Punk Rock Holiday 1.8
Ein Festival wie Heimkommen
Es ist Morgen. Früher Morgen und die laue Luft verspricht den Beginn eines drückend heißen Tages. Die Sonne geht auf, wirft ihr erstes, prickelnd-goldenes Licht auf die türkisblaue Soča und das gesellschaftliche Spektrum, in dem man sich um diese Zeit bewegt, liegt irgendwo zwischen hitzegebeutelten Frühaufstehern und Hardcore-Überlebenden der letzten Nacht. Bald wird das Festivalgelände wieder lebendig werden. Sehr lebendig.
Das Punk Rock Holiday in Tolmin, Slowenien, fand am zweiten Augustwochenende seinen fulminanten Ausklang – glanzvoll, aber gleichzeitig derbst dreckig – unverfälscht echt, aber tätowiert bis zum Geht-nicht-mehr. Nach einer Woche Punk pur können wir unser Fazit abgeben. Es hat einen leichten Sonnenbrand, viele blaue Flecken und ca. 17 Stiche von slowenischen substanzberauschten Gelsen, aber es ist verdammt glücklich. Wieso?
Nun, fangen wir mal beim Setting an. Betrachtet man das Gelände, in dem das Ganze stattfindet, hat man eigentlich einen Urlaubsort erster Güte. Die kristallklare, kleschkalte Soča, ein weißer Kiesstrand und direkt im Anschluss der Wald…ein Traum. Doch man kommt nicht ausschließlich wegen der Erholung hierher. In dieser Woche herrscht absoluter Ausnahmezustand.
Tatsächlich wurden wir auch von Einheimischen darauf angesprochen, was für uns der ausschlaggebende Faktor ist, hier mittlerweile zum fünften Mal unsere Zelte aufzuschlagen und uns für ein paar Tage in eine Parallelwelt zwischen knallbunten Haaren, slowenischem Bier, Marihuanaduft und moshpitmotivierten Menschen begeben, für die NOFX-Lyrics zur verpflichtenden Allgemeinbildung zählen. Zu Recht übrigens. Wir könnten mal abchecken, was die Bands dazu sagen. No Fun at All, H2O, Mute, Adrenalized, Terror, Authority Zero – sie alle haben es auf den Punkt gebracht, indem sie die enthusiastische, tobende Menge bei ihren Konzerten auf die Bühne holten und sie begeistert fragten: “Is this the best fucking punk festival in the world!?”
Um das statistisch auszuwerten, müssen wir uns wohl noch an so einige Locations begeben, doch die Nationalitäten-Vielfalt der Besucher spricht Bände. Fragt man Menschen aus Kanada, Australien oder Gambia, mit denen man abends Bekanntschaften schließt, weil man sich im Moshpit “über den Weg läuft” oder “übereinander herfällt”, gibt es diesbezüglich gar keine Frage, die Sache ist klar. Punk Rock Holiday rules. Denn hier arbeiten Personal, Bands und Besucher kollektiv daran, dass die Woche als eine famos-intensive Erfahrung in Erinnerung bleibt. Fan-Partizipation in den verschiedensten Bereichen, schmackhafte Fleischalternativen, sorgfältige Mülltrennung und biologisch abbaubare Duschgels inklusive. Das Punk Rock Holiday wird von einem warmherzigen, sympathisch-abgefuckten Charme ummantelt, der selbst die Augen der abgebrühtesten Vollzeit-Hausbesetzer strahlen lässt, als wäre akut die offizielle Jagd auf Trump eröffnet worden.
Nicht falsch verstehen – man könnte meinen, Punks gehe es nur um Anarchie und Zerstörung und ein paar Tage in deren Umfeld machen aus jedem ein systemhassendes, gewaltbereites, gepierctes Etwas, das mit Zynismus, Blut und anderen Körperflüssigkeiten beschmiert die Nationalflagge verbrennt und dabei manisch lachend Polizisten bespuckt. Keine Sorge, Omi. Polizei war ohnehin kaum zu sehen.
Was man dort wirklich vorfindet? Viel mehr Liebe, als man erwartet. Eine gemeinsame Mentalität und Menschen, die andere Menschen lieben – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder der Anzahl der Tattoos im Gesicht. Ein allumfassendes Bewusstsein für die Dinge, die auf unserer Welt falsch laufen – ausbalanciert mit einer ganz speziellen Form von Zukunftsoptimismus und manifestiert durch Musik, Hilfsbereitschaft und Moshpits, die weltweit ihresgleichen suchen. Punk’s not dead. Definitiv nicht!