Es war einmal HipHop 3 - Als Könige, Nomaden und Unsterbliche die Bronx bevölkerten
In den Jahren 1968 – 1973 regierten Jugendbanden die Bronx. Sie nannten sich etwa Seven Immortals, Savage Nomads oder Latin Kings und kleideten sich schon mal in SS-Helmen und Jacken der deutschen Wehrmacht, um furchteinflößender zu wirken. Warum tauchten sie plötzlich auf und verschwanden auch wieder so schnell? Und was hat das alles mit HipHop zu tun?
Die 60er, 70er und 80er waren die wohl schlimmsten Jahre für die Viertel der Bronx. Vor allem die South Bronx war von großer Armut, Ganggewalt, Junkies und einer allgemeinen Verwahrlosung betroffen. Die Bezeichnung „South Bronx“ steht auch weniger für einen genauen geographischen Bereich, sondern wurde zum Synonym für Gebiete der Bronx, die besonders stark von den genannten Problemen betroffen waren.
Die amerikanische Regierung – vor allem unter Nixon – begegnete den steigenden Schwierigkeiten des Viertels mit einer Strategie, die als „benign neglect“ in die Geschichte einging. „Benign neglect“ hieß ganz einfach gesagt, dass sie die Problembezirke und deren Bewohner sich selbst überließen und wegschauten. Mehr noch wurden öffentliche Mittel gestrichen und in der „brennenden Bronx“ wurden sogar Feuerwehrstationen geschlossen, anstatt Unterstützung aus anderen Stadtteilen zu holen.
Diese Form der Politik unterstützte unter anderem die Bildung von Jugendbanden, die ab 1968 die Straßen der Bronx regierten.
Als erstes bildeten sich weiße Gangs, deren Mitglieder vor allem aus den verbliebenen jüdischen, italienischen und irischen Familien stammten. Diese sahen nicht gern, dass „ihre“ Straßen immer mehr von Afro- und Lateinamerikanern bevölkert wurden und empfingen die Neuankömmlinge deshalb mit Abneigung und Gewalt. So schlossen sich – anfänglich rein zur Selbstverteidigung – auch Afroamerikaner und Lateinamerikaner zu Banden zusammen – die „gang wars“ nahmen ihren Lauf. Das Viertel war bald in sogenannte „Turfs“ unterteilt. Wurde ein Mitglied einer verfeindeten Clique im eigenen Revier ertappt, wurden ihm im besten Fall nur seine „Farben“ – also seine Jacke samt Emblem der jeweiligen Gang – abgenommen und er mit einer Tracht Prügel wieder vertrieben.
Bronx gangs of the 1970s auf einer größeren Karte anzeigen
Praktisch an jeder Straßenecke sprossen Gangs aus dem Boden. Es gab so viele, dass es unmöglich wäre, sie alle zu nennen. Einige der größten waren etwa die “Black Spades‘, ‚Savage Skulls‘, ‚Seven Immortals‘, ‚Savage Nomads‘, ‚Black Skulls‘, ‚Latin Kings‘, ‚Young Lords‘ oder ‚Ghetto Brothers”. Die Gangs richteten sich meist in einem der vielen verlassenen Häuser eigene Gemeinschaftsräume (ihr ‚Clubhouse‘) ein.
Dabei vertrieben sie nicht selten dort befindliche Junkies oder Drogendealer, die neben der Polizei und rivalisierenden Gangs die Hauptfeinde der jugendlichen Straßenkämpfer waren. Neben den negativen Auswirkungen wie den Revierkämpfen und Auseinandersetzungen mit anderen Gangs, gab es aber auch positive Aspekte der Jugendbanden. Wo die Regierung und die Polizei untätig blieben, legten Gangmitglieder Hand an und halfen der lokalen Gemeinschaft. Zum einen vertrieben sie etwa Drogendealer von den Ecken ihrer Gebiete, zum anderen assistierten bei der Errichtung von öffentlichen Räumen oder unterstützten die Bewohner sogar bei Ausmalarbeiten und dergleichen. Die 1979er Doku „80 Blocks from Tiffany’s“ gibt einen kleinen Einblick in das Leben der beiden Gangs „Savage Nomads“ und „Savage Skulls“.
Die Gang, die sich am meisten für die Allgemeinheit und Frieden im Viertel einsetzte, waren die Ghetto Brothers. Die Mitglieder ihrer Gang waren auch die einzigen,
die in ihren Gangjacken andere Gebiete betreten durften, da jeder wusste, dass sie sich für ein friedliches Miteinander einsetzten. Als 1971 ihr „Friedensminister“ Black Benjie bei dem Versuch, einen Gangstreit zu schlichten, ermordet wurde, riefen sie auch nicht nach Rache. Anstatt dessen organisierten sie ein Treffen, um einen Friedensvertrag zwischen den Gangs aufzusetzen.
8 Million Stories: Yellow Benjy from Andreas Vingaard on Vimeo.
Wenn auch nur kurz, führte diese Zusammenkunft zu einem vorübergehenden Waffenstillstand.
Ab der Hälfte der Doku „Flyin‘ Cut Sleeves“ kommen die damaligen Führer der Ghetto Brothers zu Wort und beleuchten im Nachhinein die Geschehnisse rund um diese Versammlung.
Die Ghetto Brothers boten ihren Mitgliedern durch die gleichnamige
Band zudem eine Alternative zum brutalen Gangleben durch Beschäftigung in Form von Musik. Sie veröffentlichten 1971 sogar ein Album mit dem Namen ‚Power-Fuerza‘. Dadurch nahmen sie einen wichtigen Aspekt von HipHop fast zwei Jahre vorweg. Denn eine wichtige Aufgabe der Bewegung gerade in den Anfangsjahren (und auch heute noch) war es, den Jugendlichen die Sicherheit einer Gang zu bieten, ohne jedoch der damit meist einhergehenden Gewalt durch Bandenkriege. HipHop gab ihnen die Möglichkeit, sich in verschiedenen kreativen Ausdrucksformen zu üben und diese sogar dafür zu nutzen, Streitigkeiten mittels Tanz oder Sprache anstatt mit Fäusten und Waffen auszutragen.
Als einer der ersten erkannte dies der damalige „Warlord“ der Black Spades, die über die Jahre zur größten Jugendbande New Yorks herangewachsen war. Als
14-jähriger hatte er fasziniert der Friedenskonferenz von 1971 beigewohnt und sich vorgenommen, Wege aus der Gewalt zu finden. Als er DJ Kool Herc das erste Mal auflegen sah, wusste er, wie er es anstellen wollte. Er begann kurz danach, selbst als DJ die Jugendlichen des Viertels weg von den Bandenkriegen hin zu ausgelassenen Blockparties zu bewegen. Er sollte als DJ Afrika Bambaataa und Gründer der „Zulu Nation“ in die Geschichte eingehen.
So markiert das Jahr 1973 nicht nur den Beginn der HipHop-Kultur, sondern läutete auch den Niedergang der New Yorker Jugendbanden ein. Durch Afrika Bambaataa wird deutlich, dass diese zwei Ereignisse nicht unabhängig voneinander vonstattengingen.
Bevor wir uns nun aber seinem Werdegang widmen, werde ich in der nächsten Ausgabe noch die Geschichte des „Father of HipHop“ DJ Kool Herc fertig erzählen. Warum ist so eine wichtige Figur der Kultur heute beinahe vergessen und wie kam es, dass er nie eigene Musik produzierte? Das und vieles mehr rund um Kool Herc erfahrt ihr nächste Woche, wenn es wieder heißt: „Es war einmal HipHop“.