Mo, 2. Mrz 2009

Ich bin ein Stalker - Face Book

Text: Katharina Seidler

  
Victoria wird gerade mit ihrem Jus-Studium fertig, hat ein Auslandssemester in Belgien gemacht, geht gerne ins U4 und ist in einer offenen Beziehung mit Stefan. Heute ist sie ziemlich verkatert vom Wochenende, muss aber leider für ihre Prüfung lernen, zu der ihr zwei ihrer Freunde Glück wünschen. Ihre Haare sind jetzt blond, sie hat ein bisschen zugenommen, und in den Ferien war sie in Kitzbühel. Zum letzten Mal gesehen habe ich sie vor wahrscheinlich sieben Jahren; unser letztes und einziges Gespräch hatten wir einmal auf dem Gang in unserer früheren Schule. Warum ich trotzdem so viel über sie weiß?

Richtig geraten. Ich bin einer dieser beschissenen Loser, die den ganzen Tag vorm Computer rumhängen, um in fremden Leben herumzuschnüffeln. Was soll’s – Facebook ist das neue Wohnungsputzen! Oder Bücher ordnen! Sprich: die perfekte Ablenkung vom Lernen, Nachdenken, Tagespensumerfüllen. Und eine Art perverse Befriedigung des Sozial-Voyeurismus wird gleich mitgeliefert.

Wen ich noch auf Facebook als Freunde habe: meine ehemaligen Babysitting-Kinder (eines davon hat jetzt größere Brüste als ich), ein paar Referatskollegen von der Uni (einer ist bei einer komisch aussehenden Studentenverbindung und mir demnach jetzt unheimlich), meine früheren Pfadfinderleiter (samt ihrer Babyfotos), mein Friseur, und und und. Die meisten Leute fühlen sich, wenn sie sich gerade einen Facebook-Account eröffnen, irritiert und gestört dadurch, dass man beim Einloggen sofort alles aufgezwungen bekommt, was sämtliche „Freunde“ gerade denken, machen, untereinander besprechen, wie ihr Wochenende war oder ihr neuer Haarschnitt aussieht. Doch keine Angst, diese Phase geht vorbei! Schon bald ist man dem Voyeurismus verfallen und ertappt sich beim Stöbern auf den Seiten anderer. Man gewöhnt sich auch schnell daran, dass selbst beinahe fremde Menschen sich in die eigenen „Pinnwand-Konversationen“ einmischen, Fotos eines gemeinsamen Bekannten, auf denen man zu Silvester letztes Jahr kurz vorm Kotzen ist, kommentieren, ja noch schlimmer: Man beginnt selbst damit! Das ist dann der Anfang vom Ende.

Allgemein wird mir gesagt, dass ich halbwegs interessiert und nicht ganz deppert bin. Warum ich dennoch täglich um die zwei Stunden im Facebook verbringe? Ohne irgendwelche liebevollen Nachrichten an Freunde, die in aller Welt verstreut sind, zu verschicken (dafür ist die Plattform nämlich wirklich gut geeignet und extrem praktisch)? Wieso sehe ich mir stundenlang die Skiurlaubs-Fotos von Menschen an, die mir komplett egal sind, die ich auf der Straße eher nicht grüßen würde, um nicht nach einer Minute Smalltalk in unangenehmes Schweigen zu verfallen? Wobei: Gesprächsstoff hätte man dann ja: „Wie war deine Prüfung, Victoria, hast du dich von Silvester schon ausreichend erholt, wie läuft´s mit deinem Freund?“ Aber man will sich ja nicht als Stalker outen oder als einsamer Asozialer, der den ganzen verfickten Tag am Computer sitzt und kein eigenes Leben hat. An diesem Punkt stelle ich jetzt allerdings mal die gewagte Behauptung auf: Man kann mit fast hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass der andere – so er jeden Tag ins Facebook online kommt, was ja auch sehr leicht nachzuprüfen ist – dich ebenfalls im Bikini kennt (Ferienfotos aus Spanien), deinen Freund von hinten erkennen würde und von deiner Schlaflosigkeit in letzter Zeit weiß.