Die Domäne der Dämonen

Hitchhiker's Guide To Europe #72

Im Zimmer angekommen, fiel mir ein, dass ich die Kamera in der Stadt vergessen hatte. Ich entschloss mich also, den ganzen Weg zurückzugehen. Nach etwa einer halben Stunde Fußmarsch war ich wieder im Zentrum und suchte den Platz, an dem ich die estnische Schönheit hatte ziehen lassen müssen.

Die Kamera war dort. Ich packte das Teil und machte mich wieder auf den Rückweg. Mir war noch genau so schlecht wie zuvor, doch der Weg gestaltete sich einfacher. Ich wusste wohin und es waren keine Touristen mehr auf den Straßen.

„WIR VERABSCHEUTEN MICH BEIDE.“

Ich erwachte nur wenige Stunden später über dem Waschbecken meines Zimmers, als sich mein Inneres unter lautem Röhren nach außen ergoss. Die Fäulnis in mir brandete endlich an Keramik. Zu meiner Erleichterung war ich immer noch allein und konnte mich total gehen lassen. Ich erstickte fast dabei. Die Brocken waren grün und groß, sodass sie nicht im Abfluss verschwanden. Sie füllten das Becken halb voll. Die süße Schwere, die den Raum erfüllte, hielt mich trotzdem nicht davon ab, wieder einzuschlafen. Ich war froh, die Nähe des Waschbeckens bei mir zu wissen. Die Ambitionen, noch weite Wege zu gehen, waren fürs Erste erloschen. Am Morgen hörte ich draußen am Gang Stimmen. Sie hallten durch das leere Haus. Ich eilte nach draußen, um die Putzfrau zu warnen. Mit Händen und Füßen entschuldigte ich mich, bevor sie den Raum betrat. Sie fing an zu putzen oder besser zu schöpfen. Ich fing an, mich wieder schlecht zu fühlen. Sie schwieg. Zu schwer lag der Geruch des Erbrochenen über uns. Wir verabscheuten mich beide. Ich wollte ihr helfen, doch sie verwies mich mit einer strikten Handbewegung auf meinen „Platz“. Den des Sünders. Unser Schweigen war die unsichtbare Wand, die uns vor dieser intimen Erfahrung, für die wir uns noch zu wenig kannten, schützte. Sie erledigte ihre Arbeit und verließ mich wieder. Es stank nach Verwesung. Mir war elend. Und trotzdem, noch gab es in Ljubljana Dinge zu entdecken.

Ich besuchte das örtliche Eishockeystadion, gönnte mir beim Slowenen eine Pizza, einen Rotwein sowie ein paar Schnäpse der lokalen Art, erklomm den Hausberg, besuchte eine mittelalterliche Burg und ging sogar in einen erbärmlichen Zoo. Außerdem fand ich am Stadtrand ein einsames Gebäude mit eingeschlagenen Fenstern und rostigen Türschnallen. Die Schubladen der Schreibtische in den hohen Räumen standen offen. Der Wind zerrte an der Bausubstanz wie Zeit an einem Menschenleben. Efeu kroch die schimmligen Wände empor. Ein gähnendes Relikt aus Stahl und Beton. Ein trauriger Irrtum der Geschichte. Die Vergangenheit rieselte als staubiger Verputz die Wände hinunter und wartete am aufgequollenen PVC-Boden als abgelaufene Sanduhren auf Erinnerung. Die Telefone läuteten nicht mehr. Die Sorgen der Angestellten waren verblasst. Die Feierabendsirene verhallt, die Gluten der Betriebskantine längst verdaut, die Beiratssitzungen verstummt. Der Schweiß des unter Druck geratenen Chefs verdampft. Und doch, die Geister des Plusquamperfekts irrten noch umher. Das Haus konservierte die Echos der Jahrzehnte. Windstöße wie tote Stimmen jagten einander durch die leeren Abteilungen, spielten mit verdorrtem Laub, das in den Ecken lag. Zur Sicherheit verließ ich die Ruine und begab mich auf die Suche nach einem Scheißhaus. Ich wusste saubere Toiletten mittlerweile zu schätzen.

RETO ALLEMANN WAR AUF DER REISE SEINES LEBENS. WIE EINE FLASCHENPOST LIESS ER SICH ALS ANHALTER VOM ZENTRUM EUROPAS AN DESSEN RÄNDER UND ZURÜCKTREIBEN, LERNTE ZWISCHEN STONEHENGE UND HAGIA SOPHIA SICH SELBST UND ANDERE KENNEN UND VERÖFFENTLICHT JETZT IM VOLUME SEIN REISETAGEBUCH.