Vier Jahre Dämmerung
BOY im Interview
Ein Hotel im 6. Wiener Gemeindebezirk im Juli. Die Stiege knarzt und der Lift ist so klein, dass man fast Nase an Nase stehen muss. Im Zimmer von Valeska und Sonja im sechsten Stock steht ein aufgeklappter schwarzer Flügel einladend mitten im Raum. Durch das geöffnete Fenster sieht man die schicken Dachterrassen der Bobos von Oben. Es ist ein Tag, wo man auf die Donauinsel fahren, oder sich im Museumsquartier eine Pita bestellen möchte. Aber das Popduo BOY hat durchgehend Interviews und keine Zeit. Ihre Geschichte ist schnell erzählt, die Frage ist, wo sie hinführen wird. Vor zehn Jahren lernen sich die Schweizerin und Deutsche auf einem Kurs einer Pop-Hochschule kennen, spielen ihre ersten Songs gemeinsam und haben bis heute nicht damit aufgehört. Vier Jahre war es so still, dass man kurz daran gezweifelt hat. ‚Was habt ihr die letzten Jahre nur getrieben?‘, platzt es nach wenigen Minuten aus einem heraus. ‚Wie viel Zeit hast du?‘, lacht Sängerin Valeska laut los. Wir hatten sehr lange Zeit.
Gut Geschlafen? Ist das euer Zimmer?
Sonja Glass: (lacht) Nein, jeder hat sein eigenes. Wir mussten fast die ganze Nacht an unserem neuen Video arbeiten und haben deswegen zu wenig Schlaf bekommen. Gestern haben wir also nichts mehr von der Stadt gesehen.
Im Juni habt ihr ein kleines Geheimkonzert im B72 gespielt. Das Publikum war auffallend zurückhaltend und schüchtern. Als ihr gefragt habt, wo man gut essen gehen kann, hat niemand geantwortet…..
Valeska Steiner: Wir haben uns dann einfach bei einem Italiener auf unser Zimmer etwas mitgenommen.
Dürft ihr verraten an welchem Video ihr gestern gesessen seid?
S: Auf der Deluxe-CD wird es neben drei akkustischen Versionen und einem ‚re-work‘ auch eine ‚BOY behind the scenes‘-Dokumentation von unseren Auftritten in Japan und den USA geben. Da mussten wir gestern noch Teile freigeben.
Was ist in den vier Jahren nach eurem Debüt ‚Mutual Friends‘ alles passiert?
V: Wir waren richtig viel unterwegs. Mit dem ersten Album gingen wir in Deutschland, der Schweiz, Österreich und später in ganz Europa auf Tour. Als wir im Herbst 2013 aus Amerika zurückgekommen sind haben wir uns erstmals eine Off-Pause von einem Monat genommen. Aber dann ging es sofort wieder ans Schreiben. Insgesamt haben wir eineinhalb Jahre am neuen Album gesessen.
Andere Künstler haben viel mehr Druck als ihr….
S: Stimmt. Normalerweise geben Künstler im zwei Jahres Rhythmus Alben raus. Bei uns waren es vier Jahre in denen wir nichts veröffentlicht haben. Wir machen uns aber auch selber sehr viel Druck gemacht, weil wir langsame, anspruchsvolle Schreiberinnen sind. Uns war wichtig, dass die Arbeit die Zeit bekommt, die sie eben braucht bis es so gut ist, dass wir es auch zeigen wollen.
V: Als wir dann die Meldung gepostet haben, dass es wieder ein neues Album gibt haben wir uns so gefreut, dass alle noch da sind. Viele haben das Gefühl, dass man als Künstler ständig liefern muss: Facebook-Postings, Covers, neue Songs und Videos. Wir haben gemerkt, dass man darauf vertrauen kann was man wirklich zeigen möchte und worauf man gerade Lust hat.
Jetzt sind die Songs fertig und bei der Single ‚We were here‘ hat man hat das Gefühl, dass ihr die Städte und Orte, die ihr gesehen habt darin verewigen wolltet…
S: Für uns geht es auf dem Album überhaupt nicht um Städte…
V: Die Single ‚We were here‘ habe ich geschrieben nachdem ich mir eine Dokumentation über Liebeskummer angeschaut habe. Der Song hat keinen örtlichen Bezug sondern erzählt davon, wie man eine zwischenmenschliche Beziehung hinter sich lässt ohne traurig zurückzuschauen.
S: …so als würde man einen Schriftzug auf einer Hauswand hinterlassen. Aber eben nicht in einer Stadt sondern in einem Mensch. Es geht darum zu sagen: ‚Schön dass es dich gab‘ und nicht ‚Schade, dass es vorbei ist‘. Tatsächlich ist es so, dass es in unseren Songs nur sehr selten um uns geht.
Wann geht es am neuen Album um euch zwei?
S: Zum Beispiel in ‚New York‘. Valeska, erzähl die Geschichte….
V: Es gab Phasen, in denen wir eine ziemliche Schreibblockade hatten und zeitweise einfach gar nichts mehr ging. Wir hatten das Gefühl, nie mehr einen Song schreiben zu können. Ich habe in Zürich die Texte geschrieben und Sonja in Hamburg die Musik. Wir waren örtlich getrennt aber ständig in Kontakt. Als es einmal für Beide recht zäh war, haben wir uns einfach vorgestellt eine Woche in New York zu verbringen. Davon kommt die Strophe ‚let’s go outside and let’s pretend its New York‘. Wir haben quasi Urlaub zu Hause gemacht.
Verständlich dass ihr auch mal zu Hause sein wollt. Ihr wart ja immerhin zweieinhalb Jahre non stop auf Tour…
V: Es war uns wichtig, dass wir nach diesem langen Unterwegssein auch wieder nach Hause zurückkommen – als Valeska und Sonja und nicht als ‚Boy‘.
S: Und auch auf Tour ist es ganz schön, wenn man vom vollen Tourbus einmal ausbrechen kann, um alleine spazieren zu gehen. Wir waren in den einzelnen Städten nicht immer gemeinsam unterwegs.
Wart ihr überrascht als euer erstes Album in die japanischen Radio-Charts eingestiegen ist?
S: Total! Wir werden öfters nach einem Grund dafür gefragt und wissen es bis heute nicht. Es ist schon sonderbar: Man gibt die Musik raus und dann geht sie ihren Weg und man weiß nicht, was damit passieren wird. In unserem Fall hat das Video zu ‚Little Numbers‘ sehr viel geholfen, weil es sich so schnell verbreitet hat. Plötzlich haben uns Leute aus Brasilien und Mexiko geschrieben.
Das Video wurde in Barcelona gedreht. Woran könnt ihr euch erinnern?
V: Das waren zwei wunderschöne Tage ohne Skript und Plan. Unser Regisseur kommt aus der Stadt und ist ein großer Fan der pastellfarbenen Häuserfassaden und dem Licht. Alles sieht ganz warm und weich aus. Wir sind einfach rumgelaufen und haben gespielt. Irgendwann haben wir an einem Brunnen Familien mit ihren Kindern getroffen, die Lust hatten mitzumachen. Das Video zeigt wie natürlich Menschen miteinander kommunizieren können.
Für das neue Album gab es nur ein Lyrics-Video. Fällt es euch schwer die richtigen Bilder zu euren Songs zu finden?
S: Wir planen gerade ein Video zu einem Song, aber es steht noch nichts fest. Ich finde, Videos sind immer ein wenig schwierig…
Warum?
V: Wenn das Video hilft, die Stimmung im Song zu transportieren ist das natürlich super. Aber wir hatten auch schon einmal ein Video, das wir wieder aus dem Netz genommen haben, weil wir uns nicht damit identifizieren konnten. Das gleiche gilt für Werbung. Wir haben damals mit ‚Little Numbers‘ viele Angebote für Werbespots bekommen – von Farbfirmen bis Automarken. Am Ende war dann ein Spot für Lufthansa mit unserer Musik unterlegt. Selbst da haben wir ewig gehadert. Wir wollten nicht die Band aus der Werbung werden, haben dann aber zugestimmt, weil uns die Fans zu diesem Zeitpunkt bereits kannten.
Habt ihr das Gefühl, dass das neue Album auch neue Publikumskreise öffnen wird?
V: Das ist das Spannende. Man weiß ja nie, wem diese neun neuen Songs gefallen werden. Man weiß nicht, ob die alten Fans enttäuscht sind, oder neue dazukommen.
S: Was ich schön finde ist, dass ich oft Leute getroffen habe, die völlig andere Lieblingssongs haben. Ich denke unser Publikum hört eher ein ganzes Album als einen einzigen Song. Deswegen haben wir es auch so lange ‚geheim‘ gehalten: Wir wollten es nicht zerfleddern, sondern wie ein ganzes Paket servieren.
Wie würdet ihr dieses Paket beschreiben?
V: Wenn ‚Mutual Friends‘ ein Tagalbum war, dann ist ‚We were here‘ das Album der blauen Stunde und spiegelt die Nacht wieder.
S: Wir haben die Songs gemacht und gedacht: Oh, sie sind ein bisschen dunkler als die Letzten.
V: Für mich ist die Dämmerung etwas Besonderes. Man weiß, dass sie nicht so lange dauert und auch, dass der Moment bald vorbei ist, also genießt man ihn besonders.
Ich bin mir sicher viele Pärchen haben sich das erste Mal zu euren Songs geküsst. Dabei sing ihr relativ selten über Liebe…
S: Das einzige Liebeslied war eigentlich ‚Pony‘ vom ersten Album, oder?
V: Liebe ist für mich nicht nur zwischenmenschlich. In ‚Fear‘ geht es um Angst und unterschwellig auch um Liebe. ‚Rivers or Oceans‘ habe ich bewusst so abstrakt geschrieben, weil der Inhalt für mich sehr persönlich ist. Es geht darum, sich von etwas zu verabschieden, das einem nicht leicht fällt.
S: Das Tolle an Valeska ist, dass sie Geschichten erzählen kann, die Platz für die eigene Vorstellung lassen. Sie sind nicht so persönlich formuliert, dass sie nur für Valeska oder mich gelten sondern jeder fühlt sich eingeladen etwas anderes zu hören.
In ‚Hotel‘ erzählt ihr drei Geschichten von Reisenden in verschiedenen Räumen. Habt ihr immer so schöne Zimmer wie dieses hier?
S: Aber nein. Das erste Motel in den USA war ebenerdig und lag direkt neben der Autobahn. Es gab nur schwarzen Kaffee, Nutella und Marmelade. Davor parkten diese typischen amerikanischen Pick-Ups. Ich dachte mir nur: Alles klar, jetzt sind wir in Amerika (lacht).
Wie war das Publikum in Japan?
S: Was uns am Anfang schwer irritiert hat war, dass das Publikum ganz still und respektvoll war. Wir dachten zuerst, dass wir nicht gut ankommen. Aber nach den Shows kamen unglaublich viele Leute zu uns. Unsere japanischen Fans haben uns kleine Briefchen geschrieben. Eine Frau hat sich extra ein paar englische Sätze auf einem Bierdeckel übersetzen lassen.
V: In Japan zu spielen war so spannend für uns. Es war auch wie eine eigene Reise durch fünf Städte. Wir interessierten uns für das Land und im Gegenzug freuen sich unsere Fans auf unsere Musik.
Was macht ihr bei der nächsten Schreibblockade?
Beide: Uns anrufen.
V: Songs schreiben ist nicht planbar. Man kann es nicht studieren und gute Ideen kommen nicht auf Knopfdruck. Das ist für mich das Schöne daran. Da gab es zum Beispiel einen Text auf dem Album – ‚Into the Wild‘- der kam angeflogen wie ein Geschenk und das im unerwartetem Moment. Ich war sehr müde, hatte Fieber und war in der Nacht davor zu lange aus gewesen. Ausgerechnet, als ich wie im Delirium im Bett lag, kam mir der beste Einfall für den Song. Davor kann man drei Tage am Schreibtisch sitzen und es versuchen und er wird einem doch nicht einfallen.
Wir sind auf jeden Fall schon sehr gespannt auf das neue Album! Vielen Dank für das tolle Gespräch!