Früher war ich viel mehr Hardrock
Innenleben #56
Vor ein paar Wochen spielten Skunk Anansie in der Arena Wien. Skin! Eine anbetungswürdige Frau. Wunderschön. Stark. Laut. Und unfassbar cool. Während Anne und ich da so standen und uns unweigerlich die Tränen in die Augen schossen, kroch die Tina der 90er Jahre in mir wieder hoch.
Damals … ja damals … war ich eine kleine Landpomeranze mit leichten Punkakkorden. Die CD-Sammlung war neben Skunk Anansie geprägt von Cypress Hill, den Sex Pistols und Korn. Letztere waren sowieso die erklärte „beste Band der Welt“. Ich hatte haartechnisch gerade alle Farben durch und brauchte mal wieder eine Veränderung. In jungen Jahren ist ja nichts leichter als sich von einem Tag auf den anderen einfach mal wieder neu zu erfinden. Zumindest glaubt man das. Ich griff zum Rasierer meines Bruders und rasierte mir, nachdem ich die Funktionsweise an einer alten Puppe erprobt hatte, eine Glatze. Nach dem grungigen Orange waren meine Haare ohnehin dezent ramponiert, sodass der totale Kahlschlag quasi die logische Konsequenz daraus war. Glücklicherweise hatte ich eine durchaus kompatible Kopfform. Neben Skin schwärmte ich für Ville Vallo von HIM und so ließ ich mir das Herz-Tattoo am Handgelenk stechen. Für ein paar Monate trug ich auch ein Piercing in der Augenbraue. Inspiriert vom Sänger von Silverchair. Hach ja, ich war ein Fähnchen im Wind … und fühlte mich dabei wie eine ganz harte Socke.
Musik lässt uns das Leben intensiver spüren. Musik an, Emotion rein. In meinem Hang zum Herz-Schmerz bin ich heute nicht mehr Hardrock. Heute bin ich Singer-Songwriter im Midtempo-Leiden von Oasis und dem sinistren Weltschmerz von Joy Division – mit einem Hauch von Lana Del Rey. Klingt nicht nur anstrengend, ist es auch. Und vielleicht ist Musik ja auch mit der Grund, warum man manchmal diesen einen Tick zu lange braucht um über Beziehungen hinwegzukommen. Mit Tom Odell in der Dauerschleife kann man seinen Liebeskummer ja fast schon masochistisch ausdehnen. Während man in Embryo-Stellung eh schon brach liegt, haut „I wanna cry and I wanna love but all my tears have been used up“ – muhuu – nochmal richtig drauf und sagt dir, dass nur du weinst, und nicht der andere, aber bei dem ist ja auch alles ganz tragisch und kompliziert, eh schon wissen. Meine Güte, warum tut man sich das eigentlich an? Wäre es zur emotionalen und mentalen Ablenkung nicht sinnvoller in den Zuckerlhaufen von Katy Perry einzutauchen oder – wahrscheinlich etwas zielführender als seichter Pop-Rock – sich das Hirn von The Prodigy durchkneten zu lassen? Aber nein, man sitzt in seinem Zimmerlein und brütet stundenlang in trauriger Musik vor sich hin. Wobei, man stelle sich mal vor, wie die Szene ohne musikalische Untermalung aussehen würde … dann würde man nur da sitzen und die Wand anstarren. Hui, ja DAS wäre besorgniserregend. So bringt zumindest die Musik einen aktiven Part in die ganze Sache rein und legitimiert das Setting. Die imaginäre Kamera schwenkt dann schön um dich, zoomt ein bisschen vor sich hin und verliert sich schließlich im Panorama aus dem Fenster raus. Gott sei dank ist das Leben kein Stummfilm!