Zeit der Extreme
Yasmo & die Klangkantine im Interview
Mit „Prekariat und Karat“ legt Yasmo mit ihrer Klangkantine in dieser Woche einen Langspieler vor, der Gegensätze liebevoll umarmt und klar macht, dass Empowerment und Unsicherheit manchmal gar nicht so weit von einander entfernt liegen. Wie man sie unter einen Hut bzw. auf ein Album bringt, um den Weg trotz der Widersprüche weiter zu gehen, wie fest manche latenten, gesellschaftlichen Strukturen in uns drinnen sitzen, warum Solidarität keine Selbstverständlichkeit mehr ist und wie man trotz all dem optimistisch bleibt, hat uns die sympathische Sprechgesangskünstlerin erklärt.
Gratulation zu deinem neuen Album! Der spannende Titel illustriert exemplarisch das Spannungsfeld, in dem wir heute leben. Was bedeuten die Begriffe für dich im Einzelnen und in Kombination?
Vielen herzlichen Dank! Nun ja, das Prekariat ist eine gesellschaftliche Lebensrealität, in die immer mehr Leute kommen – dadurch, dass die Schere zwischen arm und reich immer größer wird. Ich bin Künstlerin, da wird vorausgesetzt, dass ich am Ende des Monats nicht weiß, wie ich die nächste Miete zahlen soll. Aber keine Sorge, ich bin eine Künstlerin, die sich keine Sorgen machen muss … nicht weil ich reiche Eltern habe, sondern mit Geld umgehen kann. Doch ich kenne eben auch genügend Leute, die damit Probleme haben, obwohl sie eigentlich „was Gscheites“ gelernt haben. Und die Karat sprechen für sich selbst. Im Zusammenspiel passt der Widerspruch ganz gut, weil wir einerseits heute prekär leben und manchmal im Minus stecken, andererseits „gönnt“ man sich den Wochenendtrip nach London oder New York. Es ist eine Zeit der Extreme.
Wenn kein Weg ohne Widersprüche auskommt, wie geht man ihn trotzdem unbeirrt weiter?
Man muss sich auf sich selbst verlassen können. Das ist das Einzige, über das man Kontrolle hat. Und man muss sich auch aus diesem Schwarz-Weiß-Denken lösen. Es gibt so viele Zwischenfarben und Zwischentöne – und ja, vielleicht ist es langweilig, wenn man darüber redet. Polemik und aufheizen sind spannender, aber die Zwischentöne verschwinden ja nicht dadurch. Ganz ehrlich: Ich find die am spannendsten!
„Gut genug“ ist genau der richtige Song für eine große Selbstzweiflerin wie mich. Danke dafür! Wie gehst du persönlich mit Selbstzweifel um?
Danke, dass du daraus etwas für dich finden kannst! Ich schreibe halt Songs darüber. (lacht) Ich weiß, wo die Zweifel herkommen, kann die Struktur der Ursachen erkennen und rational erklären und mich davon distanzieren. Das ändert aber eben wieder nichts daran, dass sie da sind. Also setze ich mich damit auseinander und versuche sie loszuwerden.
Bei Interviews liegt der Fokus sehr oft auf der Tatsache, dass du eine Frau in einem männerdominierten Genre bist. Wenn du ganz ehrlich sein könntest, was würdest du am liebsten das nächste Mal darauf antworten?
„Nummer 7 auf unserem Album. Da haben Sie Ihre Antworten und jetzt reden wir bitte über meine Arbeit.“
„Hör zu“ verdeutlicht sehr dringlich die #metoo-Bewegung. Was ist davon übrig geblieben bzw. was hat sich deiner Meinung nach bereits dadurch verändert?
#metoo ist noch nicht vorbei und wird Thema sein, solange Gewalt und Grenzüberschreitungen passieren. Ich habe das Gefühl, es geht sehr oft um das Sichtbarmachen und gesehen werden. Auf meinem Privileg sitzen zu bleiben, weil mir so etwas nie passiert ist, kann bequem sein, da ich die anderen Lebensrealitäten gar nicht sehe. Als Feministin geht sich das aber für mich nicht aus. Ich fordere Sichtbarkeit für Grenzüberschreitungen und ein Bewusstsein dafür, dass es sie gibt und das wir alle etwas dagegen tun müssen!
In einem Interview mit Ö1 hast du von deinen Anfängen in der Szene erzählt – die Männer waren da immer „die Coolen“ und du wolltest dazugehören. Das ist total nachvollziehbar, weil auch mir erst in den letzten Jahren durch die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema gesellschaftliche Strukturen bewusst geworden sind, die ich früher vielleicht für völlig normal gehalten habe. Wann sind dir die bewusst geworden? Gab es vielleicht Schlüsselmomente, die dir die soziale Ungleichheit besonders klar verdeutlicht haben?
Viel später erst, Mitte 20, habe ich gecheckt, was meine Mutter alles leisten musste, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Da lerne ich gerade noch viel. Aber früher sind mir schon Haltungen und Sager entgegengebracht worden, die mir diese Strukturen verdeutlicht haben. Ein Erlebnis, leider eines von vielen wohlgemerkt, war im Fluc, als ich 18 war: Nach meinem Konzert kommt ein Mann zu mir und sagt, dass er es super fand und er will mich auf einen Drink einladen. Ich sage: „Danke für das Kompliment, aber ich trinke hier eh gratis.“ Eine halbe Stunde später stehe ich mit einer Freundin an der Bar, der Mann geht an mir vorbei und sagt mir ins Ohr: „Es ist schon ganz nett, was du machst, aber Rap ist immer noch Männersache.“ Vorher war ich noch toll, jetzt werde ich verlächerlicht. Weil Mann nicht bekommen hat, was er wollte. Weil er meint, er habe ein Anrecht darauf, dass ich spure und sage: „Oh danke, gerne kannst du mich einladen“ – aber nein, das mache ich nicht! Und natürlich der klassische Sager im Backstage: „Von wem bist du die Freundin?“ – „Von meinem tollen Freund, der aber heute nicht spielt, aber hier ist um mich als Headliner zu sehen!“
Wenn wir über latente, gesellschaftliche Strukturen reden … was würdest du jungen Frauen, die ihr feministisches Selbstverständnis vielleicht noch nicht vollständig entwickeln haben, raten?
Fragt nach! Es gibt keine dummen Fragen! Und wenn ihr nicht sofort Antwort bekommt, fragt noch mal nach! Es ist ok, dass man nicht alles weiß, und man wird nie alles wissen können. Du kennst dich bei etwas nicht aus, bist dir unsicher, hast ein Gefühl, eine Ahnung, aber kannst es nicht formulieren? Frag nach! Wir waren alle mal da und durch Dialog geht so viel weiter! Und zeige dich solidarisch. Denn du bist nicht allein, auch wenn es sich manchmal so anfühlt.
Apropos solidarisch … wieso ist Solidarität keine Selbstverständlichkeit mehr?
Ich versteh es auch nicht! Eine Vermutung: Durch Spaltung lässt sich besser herrschen. Wenn sich alle verbünden, sind sie stärker als eine herrschende Gruppe. Das wollen die vielleicht nicht. Falls ich mit der Vermutung richtig liege, sei aber auch gesagt: Menschen sind nicht so deppat! Ja, man kann uns kurz in Angststarre versetzen, man kann uns kurz spalten, aber auf Dauer kann das nicht funktionieren, weil niemand davon profitiert.
Bei aller Sozialkritik behältst du dir trotzdem hörbar deinen Optimismus. Das ist heutzutage gar nicht so leicht. Wie machst du das?
Ich weiß, dass ich ohne meinen Optimismus alles verliere, woran ich glaube. Vielleicht liege ich auch ganz falsch, aber uns gibt es schon so lange, wir haben schon so viel Bullshit durchgestanden und dennoch so viele tolle, neue Sachen erfunden und gedacht – und aus der Geschichte können wir lernen. Wir können uns aber nicht daran festhalten. Wir müssen in die Zukunft blicken und wir dürfen keine Angst davor haben.
„Du bist ein Kunstwerk, Baby!“ Für dich ist Kunst das, was der Rezipient/die Rezipientin draus macht. Was würdest du dir wünschen, dass sie aus „Prekariat & Karat“ machen?
Ich hoffe, dass die Rezipierenden irgendetwas für sich daraus finden, was sie mitnehmen wollen. Einen Denkanstoß, eine Frage oder einfach einen neuen Tanz.
Du kuratierst gemeinsam mit Mira Lu Kovacs das diesjährige Popfest. Worauf legst du bei der Programmgestaltung besonders wert?
Dazu kann ich gar nicht so viel sagen, aber ich möchte den wunderschönen Satz von Mira, der in unserem Konzept steht, zitieren: „Wien, du Vielvölkerstadt! Zeig her deine Schätze!“
Im letzten Jahr gab es eine Debatte über den freien Eintritt des Popfests. („Das Popfest Wien fördert nicht die Musik, sondern die Abstumpfung.“ – Die Presse) Was sagst du dazu?
Ich finde es ein bisschen kulturpessimistisch und das Publikum unterschätzend. Wenn jedes Wochenende so ein großes Fest wie das Popfest stattfindet – ok, dann müssten wir darüber reden. Aber das ist ja de facto nicht der Fall. Mir hat mein Auftritt damals sehr viel gebracht. Von Mira weiß ich, dass es bei ihr genauso ist. Man hat die Möglichkeit, vor einer breiteren Masse zu spielen, die man sonst vielleicht gar nicht erreichen würde. Und ganz ehrlich: Bevor ich tausende Euros in eine Promotion-Kampagne stecke, damit mich Leute wahrnehmen, spiel ich lieber auf einem GratisFfestival. Ich verstehe die Kritik an Gratis-Kultur und finde die Sichtbarmachung auch wichtig, aber man muss das Ganze im Kontext sehen. Und nachdem das Popfest nicht jedes Wochenende stattfindet, geht sich das schon aus.
Wir freuen uns auf jeden Fall schon auf das Popfest 2019 … und noch ein bisschen mehr auf die Konzerte von Yasmo & die Klangkantine im März. Vielen Dank für das Gespräch!