Di, 5. Mai 2015

Love Music Or Die

New Hot Music Shit #50

Oft sind es Orte, die eine Band braucht, um sich zu finden – da ist das Kleinstädtchen, in dem es für die ortsansässigen zwei bis fünf Nerds nix zu tun gibt, außer Musik zu machen. Dann ist dort die große, pulsierende Stadt, die die jungen kreativen anlockt und in der sich jeder das Glück verspricht – sollte er oder sie zuvor einen Proberaum finden. Außerdem gibt es dann manchmal noch die Orte, an denen man nicht ist – das Sehnsuchtsziel, wo die Musik geschrieben wird, die man auch in seinem eigenen Kopf hört. Oder es ist der Fleck Land, den man verlassen hat, weil der oder die, den man geliebt hat, einen nicht mehr will – und man dann in den Proberaum zurückkehrt, um ein wundervolles Album darüber zu schreiben.

The Artificial Harbor

Indiepop aus Brixen und Wien

In Bressanone, da begann mal eine tolle Liebesgeschichte – für mich. Für fünf Boys und ein Mädchen fing in Brixen eine Lebensliebesbandgeschichte an, die seit 2010 andauert und jetzt endlich in einer Debüt-EP mündet. Apropos münden: In Brixen plätschert die Eisack, aber ein Meer mit Mündung im Hafen sucht man vergebens in der kleinen Alpenstadt. Julian Angerer, Niki Comploj, Nora Pider, Alexander Duml und Bernie Busetti klingen aber ganz nach sehnsüchtiger Weltläufigkeit, die gerne an skandinavische Küsten denken lässt – vor allem die Shout Out Louds kommen einem da den Sinn. Toller melancholischer Indierock, der nach demokratischem Arrangement und Handwerksfreudigkeit klingt. Tatsächlich wurde live eingespielt und auch mal eine Kirchenorgel gekapert. Hannes Jaeckel von Ampersand hatte seine Finger mit im Spiel, ansonsten bleibt die ganz allerliebst anzuschauende Band sich und dem DIY-Gedanken – noch – ganz treu. Hat enormes Potenzial zur nächsten großen Indieband!
Für Fans von: Shout Out Louds, Magic Numbers, War on drugs
Link: www.theartificialharbor.com
Aktuelle EP: ‚The Artificial Harbor“ (Siluh Records)

Novo Amor

Hauchzarter Indiepop aus Wales

A n manchen Orten beginnt die Liebe, an manchen endet sie – für Novo Amor hat sie Übersee begonnen und in einem Flugzeug geendet, hin und her gerissen zwischen Amerika und England. Novo Amor, besser gesagt der schüchtern wirkende Ali Lacey, hatte sich nach grobem Herzschmerz für seine ersten Aufnahmen an seinen Geburtsort im tiefsten Waliser Land zurückgezogen und geistert seitdem als Phänomen durchs Netz. Kürzlich erst fertigte er eine unglaublich zarte, ruhige und zugleich verzückend-formidable Version des Guns’n’Roses-Krachers „Welcome to the Jungle“ an – in Auftrag gegeben von einem Deo-Hersteller (keine Schleichwerbung, ok?), das sonst mit Testosteron und Männerfantasien wirbt. Solche Entwicklungen sieht man doch gerne – das Kind der digitalen Produktionsdemokratie erobert mit einfach guter Musik den Marktriesen. Immerhin bringt er die Single noch auf seinem eigenen Label raus – bis zum Major kann’s nicht mehr lange dauern.
Für Fans von: Bon Iver, Ásgeir, Angus and Julia Stone
Link: novoamor.co.uk
Aktuelle Single: ‚Welcome to the Jungle‘ (Ali Meredith-Lacey)

BEAÛ

Indiefolk von zwei New Yorkerinnen der Stunde

Zwei Orte üben eine große Faszination auf mich aus – zum einen die Westküste der USA, Kalifornien, L.A. und San Francisco mit den ihrigen Fleetwood Mac oder Joni Mitchell. Und dann gegenüberliegend das Center of cool, New York. Beide Enden des Kontinents scheinen sich aber immerzu nacheinander zu sehnen, musikalisch – sonst wäre Kim Gordon zum Beispiel niemals aus L.A. nach N.Y.C. gekommen. Im Falle BEAÛ ist es so, dass sich die beiden jungen Frauen stark nach Westküstensound anhören, jedoch waschechte Geburts-New Yorkerinnen sind. Grade mal 19 Jahre zählen Heather Boo and Emma Jenney. Wenig ist bekannt über die Zwei. Nur, dass Heather Boos Mutter eine New Yorker Künstlerin ist, konnte ich rausfinden. BEAÛ würde sich gut in GIRLS machen – musikalisch wie optisch. Dass die cool-schlau-schönen Mädchen nun ihre erste Single auf Kitsuné veröffentlichen, ist ein Ritterschlag auf die richtige Schulter. „Karma“ heißt dieselbige und zeigt, wie gut es das Schicksal mit den beiden Holden meint.
Für Fans von: Mazzy Star, BOY, The Dodos
Aktuelle Single: ‚Karma‘ (Kitsuné)

Annabel (Lee)

Tieftrauriger Neo-Cooljazz-Blues

Ein komplett anderer Schnack ist das Debüt dieses Londoner Duos – echter Blues, echter Jazz. Was man an Portishead vermisst haben mag – eine samtene Erdigkeit, ein voller Ton – das erfüllt sich hier ganz wunderbar. In dem Jahr, in dem Billie Holiday hundert Jahre alt geworden wäre, taucht diese Platte auf, die ihren Geist ins jetzt transportiert, wie sonst nichts Vergleichbares. Annabel heißt die Stimme, die so sehr an die Übermutter der Jazzsänger erinnert. Die Frau dahinter ist geheimnisvoll und nur auf einigen Bildern zu sehen – zusammen mit ihrem Partner Richard E.. Die beiden stammen aus Soho, London und haben sich im Plattenladen If Music kennengelernt. Richard E. – eigentlich Head von Further Out Recordings – und Annabel teilen sich auch eine Liebe fürs Abgründige, zum Beispiele fahren sie beide auf Edgar Ellen Poe ab. Von dessen Gedicht Annabel Lee stibitzen sie dann auch den Namen – wobei Annabel seither darauf verweisen muss, dass sie NICHT Lee heißt, sondern nur das Gedicht.
Für Fans von: Bauhaus, Jesus and Mary Chain
Aktuelle Single: ‚By The Sea… And Other Solitary Places‘ (Ninja Tune / If Music)