Dating 2.0

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Entbehrliches Wissen #73

Als wäre die heutige Dating-Welt nicht ohnehin volatil, unbarmherzig und schlachtfeldartig genug, werden wir jetzt auch noch zum Vokabellernen verdonnert. Über Ghosting, Gatsbying, Zombieing und Co.

Der Mensch strebt evolutionstechnisch seit jeher danach, Muster in seiner Realität zu erkennen und Dinge in Kategorien einzuordnen. Unser stetig anwachsender Wissensschatz ist einer der Aspekte, die uns (als intelligent anmutende Spezies) so einzigartig machen. Was also tun, wenn man sich plötzlich in einer Welt wiederfindet, in der zwischenmenschliche Beziehungen nicht mehr mit den Wörtern „zusammen“ oder „nicht zusammen“ generalisiert werden können? Richtig. Wir brauchen neue Kategorien und dazu passendes Vokabular.

„FREIE LIEBE FÜR ALLE? NAH, ES WIRD ETWAS FACETTENREICHER. DAS INTERNET ENTTÄUSCHT NIEMALS.“

In der Antike etablierte sich das Konstrukt der Monogamie als politisches Instrument, um Reiche miteinander zu vereinen. Die romantische Vorstellung der lebenslangen Liebe löste einen Heiratshype aus und setzte sich durch, obwohl es dem Menschen ganz offensichtlich mindestens schon genauso lange bekannt ist, dass es uns schwerfällt, mit nur einer Person zu schlafen. Aber okay, die Zeiten, in denen die Monogamie als dogmatisches Beziehungsmodell in den Köpfen der Paarungswütigen kursierte, sind nun ohnehin endgültig vorbei. Freie Liebe für alle? Nah, es wird etwas facettenreicher. Das Internet enttäuscht niemals.

Am Beginn einer klassischen Tinderella- Lovestory 2019 steht natürlich einmal das Kennenlernen. Hat man jemanden erst mal eine Zeit lang „georbited“, also auf sämtlichen Social Media Kanälen hart gestalked und sich zu einem Treffen im real life überwunden, muss man gleich befürchten, dass die Person ein „Sneater“ ist und sich nur ein gratis Mahl ergaunern möchte. Falls sie aber den „Sunday Test“ besteht, darf man sich beim „DTR-Gespräch“ zwischen den sich auftuenden Optionen entscheiden. Betreibt man noch ein Weilchen „Cushioning“, also hält sich den potenziellen Partner warm wie ein Kissen oder wird das Ganze gleich zu intensivem „Cuffing“? Und vor allem: Wie beendet man die Sache?

„PSYCHOLOGISCH VIELSCHICHTIGER WIRD ES DA SCHON BEIM ‚GASLIGHTING‘, DAS PRAKTISCHERWEISE DIE DIAGNOSE ‚NARZISSMUS‘ GRATIS MITLIEFERT.“

Vergesset den Ausdruck „Feigheit“, heute wird die Unfähigkeit, ein aufklärendes Gespräch zu führen, nämlich viel differenzierter betrachtet. Der Begriff des „Ghosting“, also der abrupte und stillschweigende Kontaktabbruch zu einer Person, ist geläufig – sah man sich im Zeitalter von Tinder & Co doch bestimmt schon einmal in der Rolle des Opfers oder gar Täters. Auch das „Benching“, bei dem die Aussprache „auf die lange Bank geschoben wird“, findet dank seiner offiziellen Definition mittlerweile gesellschaftliche Akzeptanz. Psychologisch vielschichtiger wird es da schon beim „Gaslighting“, das praktischerweise die Diagnose „Narzissmus“ gratis mitliefert. Bei diesem Verhalten werden Opfer manipuliert und zutiefst verunsichert, bis sie an ihrer Wahrnehmung zweifeln.

Klar, zu unterscheiden ist das vom „Breadcrumbing“, bei dem die andere Person mit hoffnungsschwangeren Nachrichten bei Laune gehalten wird, um im Notfall noch auf sie zurückgreifen zu können. Oder war das „Submarining“? Ähm.

Täglich entstehen neue, originelle Wortkreationen, die uns das Reflektieren über unsere zwischenmenschlichen Beziehungen erleichtern sowie die Verantwortung über unser Handeln abnehmen sollen. Weird flex, but okay. Bei Überforderung schlagen wir vor, das Ganze nicht so ernst zu nehmen und im Zweifelsfall einfach der „Fluffer“ des Vertrauens zu bleiben.

DATING WÖRTERBUCH

  • Catfishing: Mit jemandem kommunizieren und dabei vorgeben, (jemand) anders zu sein.
  • Cuffing Season: Die Jahreszeit, in der man jemanden zum Kuscheln, Einigeln und gemeinsam Verbarrikadieren sucht.
  • Curving: Jemanden abschießen, ablehnen, die Reißleine ziehen.
  • DTR-Talk: Ein „Define The Relationship“-Gespräch ist der entscheidende Moment in einer Beziehung. Sind wir ein echtes Paar? Wenn nicht, was dann?
  • Fluffer: Jemand, der gute Beziehungsratschläge austeilt, ohne die Gelegenheit zu bekommen, derartige Erfahrungen selbst zu machen.
  • Gatsbying: Der Versuch, online gezielt die Aufmerksamkeit des Schwarms oder Partners zu gewinnen.
  • Stealthing: Beim Sex heimlich das Kondom entfernen. Mittlerweile gilt das zum Glück als Straftat!
  • Thot: „That hoe over there.“
  • Tuning: Das heikle Gleichgewicht zwischen dem Betteln um Aufmerksamkeit und augenscheinlicher Ablehnung und Abgebrühtheit.
  • Zombieing: Zwanghaft Leben in einer „Beziehung“ suchen, wo eigentlich alles „tot“ schien oder scheint.