Di, 12. Mrz 2013

The xx im Feature

Weniger ist mehr

Ruhig, dezent und unaufdringlich erobern The xx das künstlich aufgeblasene Popgeschäft – und machen deshalb alles richtig. Romy Madley Croft, Oliver Sim und Jamie Smith sind Meister des Weglassens, verzichten auf den ganzen Schnickschnack und nagen ihre Songs bis aufs Skelett ab. Am 15. Mai kommt das Trio aus London mit ihrem aktuellen Album ‚Coexist‘ nach Wien. VOLUME hat mit Jamie xx über seine musikalischen Anfänge, Konzerte auf der ganzen Welt oder leidenschaftliche Remixe geplaudert.

Jamie ‚xx‘ Smith sitzt im Studio in London und trifft die letzten Vorbereitungen für die rund einen Monat dauernde Tournee quer durch die USA – von New York über Miami, Houston bis hin zu Tucson in Arizona an der Westküste: ‚Wir gehen im Studio noch mal alles für die Shows durch‘, sagt Jamie unaufgeregt ins Telefon. Mit ‚wir‘ meint der wortkarge Twentysomething natürlich seine Stammband The xx, bei der er für die minimalistischen Beats und gefälligen wie unterkühlt klingenden Synthesizersounds zuständig ist.

Wie vertreibst du dir die Zeit zwischen den zahlreichen Konzerten auf der Tour? ‚Mit dem Laptop. Auf dem werde ich viel Musik hören, aufnehmen und an anderen Projekten arbeiten. Zum Lesen bleibt mir im Moment leider keine Zeit.‘ Auch die Kritiken über ihr neues Album ‚Coexist‘ kenne Jamie nicht: ‚Ich habe schon länger damit aufgehört, Artikel über uns und unsere Musik in Zeitungen und Magazinen zu lesen. Das ist besser für die Gesundheit.‘

Stille

Am liebsten sagt Jamie xx nichts. Seine zurückhaltende, schweigsame Art passt gut zur Aura, die das Trio seit der Veröffentlichung ihres Debüts ‚xx‘ umgibt: Sie sind Meister der Verknappung im Zeitalter des heillosen Überangebots. Schlicht und schwarz sind die Klamotten, blass ihre Haut und verträumt melancholisch ihre Stimmungslage. Bei Pressefotos langweilen sich Jamie xx, Oliver Sim und Romy Madley Croft gerne vor grauen Wänden, lassen die Köpfe hängen oder vermeiden es, in die Kamera zu sehen. Wo andere Schlagzeilen machen und die Medien mit Skandälchen versorgen, sind The xx verhaltensunauffällig. Auch der gewaltige Erfolg und das mediale Raunen, das ihre beiden bisherigen Alben mit sich gebracht haben, scheint an ihnen spurlos vorübergegangen zu sein: kein Größenwahn, kein Drogenkonsum, keine psychischen Störungen.

Im Gegenteil: The xx machen einfach das, was sie am besten können: Sie lassen die Musik für sich sprechen. Jamie xx konnten wir dann doch noch ein paar Sätze entlocken. Angesprochen auf seine musikalischen Anfänge, erzählt er für seine Verhältnisse fast schon euphorisch über alten Jazz oder Soul, mit dem seine elterliche Musikerziehung begonnen hat: ‚Die Platten meiner Eltern waren für mich die ersten Berührungspunkte mit Musik und haben mich nachhaltig geprägt. Auch heute höre ich noch sehr gerne diesen afroamerikanischen Sound aus dem vergangenen Jahrhundert, aber natürlich auch neuere Produktionen. Sehr gut gefällt mir etwa der Langspieler ‚Kill for Love‘ von Chromatics – wirklich sehr gut produziert‘, schwärmt Jamie xx.

Zeit

In jungen Jahren haben ihm Mama und Papa aber nicht nur Platten vorgespielt, sondern den kleinen Jamie auch zum Piano-, Saxophon- und Schlagzeugunterricht ermutigt. ‚Länger als ein Jahr habe ich mich dafür aber nicht begeistern können‘, gesteht er ein. Anders sieht es mit der Arbeit für The xx aus. Der Kopf hinter den minimalistischen Rhythmen kümmert sich um die Beats, die im Falle des aktuellen Albums ‚Coexist‘ hauptsächlich am Laptop entstanden sind. Apropos ‚Coexist‘: Wie groß war die Anspannung vor der Produktion des als schwierig geltenden zweiten Albums? ‚Wir haben uns selbst sehr viel Druck gemacht, da wir unsere Fans nicht enttäuschen wollten. Deshalb haben wir uns vor der Arbeit an den neuen Songs auch viel Zeit genommen. Wir mussten Abstand gewinnen und neue Ideen in den Kopf bekommen, die uns glücklich machen. Wir haben in dieser Zeit keine Shows gespielt. Das war sehr wichtig, weil Konzerte sehr viel Energie beanspruchen. Dadurch kann man sich auf nichts anderes mehr konzentrieren.‘ Apropos live: Konzerte sind für Jamie xx mehr Überwindung als Freude: ‚Wirklich sehr anstrengend das Ganze – man muss sich ständig konzentrieren. Ich fühle mich auch nach zig Konzerten noch immer nicht ganz wohl auf der Bühne.‘ Besser geht es ihm beim Auflegen in diversen Clubs. ‚DJ zu sein macht mir viel mehr Spaß, da bin ich ganz in meinem Element.‘

Frieden

Und was unternimmt er, wenn er sich mal nicht mit Musik beschäftigt? ‚Ich skate gerne, wenn ich Zeit habe. Aber ich habe leider wenig Zeit.‘ Ansonsten macht er das, was andere junge Männer in seinem Alter auch gerne machen: Er trifft Freunde zum Essen und Ausgehen. Etwas ausgefallener ist dann schon sein Hobby: ‚Das Sammeln von Vintage-Synthesizern und alten Keyboards ist mittlerweile zu einer Leidenschaft geworden.‘ So auch das Produzieren von Remixen. Das hat für Jamie auch eine reinigende Wirkung: ‚Remixe für eigene oder fremde Songs anzufertigen, bringt Frieden und Ruhe in meinen Kopf. Es ist für mich eine Art Flucht aus dem normalen Studioalltag und ermöglicht mir, einige Melodien oder Tracks anders, aus meiner Sichtweise zu interpretieren.‘ Anfragen von diversen Musikern gibt es natürlich genug.

Aber Jamie xx legt nur Hand an, wenn ihm das Ausgangsmaterial auch gefällt. Seine bisherigen Remixarbeiten zeigen, dass seine Dienste von den ganz Großen im Business gefragt sind: Radiohead, Four Tet oder Gil Scott-Heron. Für Großmeister Scott-Heron hat sich der britische Wunderknabe gleich ein ganzes Album vorgenommen: Aus ‚I’m New Here‘ wurde ‚We’re New Here‘ – eine elektronische Neuinterpretation der allerletzten Veröffentlichung des 2011 verstorbenen Hip Hop Pioniers aus Harlem, für die Jamie xx enormen Beifall ernten konnte. Bei der Frage, ob er uns verraten möchte, welche Remixanfragen er bereits dankend abgelehnt hat, lässt uns Jamie mit einem kurzem ‚No‘ abblitzen. Eine ruhige, dezente und unaufdringliche Antwort, so minimalistisch wie die Songs von The xx.