Digitale Schlussstriche
Innenleben #54
Manche Geschichten verlaufen in Fast Forward. Während ich gerade noch das Gefühl hatte, dass eigentlich erst der Vorspann läuft, findet die Geschichte ein jähes Ende via Facebook-Messenger: „Du, sorry, du bist echt nett, aber ich glaube, wir sollten uns nicht mehr treffen.“
Also tausche ich die vielzitierte rosarote Brille gegen eine Lesebrille und scrolle durch den Nachrichtenverlauf der letzten Wochen: Loading Older Messages … Das vorsichtige Herantasten an jedes neue Treffen, der Anspruch auf Kreativität in jeder ersten Nachricht eines neuen Tages, das verlässliche Vermeiden von Zwinkersmileys seinerseits, nachdem ich erwähnte, dass ich den Dingern nicht traue, und schlussendlich nun dieser halbe Quasi-Schlussmach-Roman mit dem üblichen Blabla. Och, das Foto, als wir zusammen beim Tätowierer waren und uns die Initialen des Anderen stechen ließen. Leicht schmerzhaft, aber so romantisch. Quatsch! Kleiner Scherz. Es war eine seichte Wochenendgeschichte, deren Zeit dazwischen mit Schreiben via Facebook-Messenger ausgefüllt war.
Irgendwie sehr praktisch hier unsere ganze Geschichte nochmal nachzulesen. Konserviert und archiviert. Titel: Tina und der Bursche mit den Sprichwörtern, ein Klappentext. Zur Verfilmung reicht es dann doch nicht. Aber STOP. Will ich das überhaupt für alle Ewigkeit hier nachlesen können? Für meine emotionale Heilung erscheint mir das ja nicht sonderlich förderlich. Ich verliere mich ohnehin schon viel zu oft in Bildern aus der Vergangenheit. Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich es sogar als Hobby angeben.
Da war zum Beispiel der Moment, als ich anfing, meinen Exfreund Philipp ein bisschen weniger zu mögen. Wir saßen an einem Freitagabend im Cafe Spitt. Und während ich gerade noch überlegte, ob ich motiviert für die Party danach im WUK bin, hatte Philipp es schon entschieden. Er sei dafür, dass er alleine hingehen wird. „Ich glaube, es ist besser, wenn du nicht mitkommst.“ – „Oh … warum?“ – „Nur so.“ Vielleicht habe ich in diesem Augenblick entrüstet die Hände in die Luft geworfen nach dem Motto „Was soll denn das nun?!“. Vielleicht bin ich aber auch nur dagesessen, habe geschwiegen und mir eine Zigarette gedreht. Ich weiß es nicht mehr so genau. Und da bin ich eigentlich ganz froh, dass Philipp keinen Facebook-Account hatte. Bei ihm kann ich nichts nachlesen. Da bleibt mir nur die Erinnerung. Meine Erinnerung.
Die Geschichte mit dem Sprichwort-Liebhaber ist hingegen in schwarzen Pixeln festgehalten. So viele Dialoge haben wir nur elektronisch geführt. Aber ich lebe lieber mit verschwommenen Erinnerungen als mit elektronischen Texten. Es ist nicht schlimm, wenn vergangene Gespräche mit der Zeit an ihrer ursprünglichen Komplexität verlieren. Es ist nicht nur nicht schlimm, es ist sogar gut. Es bedeutet, dass ich diesen Momenten nicht mehr so viel Platz einräume. Erinnerungen verschwimmen und Interpretationen kommen dazu. Aber nicht jede Geschichte ist es wert, in Erinnerung behalten zu werden. Ich suche mir meine Erinnerungen immer noch selber aus! Und eine Facebook-Nachricht? Fuck off! Nein, Schlussstriche zieht man nicht mit dem Facebook- Messenger. Wenn du merkst, dass das Pferd tot ist, dann steige ab – oder lösche den Chatverlauf. Altes indianisches Sprichwort.