Europameister der Herzen
Entbehrliches Wissen #58
Seit der Fußball EM ist klar: Island ist der neue Europameister der Herzen. Zeit, sich diesen zweitgrößten Inselstaat, in dem es bis 1989 ein Bierverbot gab, die Mehrheit der Bevölkerung an Elfen glaubt und selbst der Präsident mit dem Vornamen angesprochen wird, noch einmal genau anzu-hu-hu-hu-sehen.
Auch in anderen Dingen zeigen sich die Isländer nostalgisch und konservierend. So ist ihre Sprache seit 1000 Jahren fast unverändert. Der Anteil an Fremdwörtern ist sehr gering, neue Bezeichnungen werden in der Regel aus dem bereits vorhandenen Wortschatz geschöpft. Das Wort für Computer tölva entstand zum Beispiel aus den Wörtern für Zahl tala und Wahrsagerin/ Zauberin völva, heißt also übersetzt in etwa Zahlenmagierin. In vielen Bereichen gibt es außerdem sprachlich reiche Differenzierungen. Die Bezeichnung für gefleckt ist beispielsweise davon abhängig, auf welches Tier man sich damit bezieht. Ein Pferd kann demnach nicht so gefleckt sein wie ein Schaf oder eine Kuh. Die Grammatik ist sehr komplex, konjugiert wird fast alles, auch Zahlen. Außerdem können Sätze selbst ohne Nominativ gebildet werden und in der dritten Person Plural gibt es drei Geschlechter: für reine Männergruppen, Frauengruppen und geschlechtsneutral. Durchschnittlich jeder zweite Isländer schreibt im Laufe seines Lebens ein Buch. Und das macht sich bezahlt: Am 10. Dezember 1955 wurde Island vom Land mit der geringsten Literaturnobelpreisträgerdichte (0) zum Land mit der höchsten Literaturnobelpreisträgerdichte (1:300.000).
Eine Besonderheit betrifft außerdem die Namensgebung. Isländer tragen als Nachnamen den Vornamen des Vaters mit dem angehängten -son für Sohn bzw. -dóttir für Tochter. Auch bei einer Heirat behält jeder seinen Namen, die Kinder bekommen wiederum den des Vaters mit angehängtem Suffix. Als Alternative kann auch der Name der Mutter oder beide benutzt werden, das ist jedoch eher selten. Möchten Eltern ihrem Kind einen Vornamen geben, der davor noch nicht in Island verwendet wurde, muss dieser erst durch das isländische Benennungskomitee genehmigt werden. Die Wichtigkeit des Vornamens sieht man auch daran, dass Personenverzeichnisse wie Telefonbücher nach diesen und nicht nach dem Nachnamen sortiert sind.
Auch für die formale Anrede wird der Vorname benutzt. Die Nähe der Bevölkerung zueinander wird genutzt, um die genetischen Daten aller Isländer zu sammeln und die Ursachen von Erbkrankheiten zu erforschen. Daraus entstand unter anderem eine Inzestvermeidungs- App. Trifft man also auf einen netten Mann oder eine liebe Frau und möchte sichergehen, dass man nicht zu nahe mit ihm oder ihr verwandt ist, befragt man am besten sein Handy.
Allgemein bezeichnen sich die Isländer als nächstenliebend und friedfertig. Und obwohl es nicht einmal ein Militär besitzt, kam es zwischen 1958 und 1975 zu den sogenannten Kabeljaukriegen zwischen Island und dem Vereinigten Königreich. Dabei ging es um das Ausweiten der Fischereirechte, letztendlich gewann Island alle drei. Den Küstenschutz übernimmt die Küstenwache, die aus 120 Leuten, drei Booten, einem Flugzeug und ein paar Hubschraubern besteht. Und die isländische Polizei besitzt keine Schusswaffen, dafür aber einen sehr gut gepflegten Instagram-Account (@logreglan).
In aller Kürze
- In der isländischen Hauptstadt Reykjavík sind die Gehsteige beheizt, damit sie nicht zufrieren.
- Es gibt keinen McDonald’s auf Island.
- Im Jahr 2010 hatten 97,6% der isländischen Bevölkerung Internet.
- Pro Kopf haben Isländer europaweit die meisten Mobiltelefone und nach den USA den höchsten Stromverbrauch und die meisten Autos.
- Es gibt keine Gelsen auf Island.
- Island hat den weltweit höchsten Coca-Cola Verbrauch pro Kopf.
- Bis in die 1980er Jahre gab es am Donnerstag kein Fernsehprogramm, damit die Mitarbeiter auch einen Tag in der Woche freihatten.
- Wenn Islandpferde einmal die Insel verlassen, dürfen sie nie wieder zurück.
- 1983 gelang einer ausschließlich aus Frauen bestehenden Partei der Einzug ins isländische Parlament.
- Isländer haben nach Japanern die höchste Lebenserwartung.