlebnis kann einfach nicht ersetzt werden. Auch die Informationen zu den verschiedensten Härtefonds scheinen teilweise verwirrend oder noch nicht richtig auf die Kulturunternehmen und Künstler*innen zugeschnitten. Dabei stellen sich auch ganz grundlegend die Fragen: Kann eine ganze Branche vom Staat überhaupt aufgefangen werden? Und wird er das tun? Denn wie hoch wird die Systemrelevanz der Unterhaltungsbranche gesamtgesellschaftlich und vonseiten der Regierung überhaupt eingeschätzt? Wird man die Vielfalt der heimischen Branche, so wie sie jetzt ist, erhalten können?

Aber auch die langfristige Komponente erscheint ungewiss. Wie viele Ressourcen kann der Staat für die Kulturbranche nach der Corona-Krise noch aufbringen? Aktuell werden Milliarden in die unterschiedlichsten Rettungspakete gepumpt. Zum Glück, denn damit werden unsere Jobs gesichert und Firmen vor dem Konkurs bewahrt. Wenn jedoch das Schlimmste überstanden ist, wird man den Gürtel enger schnallen müssen. Ob in der Welt nach Corona gleichviel Budget wie vor der Krise für kulturelle Einrichtungen aufgebracht werden kann? Wir werden sehen …

Die Verunsicherung ist groß, die Ratlosigkeit branchenumfassend. Sie hat sich auch unter den Zuversichtlichen, die sich wacker so lange wie möglich geschlagen haben, breitgemacht. Auch zum Schluss noch einmal: Natürlich sind die getroffenen Maßnahmen richtig und wichtig, doch wie groß wird der Schaden nach der Krise sein? Wer wird sie überleben? Wie viele Venues und Clubs werden zusperren müssen? Wie viele Künstler*innen und die Menschen, die sich im Hintergrund um ihre Vermarktung oder ihre Performance auf den Bühnen kümmern, kommen durch? Über all dem schwebt die wohl schwierigste Frage: Wann werden wir uns bei Konzerten und Partys wiedersehen?

Wie schon zu Beginn angekündigt, haben wir keine Antworten auf diese Unmenge an Fragen. Wir müssen uns wohl oder übel an die neue Ratlosigkeit und das Abwarten gewöhnen. Heißt: Wir werden jetzt zwar alle etwas leise sein müssen, um irgendwann wieder gemeinsam laut werden zu können. Doch klar sollte sein, dass Festivals, Konzerte und Partys in unser Leben zurückkehren werden. VOLUME auch! Doch hoffentlich bevor eine gesamte Branche in Schutt und Asche liegt.


Foto (Header): Heimo Spindler