Hippiesker Mumpitz

Hitchhiker's Guide To Europe #76

Piran war an jenem Nachmittag angenehm verschlafen. Die Häuser standen mit geschlossenen Fensterläden wie die Leibgarde der Stadt mit roten Ziegeldächern behelmt im Kreis rund um das Zentrum. Die Fassaden strahlten in hellen Farben das warme Sonnenlicht auf den Hauptplatz.

Hier am Meer war es nicht mehr unerträglich heiß. Vom Hauptplatz führte eine Straße zum Hafen hinunter. Von dort wehte eine salzige Brise hinauf in die Stadt und tauchte den nur spärlich besuchten Platz in ein mediterranes Geruchserlebnis. Ich verbrachte den Nachmittag damit, mir in den engen Gassen Pirans die Füße zu vertreten. Gegen Abend erklomm ich die alte Stadtmauer im Osten. Von ihren Zinnen und Türmen bot sich mir ein herrlicher Ausblick über die Stadt, die sich auf einer kleinen Halbinsel nach der Adria streckte. Dahinter versank gerade die Sonne im Meer und tauchte den Himmel in ein Farbspektrum, das von milchig-weiß bis glühend Orange reichte. Etwas weiter im Norden konnte ich die trüben Umrisse der Julischen Alpen erkennen. Hinter ihnen türmten sich schwarze Wolken auf. Blitze zuckten und brachten die Wolken immer wieder still zum Leuchten.

Ich setzte mich auf eine der Bänke der Stadtmauer und beobachtete ein paar wenige Segelboote, die immer wieder die blasse Spur der Sonne auf der funkelnden Wasseroberfläche kreuzten. Ich blieb, bis es dunkel war. Dann ging ich wieder in die Stadt hinunter und begab mich auf die Suche nach einer Jugendherberge. Obwohl es schon nach 22 Uhr war, machte ich mir keine Sorgen: Sollte ich keine Unterkunft finden, würde die Stadtmauer passenden Ersatz bieten. Ich schlenderte mit meiner Tasche in der Hand durch die Straßen und inhalierte die lauen Abendstunden. Die kopfsteingepflasterten Gässchen wurden hie und da von elektrischen Laternen eher schüchtern als effizient beleuchtet. Ihr schwaches Licht tauchte alle paar Meter an einer der Hausmauern auf.

Ich mochte diese zurückhaltende Ineffizienz sehr und dachte mit Schaudern an die zwanghafte Perfektion in meinem heimatlichen Umfeld zurück. Die Häuser reihten sich ohne Abstand aneinander, immer wieder zweigte eine noch kleinere Gasse in einen noch zwielichtigeren Winkel ab. Jemand lehnte im Erdgeschoss aus einem Fenster und rauchte. Ich sah im Dunkeln die Zigarette glimmen. Im zweiten Stock des Hauses gegenüber hörte man durchs offene Fenster den Fernseher des Nachbarn eine Sportveranstaltung übertragen.

Sie verschmolzen epileptisch in Trance tanzend und fiebrig kreischend. Die Substanzen wirkten.

Ich traf nur wenige Menschen an, bis ich plötzlich vor einem Springbrunnen stand, rund um den ausgelassen getanzt und musiziert wurde. Zuerst dachte ich an hippiesken Mumpitz, dann an „Kumbaya, My Lord”. Das „Musizieren“ war wildes Getrommel. Publikum und Musiker, es waren etwa 30 an der Zahl, waren nicht voneinander zu unterscheiden und verschmolzen epileptisch in Trance tanzend und fiebrig kreischend. Die Substanzen wirkten. Am Rande dieser grotesken Performance sah ich zwei Typen mit Dosenbier. Sie waren offensichtlich fehl am Platz. Ich ging auf sie zu, und fragte, wo man hier noch ein Bett für die Nacht bekommen könnte.

RETO ALLEMANN WAR AUF DER REISE SEINES LEBENS. WIE EINE FLASCHENPOST LIESS ER SICH ALS ANHALTER VOM ZENTRUM EUROPAS AN DESSEN RÄNDER UND ZURÜCKTREIBEN, LERNTE ZWISCHEN STONEHENGE UND HAGIA SOPHIA SICH SELBST UND ANDERE KENNEN UND VERÖFFENTLICHT JETZT IM VOLUME SEIN REISETAGEBUCH.

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