... And My Heart Goes Boom
Innenleben #51
Eigentlich haben wir uns ja gerade erst kennengelernt, es ist halb sechs Uhr morgens und wir liegen gemeinsam auf der Couch. Im Fernsehen läuft Hitchcocks „Die Vögel“ und ich habe beschlossen, dass ich diesen Mann behalten will.
Jetzt also aufpassen, dass sich dieser Gedanke nicht verselbstständigt. Meine Gefühlswelt folgt eher nicht dem erzählerischen Spannungsbogen eines amerikanischen Thrillers und so würde ich am liebsten meine Erkenntnis – narrativ vielleicht leicht unpassend – gleich mitteilen. Also durchatmen und auf keinen (keinen!!) Fall auf Ted Mosby machen. Um mich abzulenken, versuche ich mich an Hitchcock-Trivia-Facts zu erinnern. „Wusstest du eigentlich, dass Hitchcock nicht viel von Anschlusslogik hielt? Es gibt den einen Film, ich glaube es ist bei Marnie, wo während eines Dialogs die Wohnzimmerlampe im Hintergrund dreimal den Platz wechselt. Oder die Zigarette, die in jeder Einstellung eine andere Länge aufweist.“ Hui, ich langweile mich ja selbst während ich rede. Vielleicht ist es im Moment auch gar nicht notwendig zu reden.
Also überlege ich mir, wie es im realen Leben eigentlich mit Anschlusslogik aussieht. Wenn dies der Beginn einer ganz großen Geschichte wäre … was passiert in der nächsten Szene? Ist ein Kuss dramaturgisch schon gerechtfertigt? Oder muss ich noch ein paar Seiten im Drehbuch abwarten bis es soweit ist? Omg, ich pack’s so gar nicht, wie umwerfend er ist! Ich kann mich kaum erinnern, wann mich das letzte Mal jemand so umgehauen hat. Selten habe ich mich einem Menschen so nah gefühlt. Manchmal kommst du jemandem näher und du glaubst, das könnte etwas werden. Dann trifft man sich ein, zwei, drei Mal und schaut sich das Ding an. Und auch wenn es sich nicht so schlecht anfühlt, fehlen dann doch immer noch diese paar Zentimeter zum Absoluten. Man würde sich am liebsten selbst in die richtige Richtung schubsen, weil irgendwie könnte es ja vielleicht eh passen. Aber hier ist es anders. Hier glaube ich nicht, hier weiß ich es. Hier trennt uns nicht ein Millimeter voneinander. Nicht nur bildlich gesprochen. Das hier fühlt sich einfach total gut und absolut richtig an.
Langsam fallen meine Augen zu. Es ist spät, wir haben einiges getrunken und er hält mich so wunderbar in seinen Armen. Nur der Kopf ist hellwach und spielt „Should I Stay Or Should I Go“ von The Clash in der Endlosschleife: Bleiben oder heimgehen? Er streichelt meinen Arm und ich schwebe mit Hitchcocks Vögeln auf Wolke 7 davon. Ich schließe meine Augen. Ja, genau das ist es. Genau das will ich. Hier will ich bleiben. Im Widerspruch zu aller emotionalen Logik steht mein Körper aber dann doch auf. „Ich mach mich mal auf den Heimweg.“ – „Schon wieder?“ – „Diesmal wirklich.“ Als ich mir im Vorraum die Stiefel anziehe, schmeiße ich mein Drehbuch weg. Ich glaube, ich will ihn zumindest noch küssen, bevor ich jetzt gehe. Ja, ich glaube, ich würde gerne wissen, wie der Vater meiner zukünftigen Kinder so schmeckt. Bis zum großen Happy End dauert es ohnehin noch länger. Was ist da schon ein Kuss in der ersten Szene? Spannend bleibt es ja trotzdem. Mag sein, dass sich ein Kuss in der ersten Szene eines Thrillers nicht so gut macht. Aber als Cliffhanger am Pilotfolgen- Ende der neuen Staffel meines Single-Soap-Opera-Lebens ist er doch irgendwie grad sehr perfekt.