Lulu - Metallica
Metallica
Lulu

Die Demontage schreitet voran…
 
Das Rascheln im Blätter- und Onlinewald nahm in den letzten Wochen bedrohliche Ausmaße an. LOU REED, exzentrischer Begründer des Avantgarde-Rock, seit Jahrzehnten zuerst mit THE VELVET UNDERGROUND, dann solo erfolgreich und zudem oftmals als „BOB DYLAN der zweiten Reihe“ tituliert, kollaboriert mit der größten, umsatzstärksten und wohl auch umstrittensten Metalband der Welt, METALLICA. Dürfen die das? Bier saufende Headbanger sind seither mindestens genauso überrascht und erzürnt wie die Earl Grey-schlürfende Intellektuellenfraktion. Doch ist die massive Schelte für das vor zwei Jahren bei den „Hall Of Fame Awards“ in Schiene gelegte Projekt überhaupt gerechtfertigt?
Absolut. Sechs von zehn Tracks sind exklusiv in die Redaktion geflattert und ließen erst einmal die Kinnlade fallen und Blut gefrieren. Nicht vor Freude oder Entzückung, sondern vor Schreck und Starre. Der knapp 70-jährige REED ist klarer Hauptprotagonist dieses speziellen Projektes, METALLICAs Geriffe ist nicht viel mehr als „Mittel zum Zweck“-dienliche Begleitmusik. Das sanft einleitende „Brandenburg Gate“ hört sich dank der „For Whom The Bell Tolls“-Riffs und REEDs sanftmütiger Stimmpräsenz ja noch ganz passabel an, aber bereits der elfminütige Langweiler „Dragon“ ist ödes Neo-Thrash-Geriffe samt der nervenaufreibenden Sprechstimme REEDs, die spätestens nach dem zweiten Durchlauf einen furchtbaren Tinnitus verursacht.
Bei „Frustration“ ist der Titel Programm. „Spermless Like A Girl“ oder „I Want So Much To Hurt You“ sind nur kleine Auszüge aus den lyrischen Plattitüden, die der ansonsten große Egomane hier ins Mikro spuckt, unterlegt von einer primitiv gehaltenen Jam-Session METALLICAs. Die derben Texte folgen dem Konzept von „Lulu“, einem jungen Mädchen mit sexuellen Sehnsüchten, das Serienmörder Jack The Ripper zum Opfer fällt. Inspiriert ist das Ganze übrigens vom deutschen Dramatiker Frank Wedekind, der Anfang des 20. Jahrhunderts mit Romanen wie „Die Büchse der Pandora“ das Establishment verstörte.
Neben der deprimierenden Grundstimmung sorgen die partiell eingesetzten Streicher für zusätzlich-unnötige Melancholie. Da können auch das rockigere „Iced Honey“ oder die überraschend harte Thrash-Palette „Mistress Dead“ keine Kastanien aus dem Feuer holen – dieses Experiment wird den Musikern mit Sicherheit Kohle bringen, aber genauso viel Renommee kosten. Warum METALLICA ihre teils knackigen 80er-Jahre-Gedenkriffs nicht auf ein fetziges Studioalbum packen, warum Mr. REED seine für eine Theaterproduktion verfassten Songs nicht lieber gewohnt avantgardistisch umsetzt – man weiß es nicht. So bleibt ein akustischer Medien-Hype, der alle Beteiligten schlecht dastehen lässt und die Fans beider Lager vergrämt. Die Demontage schreitet voran… [Robert Fröwein]

— Nobody