Harden the fuck up!
Hitchhiker's Guide To Europe #77
Meine zwei neuen Bekannten luden mich auf ein paar Bier in einem kleinen Café in der Nähe ihres Hostels ein. Zuvor hatte ich ein Bett für ein paar Tage im Zimmer der beiden gebucht und meine Tasche dort in eine Ecke gestellt.
Luke war Mitte 30 und Australier. Er hatte einige Jahre in Irland als IT-Spezialist gearbeitet und war nun als Rucksacktourist über mehrere Wochen auf dem Weg zurück in seine Heimat. Lucas war Argentinier, Ende 20 und bereiste gerade Europa. Er war vor allem hier, um Fußballspiele zu sehen. Luke hatte einen roten Kopf, kaum Haare und war sehr motiviert, ein Bier nach dem anderen zu trinken. Mir war’s recht. Lucas, er war dünn und hoch, trank zur Sicherheit nur jedes Zweite mit. „You need to harden the fuck up“, war offensichtlich Lukes Motto. Wer zu langsam trank, oder etwa nicht immer, musste nun mal abgehärtet werden. Ich trank mit Luke etliche Biere und erzählte den beiden von meinen Magenproblemen. „You need to harden the fuck up!“ Wie auch immer.
Nach zwei Stunden schlurften wir in unser Hostel zurück. In unserem Zimmer trafen wir eine etwa 20-jährige Österreicherin. Als sie meinen deutschsprachigen Hintergrund entdeckte, wirkte sie nahezu erlöst. „Endlich jemand, mit dem man Deutsch sprechen kann.“ Sie hatte gerade vor zwei Tagen die slowenisch-österreichische Grenze passiert und war offensichtlich schon an ihrem kulturellen Anschlag angelangt. „Viel Glück“, dachte ich mir und verkroch mich, so wie meine beiden Trinkkumpanen, leise seufzend ins Bett. Aus einer ruhigen Nacht wurde leider nichts. Schon nach einer Stunde meldete sich mein Problem. Ich stieg die enge, knarrende Holztreppe hinunter zum Klo und kackte unter großen Schmerzen. Das Ganze wiederholte sich neun Mal im Abstand von etwa einer Stunde. Beim letzten Mal war mir zu viel Blut im Spiel. Noch einmal kämpfte ich mich erschöpft auf meine Matratze zurück und schlief ein Weilchen den fiebrigen Schlaf eines Ausgelaugten. Danach stand ich auf (es war niemand mehr da), bugsierte meine gebrauchte Wäsche in die Waschmaschine, die draußen vor unserem Zimmer stand, und setzte mich vor den Computer unten im Aufenthaltsraum.
Im Internet hatte ich schnell einen Arzt gefunden. Er war in der Nähe des Stadtzentrums. Ich ging mit weichen Knien und nur noch wenig Kraft in Richtung der Ordination, passierte dabei den sonnigen Hauptplatz und fand mich endlich im Warteraum wieder, als mich jemand aufforderte, das Büro der Ärztin zu betreten. Ich schilderte ihr meine Lage und schloss mit den Worten: „There is blood, where there should be no blood.“ Erst jetzt wurden ihre Augen größer und ich verstand, dass sie verstand. Sie drückte mir einen Zettel in die Hand und legte mir nahe, gleich das städtische Krankenhaus aufzusuchen. Ich ging zur selben Bushaltestelle, an der mich Ilka hatte aussteigen lassen und nahm dort den nächsten Bus. Er fuhr an Ilkas Haus vorbei.
Die Endstation war das Krankenhaus. Ich stieg aus und war überrascht, wie schlecht ich mittlerweile beieinander war. Ich erreichte die Rezeption und stammelte etwas auf Englisch, während ich der Angestellten den Zettel überreichte. Sie beschrieb mir den Weg zur zuständigen Station. Ich schwebte durch die leeren Hallen und Gänge des dunklen Gebäudes und hatte das Gefühl, der einzige in diesem Verlies zu sein. Ich fand, was ich suchte. Keine zehn Minuten später wurde ich aufgerufen.
RETO ALLEMANN WAR AUF DER REISE SEINES LEBENS. WIE EINE FLASCHENPOST LIESS ER SICH ALS ANHALTER VOM ZENTRUM EUROPAS AN DESSEN RÄNDER UND ZURÜCKTREIBEN, LERNTE ZWISCHEN STONEHENGE UND HAGIA SOPHIA SICH SELBST UND ANDERE KENNEN UND VERÖFFENTLICHT JETZT IM VOLUME SEIN REISETAGEBUCH.