Review: Heut Nacht
VOLUME war auswärts. Hat den Teufel angeshoutet, ihn gefragt, ob wir lauter als die Hölle sein können und nahm Teil am Fasching der Sünden. Mötley Crüe, meine Lieben!
Text: Christoph Löger
Die netten Backyard Babies sind so blöd ja nicht. Blöd aber, wenn man Kaliber wie Duff McKagan und die Mötleys im Genick hat. Sprich: Wir verzichten auf ein Backyard Babies-Support-Review, scheißen also mangels Zeitmanagement auf die erste Vorband. Die haben wir schlicht versäumt, sorry. Und waren auch bei Loaded erst kurz vorm Zugaben-Block in der sauheißen Münchener Zenith-Halle, weil’s draußen jenes lustige Ding zu sehen gab, das kein Metal-Fan normal zugibt, aber ständig passiert. Ärger wahrscheinlich als bei den Emo-Kindern: Den berühmten T-Shirt Catwalk.
Metal-Fans sind einerseits die umgänglichste und ungefährlichste Konzert-Fraktion von allen, aber beim T-Shirt-Schwanzvergleich kennen sie keine Gnade. Wenn ein Kaliber wie Mötley in der Stadt ist, werden die stinkigsten Leiberln ausgegraben. Von ganz früher. Also nicht die frischen Metallica-Shirts aus dem Online-Shop, sondern jene Prä-Internet-Ära-Fetzen, die der (mittlerweile wohl 40jährige) Besitzer schon mit 16 angespieben hat. Ich selber wurde mit einem originalen 2004er KISS-Rock The Nation Tour-Shirt schon komisch angeschaut. 2004? In Sachen KISS-History ein Schlatz in die Pfütze der Geschichte. Da gab’s Running Wild- und Helloween-Shirts, bitte!
Loaded? Yup – Duff McKagan, Ex-Gunner unter der Fuchtel von Gottseibeiuns Axl Rose und, das kann man gleich mal sagen: Anno 2009 ist McKagan in der Lage, Axl an die Wand zu spielen. Das Schluss-Medley, wo vor allem ‚Paradise City‘ in der Hitze gut gekracht hat, klang so wie von früher, als alles gut war. Wär vielleicht nicht blöd, wenn Axl den Duff mal anrufen würd zwecks echter Reunion. Und Slash vielleicht auch wieder dabei wär, wenn Herr Rose die geflochtenen Rastas wegtut und einsieht, dass 12 Jahre ‚Chinese Democracy‘ Schreiben vielleicht doch nicht soooo die coolste Idee war. Weil ein großes Ego halt doch auch große Verkäufe braucht, sonst funktioniert das nicht. Siehe Chris Cornell feat. Timbaland.
Aber dann: Mötley Fuckin‘ Crüe! Bumm. Halle ist dunkel, von der PA kommt ein zartes ‚Hells Bells‘ und es dauert ein bissl, dass alle mitbekommen, dass Vince, Nikki, Tommy und Mick im seitlichen Schiff der Industrie-Halle unterm Dachwerk Richtung Bühne gehen. Schon jetzt auffällig: Mick Mars schlurft mit gekrümmten Rücken und wird von zwei Roadies gestützt. Mehr dazu später.
Schwarzer Vorhang goes up. Erst einmal Rock’n’Roll Overdrive mit Lightshow, die einen Maulwurf blind macht. Das gesprochene Intro von Carnival Of Sins geht im Prinzip nahtlos über in ‚Shout At The Devil‘. Crowd goes crazy. Einfach nur laut. Sehr laut. Und gut. Sehr gut.
Was dann kommt, ist eineinhalb Stunden Soundbrei. Daran hat die Band keine Schuld, sondern die denkbar blöde Zenith-Halle. Die zwar in Sachen ‚Bierholen & Klo‘ (das wichtigste Menü des Metal-Fans) recht quick ist, aber außer hinter dem Mischpult keinen brauchbaren Sound liefert, weil’s halt ein mit Überkopf-Metalltraversen und ungedämpften Betonwänden versehenes Stinkloch ist. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die alte Pepsi Hall (danach Libro Hall) im Wiener Prater. Das Rauchverbot wird trotz deutschen Gesetzen von der Hälfte der Anwesenden übrigens ignoriert, Vince Neil is in command.
Zugabenblock: Home Sweet Home. Funktioniert super.
Und aus isses. Kein Helter Skelter-Cover, kein Anarchy In The UK. Band verschwindet zu den Klängen von Sinatra’s ‚My Way‘ wieder durch die Halle in Richtung Backstage, Mick Mars muss wieder gestützt werden.
Das EIGENTLICH Coole trägt sich ein bissi später zu. Nachdem der Großteil jener, die ‚mal Mötley Crüe‘ sehen wollten, verschwunden war. Sprich: Die, die mit kurzen Polo-Shirts und der braven Freundin dort waren, weil ein offenbar lustiger Troll namens Ozzy auf MTV mal gesagt hat, dass Mötley cool ist. Die, die im nahen Parkhaus 8 Euro fürs Abstellen ihres A4/Passat/Golf-Kombis bezahlt haben und deswegen früh heim mussten, weil 1) die Katze zu füttern war, 2) die Fenster zu schließen (Parkett könnte nass werden) und 3) es ja Montag war. Und man den Arbeitskollegen im Büro vom Freak-Kino namens Mötley erzählen kann. Es gab tatsächlich eine Sekt & Prosecco-Bar in der Halle. Sehr traurig.
Egal: Tommy Lee hat nachher aus dem ersten Stock des Backstage-Areas mir ein Flaschl Corona exakt (!) zwischen die Beine geschossen. Und gut 100 Leute waren noch da, um ihm dabei zuzusehen, wie er wie ein junger Bub das zelebriert hat, um was es geht: Rock and Roll.
Mick Mars hat zu dem Zeitpunkt hoffentlich schon geschlafen. Seit er 20 ist, leidet er an der unheilbaren Krankheit ‚Spondylitis ankylosans‘. Eine Krankheit, die langsam die Knochen verhärtet. Ziemlich deppert für einen Ausnahme-Gitarristen. Mick ist heute 58 Jahre alt. Er konnte in München zwar nicht selbständig zur Bühne gehen und nicht selbständig weggehen. Aber onstage hat er Jimi Hendrix’s ‚Voodoo Child‘ in sein 10minütiges Solo so eingebaut, dass jeder frischen ‚The …..‘-Band gehörig das Hören und Sehen vergeht. Das war tatsächlich ausnahmslos gut. Viele mögen ja die langen Metal-Solos nicht und es gibt nur wenige Axt-Würger, die’s echt können. Ace Frehley zum Beispiel. Oder Kirk Hammett. Und eben auch Mick Mars.
Epilog d. Autors: Wer die Tiefgründe des Metal nachlesen will, der sollte zur Mötley Crüe-Biographie ‚The Dirt‘ greifen. Aber Gefahr: Es ist das dreckigste Musikbuch ever. Crüe’s Nikki Sixx beschreibt, wie er in London von einem Dealer in eine Mülltonne geworfen wird, in der Annahme, er sei tot. Und am nächsten Tag im Auto zweier Fans im Radio hört, er sei tatsächlich tot. Dazu eine Story über Ozzy, der mangels Spaßpulver (Kokain, Anm.) am Hotelpool eine Line Ameisen durch die Nase zieht. Mötley-Sänger Vince Neil, der im Vollrausch beim Ausprobieren des neuen Autos nicht nur einen Member von ‚Hanoi Rocks‘ umbringt, sondern auch gleich eine unschuldige Familie ins Verderben stürzt. Jener Vince Neil, der es als Strafe dafür ansieht, dass kurz darauf seine Baby-Tochter an Krebs stirbt….Read it! Tough Stuff!