Hexenkessel der Verurteilten
Let's Talk About Sex #42
Bei Beziehungen, erotisierenden Affären, impulsiven One-Night-Stands oder einfach nur traumhaften Schwärmereien meinen wir, besonders wenn es fremde Herzensangelegenheiten betrifft, einem spezialisierten Expertentum anzugehören. Wir fühlen uns bemüßigt, das Verhalten unserer Mitmenschen vorurteilsbehaftet, mit einem mikroskopisch sezierenden Blick, zu beäugen. Wann kommt der Zeitpunkt, an dem wir erkennen, dass das Fegefeuer der Polarität, das über Gut und Böse richtet, sich wie ein unaufhaltbares Lauffeuer ausgebreitet und am Schluss auch uns selbst mit seinen vernichtenden Flammen umzingelt hat?
Am Gipfel der Hochmütigkeit werfen wir die von der Norm abweichenden Individualitäten in einen Hexenkessel und schwingen verachtend unseren Kochlöffel. Jede eigene Geschichte wird mit den anderen vermischt und ein und demselben vorurteilsbehafteten Werturteil unterzogen, wobei eine Zutat, wie das Salz in der Suppe, stets fehlt, nämlich Mitgefühl.
Unser Hochmut macht uns blind für die fehlende Zutat. Erst wenn wir selbst von anderen in den Hexenkessel der Verurteilten geschmissen werden und unser Schicksal in der geschmacklosen Brühe unter ihren Händen zerfließt, hoffen wir auf Barmherzigkeit und das sie nicht mit einer ebenso herzlosen Blasiertheit über uns richten, wie wir es einst selbst getan haben.
Urteile nicht über mich, bevor du meine Liebesschuhe nicht selbst getragen hast, denn erst dann wird dir klar, wie schmerzvoll ein Lebensweg mit Blasen an den Füßen sein kann.
Niemand ist davor gefeit Fehler in der Liebe, in Beziehungen oder auch in Freundschaften zu machen. Mögen wir sie stets wie Steine in unserem Rucksack der Erinnerung bei uns tragen, und mit ihrer Hilfe Brücken über jede emotional in die Tiefe reißende Schlucht bauen. Der, der lernt, aus seinen Fehlern Brücken zu einem einfühlsameren und urteilsfreien zukünftigen Leben zu bauen, ist ein Weiser. Der, der geneigt ist, seine Fehltritte zu wiederholen, ist dazu verflucht, sein Dasein in einer Endlosschleife der Narrenhaftigkeit zu fristen.
In der Liebe und im Leben gibt es keine falschen Entscheidungen. Jeder Fehler, den wir machen, transformiert sich am Ende zu einem Teil unseres unbezahlbaren Erfahrungsschatzes und schleift uns dabei vom glanzlosen Rohdiamant zu einem in der Sonne glitzernden Kristall der Erkenntnis. Nicht die Anderen leben, lieben und leiden wie wir in unserem Leben, deswegen sollten außenstehende Meinungen, wie Pfeile an unserem individuellen Schutzschild abprallen.
Wir müssen uns vor niemandem rechtfertigen, wen und warum wir lieben. Wenn wir auf Verständnis der Außenwelt warten, manövriert uns dies zuweilen in eine gefühlsmäßige Eiszeit, die uns nur unserer Lebendigkeit beraubt. Lassen wir lieber unsere vermeintlich „falsche Liebe“ das Licht auf unserem Lebensweg zum wahren Glück sein. Und wer weiß, vielleicht vermag sie nach einer Zeit sogar die gefrorenen Herzen unserer einstigen Henker zum Schmelzen zu bringen. Wenn nicht, möge sich ihr Antlitz in den Flammen des Fegefeuers, in das sie uns mit ihren Vorurteilen geworfen haben, zu einem Spiegel für ihre eigene Unzulänglichkeit verwandeln und sie demütig in die Knie sinken lassen.