"Wenn es ein Problem gibt, regeln wir das am Mic."
Die Moonshine Cypher in Graz macht wieder auf sich aufmerksam!
Jammen mit Message – und Diskurs auf Beat. Das bedeutet die Cypher im Grazer Musichouse für viele langjährige Rap-Fans. Seit 2016 ist die Open Mic-Veranstaltung ein fester Bestandteil der lokalen Szene und hat hier eine weit umfangreichere Bedeutung als gemeinsames Musizieren und Freestylen. Sie hat sich zu einem Event entwickelt, an dem sich die Community immer wieder neu erfindet und ihre Gedanken nach außen – und mitten rein in die Szene bringt. Nun wird die Cypher neu aufgelegt. Wir haben mit Veranstaltern und Rappern Strange und Flowtschi vom DIY-Label kopfherzhand über Gedanken und Begeisterung hinterm Mic gesprochen.
Am 4.12. kommt die nächste Cypher. Was gibt es Neues?
Strange: Die Moonshine Cypher bekommt einen frischen Anstrich mit einem neuen Grafikkonzept und das wurde echt Zeit. Wir wollen unsere Begeisterung für dieses Format klarer denn je zum Ausdruck bringen. Mit diesen Sessions schaffen wir einen Raum, in dem jeder und jede willkommen ist, sich auszudrücken – sei es beim Rappen, Beatboxen, Singen oder als DJ. Wir wollen die Szene noch besser verbinden, erweitern, uns gegenseitig unterstützen und weiterentwickeln – und das über unsere Bubble hinaus.
„Wir schaffen damit einen Raum, in dem jeder und jede willkommen ist, sich auszudrücken – sei es beim Rappen, Beatboxen, Singen oder als DJ.“
Wie läuft so eine Moonshine Cypher ab?
Flowtschi: Es ist wie ein offener Diskurs auf Beat. Von 21 Uhr bis 1 Uhr haben wir ein Open-Mic-Setup am Start – drei Mikrofone, keine Anmeldungen. Wer will, darf ran. Ein vorher fix abgesprochener Live-Act spielt, auch die DJs sind vorangemeldet, und alles andere entwickelt sich dort. Anhand der Leute, die etwas beitragen, ergeben sich Stimmung und Themen – und das kann jedes Mal völlig anders sein. Teilweise wird’s lustig, manchmal grantig und zwischendurch richtiggehend philosophisch.
Einfach so ans Mic zu treten und zu freestylen, stell ich mir schon heftig vor?
Strange: Wir alle haben so angefangen – niemand von uns war anfangs ansatzweise versiert. Auch wenn jemand mal textlich komplett ausfällt, feuert das ganze Music House mit an, der Support ist riesig und Fehler werden nicht bestraft. Jede Session fühlt sich ein bisschen wie ein Urknall an, entsteht aus dem Nichts und formt sich zu etwas Neuem.
Was ist eure Vision für die Moonshine Cypher?
Flowtschi: Wir wollen, dass sich alle, die was zu sagen haben, willkommen fühlen. Es muss gar kein Freestyle sein – gern auch mit geschriebenen Texten, gerne auch zum Auflegen, gerne Newcomer, die eine Möglichkeit suchen, ihre Tracks zu präsentieren. Uns ist es wirklich eine Herzensangelegenheit, das Ganze am Leben zu erhalten.
Strange: Wir haben zu Recht Kritik bekommen, dass zu viele Hawis am Mic sind. Das ist uns bewusst und dem wollen wir aktiv entgegenwirken. Wenn Frauen und FINTA sich nach vorn trauen, sind alle ultra unterstützend. Das ist uns auch extrem wichtig – unsere Haltung klar zu zeigen. Alle haben die Möglichkeit, ans Mikrofon zu treten, uns ist nur wichtig, respektvoll zu bleiben und den Raum auch wieder anderen zu überlassen. Bei der Cypher kann man Verantwortung übernehmen üben: Freestyle ist Reden auf Beats und die Gedanken, die dort laut gesagt werden, hat man sich immerhin selbst gemacht. Da kann auch mal Gegenwind aufkommen.
Inwiefern?
Strange: Wenn es ein Problem gibt, regeln wir das am Mic. Äußert sich jemand beispielsweise sexistisch – was früher oft Teil von HipHop war und für manche leider noch immer ist – dann steppt jemand rein und frontet die Person direkt am Mic. Es gibt noch immer Frauenfeindlichkeit in der Szene, aber sie wird bei uns nicht gut geheißen. Aus diesem Grund zensieren wir nicht – die Leute in der Cypher regeln das selbst. Solche Haltungen müssen weiterhin zum Thema gemacht und beredet werden – weil es eben noch eines ist.
„Äußert sich jemand beispielsweise sexistisch – was früher leider oft Teil von HipHop war und für manche noch immer ist – dann steppt jemand rein und frontet die Person direkt am Mic.“
Flowtschi: In der Szene hat sich in den letzten zehn Jahren viel verändert. Das Bewusstsein für solche Themen ist mittlerweile angekommen und auch, dass gewisse Dinge nicht mehr toleriert werden. Natürlich haben einige das bis heute nicht verstanden – genau die wollen wir dazu bringen, über ihr Verhalten nachzudenken. Wir sagen nicht einfach: „Du darfst nicht auftreten.“ Stattdessen lassen wir die Leute ihre Worte für alle hörbar aussprechen. Wenn jemand etwas Unangebrachtes äußert, wird er oft direkt von der Crowd abgestraft. So wollen wir die Leute dazu animieren, ihre Einstellung zu überdenken.
Wie waren eure Anfänge so?
Flowtschi: Ich selbst hab begonnen mich für die Cypher zu begeistern, als ich vom Land nach Graz gezogen bin. Ich konnte mich hier ausprobieren und hab immer mehr dazugelernt. Es war also eine Möglichkeit, meine Fähigkeiten zu verbessern und Teil einer kreativen Gemeinschaft zu werden. Man gibt das Gelernte dann ja auch an andere weiter – wie beim Skaten.
Strange: Ich bin seit Tag 1 dabei und habe hier Freestyle gelernt. Deswegen ist die Cypher aus meiner Sicht wie ein Seminar, das jeden Monat stattfindet. Viele von uns von uns haben hier selbst ihre ersten Gehversuche gemacht. Der Fokus ist, dass man einfach mit dem Beat ein Gespräch führt, als würde man einer guten Freundin etwas erzählen. Die Reime kommen irgendwann von selbst – zusammen mit einem echt guten Gefühl. Und wir wollen noch mehr Menschen dazu einladen, diese Erfahrung zu teilen. Es ist ja ein Erlebnis, das nur gemeinsam entstehen kann.
Danke fürs Reden! Die Cypher findet jeden ersten Mittwoch im Monat statt, außer an Feiertagen – dann in der Woche darauf. Falls ihr mitmachen wollt, meldet euch einfach auf Insta bei „kopfherzhand.