Do, 22. Sep 2016

Sei doch mal leise/laut!

New Hot Music Shit #59

Auf was hast du heute Lust? Mit welcher Stimmung bist du aufgewacht? So eher zurückgezogen, verhuscht, mit der Bettdecke über dem Kopf? Oder hellwach, mit einer hochgereckten Faust und den Stiefeln schon an den Füßen? Egal, auf welcher Seite gelegen und mit welchem Fuß auch immer zuerst – ich habe da was für dich. Ob träumerisch-prachtgefiedert mit Loop-Geschwadern, punkrockig vermaledeit im allerhöchsten Biorhythmus oder post-diskothek-abgehangen mit Zigarette im Mund: Es ist alles da. Und es ist alles gut. Auch im österreichischen New Hot Shit…

Hannah Epperson

Geloopte Neo-Klassik trifft melancholischen Geigen-Folk

Es sieht so einfach aus: Hannah Epperson spielt auf ihrer Geige, tritt aufs Loop-Pedal und schichtet ein ganzes Kammerorchester zusammen. Beat? Macht sie mit links, aus Percussion auf dem Instrument. Oder aber sie lässt die Drums aus der Maschine dazuspielen. Die Leichtigkeit, mit der sie ihre fragilen Songs hoch auftürmt, ist allerdings einem jahrelangen eisenharten Training geschuldet: Die Amerikanerin, die in Kanada lebte und jetzt nach New York gezogen ist, hat hundertfach am Theater und bei Performances gespielt, bevor sie ihre eigene Musik endlich aufnahm und nun ihr Debüt ‚Upsweep‘ vorlegt. Mit ihrer ungekünstelten Ausstrahlung trifft sie die Zuhörer im Innersten und zeigt, was sie ist: Musik, Kunst. Hannah verschmilzt Indie-Folk-Pop mit Neo-Klassik, auf so unaufgeregte Weise, dass man gar nicht merkt, wohin man da eigentlich geführt wird: Aufs dünne Eis nämlich, das einen glauben macht, man hätte das alles locker verstanden. Loop, Melodie, Loop. Denkste! Raffinierter Schichtenzauber.
Für Fans von: Sia, Beirut, Feist
Link: www.hannahepperson.ca
Aktuelle EP: ‚Upsweep‘

Bayonne

Ätherisch-elektronischer Loop-Pop

Das ist auf alle Fälle als Kompliment gemeint: Fängt Bayonnes Song ‚Appeals‘ an, klingt das wie der beste Spielberg Film aus den 80ern überhaupt. Das kommt dabei rum, wenn man ganz oft ‚E.T.‘ guckt – klingelnde, perlende Synth-Kaskaden, feine Glockenschläge, spannungsinduzierende Drumpattern. Rogers Sellers schafft das mühelos im Alleingang mit seiner Loopstation – der begabte Boy aus Austin, Texas, macht alles selbst. Vor allem das Schlagzeugspiel: Er ist ausgebildeter Drummer mit großer Vorliebe für Phil Collins – er gibt unumwunden zu, dass dieser sein größtes Vorbild war. Dass nun die 80er-Referenzen überhandnehmen könnten, mag man hier fürchten – dem ist aber nicht so. Bayonne macht so moderne Musik, dass man die getrost erst übernächstes Jahr rausbringen könnte und sie wäre immer noch brandheiß. Ein Indiz für die Zeitlosigkeit ist, dass er an manchen Loops und Songgeweben schon mehr als fünf Jahre gebastelt hat. Live eine Augenweide – ein Ein-Mann-Zirkus.
Für Fans von: Dan Deacon, Brian Eno, Caribou
Link: www.bayonnemusic.com
Aktuelle EP: ‚Primitives‘

Lessons

Schlauer Pop mit schröder Stimme

Ich liebe das, wenn’s so passiert: ganz zufällig. Radio an, Bass Intro. Selbst eine Bassistin – also hingehört. Toll. Soundhound raus: Lessons heißt die Band. Aha. Da muss ich mich mal gleich dahinterklemmen, denk ich. Dann flattert eine Nachricht ins Postfach: Neue Band auf Sinnbus, Berliner Label mit Stil. Oh, Lessons! Bin total verliebt in ihren Song ‚Tempest‘ – hypnotischer, knarriger Bass, ineinander gewobene Synths, Drum Machines und drüber Pats unterkühlter Gesang. Der Berliner, der schon einige musikalische Leben hinter sich hat – Palestar, Speed Mountain – hat sich mit zwei Finnen zusammengetan, den Brüdern Samu und Ville Kuukka. Die Drei besuchen sich gegenseitig hin und her und nehmen im Studio der Kuukkas in Helsinki auf. Die Idee, die die Drei verfolgen: Mal Musik machen, zu der man auch tanzen kann. Nun, ich möchte dazu definitiv Shoe- und Instrumente-Gazen, aber Bewegung geht auch. Sophisticated weight shifting. Möchte ich unbedingt ans Herz legen. Space-Disco, Synth- Post-80s-Pop.
Für Fans von: Secret Machines, OMD, Talking Heads
Link: www.facebook.com/lssns
Aktuelle LP: ‚Tempest‘

Half Girl

Punkrock mit Sixites-Einschlag

Hurra, hurra! Das ist so fein, da muss ich aufstehen und herumtanzen, den Fuß auf den Stuhl – der jetzt plötzlich eine Monitorbox ist – stellen und die Haare hin und her schütteln. Die besten drei bis vier Akkorde seit den Ramones werden mir von links und rechts um die Ohren geknallt, während Julie Mies singt, dass sie zwar Feministin ist, aber trotzdem Lemmy Kilmister total gut findet. Na, ich find die Vier hier gut! Julie Miess (Britta, Jens Friebe), Vera Kropf (Luise Pop), Gwendolin Tägert (Mondo Fumatore) und Anna-Leena Lutz (Die Heiterkeit) machen gnadenlos guten Punkrock mit schönen Sixties-Anleihen, ordentlich Geschwindigkeit und dick Distortion-Pedal. Ein Tamtam, das uns sprichwörtlich noch gefehlt hat. ‚Endlich!‘ möchte ich rufen, ‚Endlich seid ihr da‘, ‚wo wart ihr so lang?‘ Aber es geht schon weiter – one, two, three, four! Die tolle Band singt Deutsch, Englisch und in beiden Fällen Fäuste schüttelnd mitgrölbar – zackiger Gitarrendresch mit allerbesten Melodien und gruselguten Texten.

Für Fans von: Stereo Total, Lassie Singers, Juliet And The Raging Romeos
Link:
www.facebook.com/half-girl
Aktuelle LP:
‚All Tomorrow’s Monsters‘

SPOT ON AUSTRIA: Kaiko

Geheimwaffe Ehrlichkeit

Wie man sich als Band beliebt macht? Ganz einfach: Man baut von ganz klein auf – vom Heurigenbankerl, von der Buschenschank und zwielichtigen Beisln – seine Fangemeinde auf. Genau das haben die sympathischen Grazer Kaiko zur Perfektion getrieben: Sie erzählen Liebes-, Lebens-, und Leidensgeschichten im Popmantel, dezent-elegant aber eingänglich, authentisch. Dass die Bandmitglieder erst in ihren 20ern sind, kauft man dem ausgefuchsten, nachdenklichen, ja, reifen Sound gar nicht wirklich ab. Umso besser! Das Debütalbum ‚Brick by Brick‘ wurde durch Crowdfunding auf die Beine gestellt – was in Anbetracht der Sympathie, die zwischen Kaiko und ihrem Publikum besteht, eigentlich fast logisch ist. Vom Acoustic Lakeside spazieren sie Ende September noch dazu direkt auf die Bühne des Radiokulturhauses Wien: Um dort mal so richtig Release Party und ihre feinen, direkten, zauberhaften Popsongs zu feiern.

Für Fans von: AVEC, Schmied’s Puls
Link:
www.kaikoband.com 
Aktuelle LP: ‚Brick by Brick‘

SPOT ON AUSTRIA: Mavi Phoenix

Gold statt Asche

Ob sie sich für Kanye oder Drake entscheidet, bleibt offen: Jedenfalls war Jeezy ihr erster Lieblingsrapper. Mavi Phoenix, in Linz aufgewachsen, hat sich – die Schirmkappe über die blondierten Haare gezogen – auf die Fersen gemacht, um die österreichische Rap-Szene mal so richtig umzudrehen. Matura noch schnell nebenbei erledigt, hat sie ihre erste EP ‚My Fault‘ schon 2015 rausgehauen – deshalb zwar für uns immer noch superheißer Scheiß, aber in Wahrheit schon länger im Business, als sie aussieht. Abgesehen davon, dass sie mit ihren quasi BFFs Bilderbuch schon mehrmals auf der Bühne gestanden ist, kann sie mittlerweile schon Auftritte quer durch Österreich verzeichnen. Auch oft unterstützend an ihrer Seite ist M. P., ein junger Rapper und Produzent, ebenfalls aus Oberösterreich. Wie auch immer: Hier haben wir einen Phönix ohne Asche. In Mavis Haaren klebt höchstens Goldstaub.
Für Fans von: M. P., K.Flay
Link:
www.maviphoenix.com  
Aktuelle EP: ‚My Fault‘