Vor Genuss gut schütteln
Flogging Molly im Interview
Sie kommen zwar aus den USA, in ihren Adern fließt aber Blut in jenen vierzig Grüntönen, die man Irland der Legende nach zuschreibt: Flogging Molly. Gitarrist Dennis Casey erklärt VOLUME, warum die Folkpunks keine Wahrsager sind und wieso ihr Durst in Österreich mit Ottakringer statt mit Guinness gestillt wird. Das nächste Mal live bei der Vans Warped Tour in der Wiener Stadthalle. Bis dahin: Kräftig Bierdose schütteln…
Weißt du, wie sich der Start einer Show von Flogging Molly anfühlt, wenn man im Publikum steht und nicht auf der Bühne?
Dennis Casey: Wie?
Schüttel eine Bierdose gut durch und mach sie dann schnell auf.
Dennis Casey: (lacht) Schöne Metapher, muss ich mir unbedingt merken!
Was passiert in den letzten zehn Minuten, bevor ihr auf die Bühne geht?
Keine mittelalterlich keltischen Gesänge jedenfalls. Ein paar Shots Whiskey, ein paar High Fives und dann die metaphorische Bierdose aufmachen (lacht).
Seit eurem letzten Album ‚Speed Of Darkness‘ sind zwei Jahre vergangen. Geschrieben wurde es in Detroit und behandelt den Niedergang dieser einst glorreichen Industriestadt, der zweiten Heimat von Sänger Dave King. Jetzt schreiben wir 2013 und Detroit ist tatsächlich bankrott. Seid ihr Wahrsager?
Dennis Casey: Ich würde gerne lachen, aber es war damals schon absehbar. Dave hat dort ein Haus und konnte aus der ersten Reihe zusehen, was passiert. Die Situation dort ist bizarr. Wir haben einen Freund, der in Detroit wohnt. Er hat uns den zentralen Müllplatz gezeigt, wo sich die Müllfahrer nicht mehr hintrauen, weil sie vor dem Abladen des Mists von Plünderern erschossen werden. Für uns, die wir in geordneten Umgebungen wohnen, ist nicht vorstellbar, in welcher Geschwindigkeit viele Fabriken schließen und ganze Vororte innerhalb von Wochen komplett verlassen werden. Wir reden da von tausend Menschen, die tagtäglich wegziehen. Das Ende von Detroit war der Grund für ‚Speed Of Darkness‘, unser erstes dunkles Album.
Irische Musik lebt seit Jahrhunderten davon, traurige Texte in fröhliche Musik zu verpacken…
Dennis Casey: Das ist aber nicht nur in der irischen Musik und Literatur so, sondern das steckt auch in den Menschen von dort. Als ich Dave (gebürtiger Ire, Anm.) zum ersten Mal getroffen habe, konnte er mir die optimistischsten und lustigsten Geschichten über den Tod seines Vaters erzählen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Irland in seiner Geschichte dermaßen geprügelt wurde, dass die Menschen über Generationen hinweg automatisch diese Kultur entwickelt haben, in der ihnen niemand was anhaben kann. Da wird die Freude am Dasein zelebriert und nicht die Angst vor dem Tod. Das irische Wesen erinnert mich ein wenig an eine gute Partynacht: Einerseits hast du Freude daran, was gerade passiert, und denkst auch nicht an den Kater danach. Es ist keine Flucht vor der Realität, sondern einzig das Genießen des Moments.
Wenn Flogging Molly auf Tournee sind, sucht ihr euch in der jeweiligen Stadt zuerst ein schönes Pub?
Dennis Casey: (lacht) Oh nein. Genau das Gegenteil: Wir wollen regionales Essen und Bier. Das ist eine generelle Regel von Flogging Molly. Nur Matt und ich machen nach der Show manchmal eine Ausnahme und gehen mit einer akustischen Gitarre bewaffnet in kleine Pubs, um Folk zu spielen. Zufälligerweise sind das auch immer die Lokale, wo vor und nach unseren Shows die Fans unterwegs sind (lacht). Wenn ich in Österreich bin, will ich Wiener Schnitzel essen und euer Ottakringer trinken. In Rom Pizza, in Japan Sushi.
Stichwort Essen: Bridget ist die einzige Frau bei Flogging Molly. Hat sie sich an die Gerüche, die sechs Männer im Tourbus ausdünsten, mittlerweile gewöhnt?
Dennis Casey: (lacht) Hut ab vor Bridget. Ich möchte es mir umgekehrt, also alleine mit sechs Frauen im Bus, nicht vorstellen. Ich bin aber selbst mit zwei Schwestern aufgewachsen – Bridget behandele ich auch wie eine kleine Schwester. Und hier können wir gleich mit der Legende aufräumen, warum im Tourbus niemand sein großes Geschäft verrichten darf. Das liegt ganz einfach daran, dass es rund hundert Dollar kostet, das System wieder zu reinigen, wenn einer nicht bis zur nächsten Raststation warten kann.
Auf der Vans Warped Tour spielt ihr gemeinsam mit vielen jüngeren Bands, die auch ein sehr junges Publikum anziehen. Fühlst du dich oft zu alt für Rock’n’Roll?
Dennis Casey: Warum? Je älter wir werden, desto besser entwickeln wir uns. Und es wird auch einfacher. Wenn du jung bist, brennst du die Kerze von beiden Enden ab, wachst jeden Morgen mit einem fürchterlichen Kater auf und irgendwann schaltet dein Körper auf Notreserve. Heute habe ich vier Kinder, da kann ich in der Früh nicht vor lauter Kopfweh nur herumliegen und stöhnen. Die wollen Daddys ganze Energie! (lacht).
Wenn ihr ein neues Album in der Pipeline habt, spielst du deinen Kindern das vorher vor?
Dennis Casey: Natürlich. Ich habe unzählige Videos meiner Kids, wie sie zu unserer Musik tanzen. Ganz ehrlich: Die Kleinen sind auch ein guter Indikator dafür, ob ein Song gut ist oder nicht. Wenn sie quietschend dazu herumhüpfen, dann funktioniert die Nummer wahrscheinlich auch später bei den Konzerten mit den größeren Kindern (lacht)
Die irischen Folklegenden ‚The Dubliners‘ haben erst voriges Jahr im weit fortgeschrittenen Pensionsalter aufgehört, zu touren. Kannst du dir vorstellen, mit 85 noch auf der Bühne zu stehen?
Dennis Casey: Klar! Vielleicht nicht jede Nacht, aber Leute wie Willie Nelson oder B.B. King sind diesbezüglich riesige Vorbilder. Dazu kommt, dass es nicht peinlich aussieht, wenn man unsere Art von Musik auch noch mit Gehstock und langem weißen Bart spielt. Nichts gegen Green Day oder Nine Inch Nails – ich liebe diese Bands – aber altersmäßig hat das ein Ablaufdatum.
Was lief gut in den letzten Jahren, was nicht so?
Dennis Casey: Der Tiefpunkt für mich war sicherlich Hurrican Sandy. Ich lebe in New York und die Familie meiner Frau hat damals alles verloren, als ihr Haus komplett zerstört wurde. Was gut lief? Ich habe in den letzten fünf Jahren drei Kinder in die Welt gesetzt (lacht).
Wir gratulieren und freuen uns auf Flogging Molly am 24. November in der Wiener Stadthalle! Bis dahin brav die Bierdosen schütteln…