Stillstand ist ein verlangsamtes Schaukeln
Listen to Leena im Interview
Was beim ersten Hören klingt wie eine gechillte Kelis mit ein bisschen Erykah Badu im Schlepptau, ist tatsächlich Lucia Leena, die mit ihren vier Herren gerade den zweiten Langspieler „Pendulum“ veröffentlicht hat. Jakob Mayr an der Posaune, Simon Raab an den Tasten, Felipe Ramos am Bass, Andi Senn am Schlagzeug und der Elektronik sind die Bank hinter der Frontfrau. Gemeinsam machen sie tanzbaren Synthie-Pop mit klaren Botschaften – mal beschwingter, mal nachdenklicher, aber stets in Bewegung zwischen Tiefgang und Appeal. Wir haben mit der Lucia Leena über kritische Phasen, 30-stündige Zugfahrten, Schubladen und Schwingungen gesprochen.
Der zweite Langspieler geht ja bekanntlich oft schwerer von der Hand als der erste. Wie war das für euch?
Das können wir nicht bestätigen … Ich glaub, bei uns war’s anders rum. (lacht) Die Arbeit an „Pendulum“ war irrsinnig beflügelnd, spannend und auf eine ganz schöne Art und Weise herausfordernd. Wir haben mit dem Drummer und Producer Herbert Pirker zusammengearbeitet, der sich wie ein sechstes Bandmitglied mit wirklich großer Hingabe mit unseren Songs beschäftigt hat. Seine Ideen und Inputs zu Sounds, Grooves und der Postproduktion haben uns alle gemeinsam wachsen lassen. Wir haben viel voneinander gelernt und uns gegenseitig inspiriert. Ein kollektives Glücksmoment!
„Pendulum“ beschäftigt sich auch mit einer kritischen Phase in deinem Künstlerinnendasein. Was gab es zu verarbeiten?
Ich hatte gesundheitliche Probleme mit meiner Stimme. Das war ziemlich heftig für mich, weil ich gemerkt habe, wie viel von meiner Identität an meiner Stimme und dem wiederum davon abhängigen Musikerinnendasein hängt. Es hat sich wie ein plötzlicher Stillstand angefühlt und hat mich mit vielen Ängsten und Zweifeln konfrontiert. Rückblickend gesehen bin ich aber sehr dankbar für die Erfahrung, weil ich gelernt habe, dass es keinen Stillstand gibt. Alles bleibt immer in Bewegung, eben wie ein Pendel. Es gibt einen Satz des französischen Philosophen Michel de Montaigne, der mich in dieser Zeit oft in Gedanken begleitet hat: „Das Leben ist nichts als ein ständiges Auf und Ab. Alles darin wankt und schwankt ohne Unterlass. Selbst der Stillstand ist bloß ein verlangsamtes Schaukeln.“ Schön formuliert, oder?
Sehr schön gesagt! Wie wichtig war aber eine 30-stündige-Zugreise von New York nach New Orleans für das Album und warum?
Die zwei Städte sind mehr oder weniger unwesentlich, wobei mich der Vibe von New Orleans schon sehr begeistert hat! Es ist aber eher das Unterwegssein, das für mich relevant ist. Ich reise total gerne alleine, seit Jahren schon, und ein Großteil meiner Songs entsteht eben genau auf diesen Reisen. Ich finde die Fremde einfach sehr inspirierend und es ist außerdem purer Luxus für mich, mit meinen Gedanken und Ideen für längere Zeit ungestört sein zu können. Ob das dann in einer Airbnb Wohnung in Zürich, einem besetzten Haus in Genua oder einem Amtrak Train quer durch die USA ist, spielt natürlich eine Rolle, aber nicht die größte …
Auch das erzählerische Ich ist auf dem Album ständig in Bewegung. Wie rastlos bist du persönlich? Bzw. wie gut oder schlecht kannst du privat abschalten?
Es gibt eine sehr große Rastlosigkeit in mir. Ich bin ein Workaholic und arbeite fast immer. Das Abschalten musste ich in den letzten Jahren erst lernen und es gelingt mir manchmal immer noch nicht. Meine Schwangerschaft letzten Jahres war diesbezüglich eine wirklich super Erfahrung. Ich wurde zunehmend langsamer, gemütlicher und entspannter. Die letzten zwei Monate bin ich mir vorgekommen wie ein großer, schwerer, langsamer Wal. Ich habe so viel geschlafen wie noch nie zuvor und war jeden Tag in der Badewanne. Das waren gute Zeiten! (lacht)
Wie entsteht ein Listen-to-Leena-Song? Du schreibst ja bekanntlich die Text zunächst allein … wie geht es dann weiter
Meine Songs entstehen immer im Alleinsein und oft direkt an meiner schönen Gibson Gitarre. Manchmal aber auch ohne Instrument, draußen unterwegs, in einem Zug oder auf der Straße dahinspazierend. Ich nehme die erste Idee immer gleich als Sprachmemo auf meinem Telefon auf, sonst geht sie verloren. Es ist selten nur Musik oder nur Text, in den meisten Fällen gibt’s einen Gedanken und eine Melodie in Kombination. Erst zu einem späteren Zeitpunkt werden die Lyrics noch erweitert und der Song vervollständigt. Dann beginnt der schöne kollektive Prozess im Proberaum. Wir lassen uns fürs gemeinsame Arrangieren und die Suche nach den passenden Sounds für einen Song oft richtig lang Zeit und verstehen uns da wirklich als Band. Wir probieren viel aus, nehmen verschiedene Versionen auf, um dann am Ende vielleicht wieder zur ersten Idee zurückzukehren. Die Jungs sind sehr sensibel und innovativ. Ich schätze es unglaublich, wieviel Herzblut sie meinen Songs entgegenbringen.
Ihr seid alle studierte Vollblutmusiker. Wie leicht oder schwer finden fünf kreative Köpfe dann einen Konsens in musikalischen Fragen?
Manchmal wird schon diskutiert, aber wir gehen grundsätzlich wertschätzend und respektvoll miteinander um. Manche Entscheidungsprozesse werden auch dadurch erleichtert, dass ich die Endentscheidung treffe. Oder wir lassen die Entscheidung noch offen und zu Beginn der nächsten Probe sind wir uns dann plötzlich eh einig.
Ihr kombiniert moderne Synthesizer-Sounds mit klassischen Instrumenten. Auf welchem Medium ist Listen to Leena deiner Meinung nach am besten erfahrbar?
Wir haben nun zum ersten Mal Vinyl pressen lassen, das freut uns ganz besonders und ich finde, dass Vinyl unserem Sound steht! Ansonsten hängt ja enorm viel davon ab, welche Kopfhörer beziehungsweise welche Anlage zum Hören verwendet werden. Mein Vater hat ein Faible für gute Klangqualität und besitzt eine ziemlich gute Hi-Fi-Anlage, dort klingt „Pendulum“ schon sehr gut. Wir sollten mal eine public listening session bei ihm organisieren. (lacht)
„You see me falling to the ground, but I keep trying anyway, another song, another sound.“ – Darf man vor allem Letzteres auch als euer Band-Motto verstehen?
Durchaus. Wir sind Soundnerds und gehen oft ins kleinste Detail bei unseren Überlegungen. Die etwas tiefere Snare nur im Refrain oder auch im Outro? Den High-Cut-Filter des Synths sparsam oder viel verwenden? Großer oder kleiner Hallraum auf der Posaune im Intro? Das sind Fragen, die uns im Proberaum interessieren. Es wird getüftelt und manchmal verlieren wir uns zugegeben auch darin … aber es macht Spaß! Wir wollen uns selbst nicht langweilen und nehmen uns auch die Freiheit, uns weiterzuentwickeln und zu verändern.
Doch in welche Schublade(n) darf man Listen to Leena niemals stecken? Worauf reagiert ihr allergisch?
Ich amüsiere mich manchmal über Menschen, denen ihr Titel, Studienabschluss oder die Anrede per Sie besonders wichtig sind. Vielleicht reagiere ich deshalb auch ein bisschen allergisch, wenn unser akademischer Background in den Vordergrund gestellt wird. Wir haben zwar alle ein Instrument studiert und uns an der Uni kennengelernt, aber das spielt für uns als Band keine besondere Rolle.
In Zeiten, in denen frische Musik aus Österreich gehypt wird wie selten zuvor, wirken englischsprachige Texte fast schon exotisch. Warum textest du auf Englisch?
Ganz einfach, weil es mir am naheliegendsten ist: Ich mag die englische Sprache. Ich mag den Sound. Ich mag es, dass ich den gedanklichen Umweg gehe, weil es eben nicht meine Muttersprache ist, und ich singe einfach gern auf Englisch. Die Sprache zu wechseln, nur weil es grad hip ist, läge mir wirklich sehr fern.
Und wie kam es eigentlich zur Zusammenarbeit mit Willi Resetarits und wie war es?
Willi Resetarits hat uns im Mai dieses Jahrs zu seiner Konzertreihe Sunday Sounds eingeladen. Wir haben ihn ein paar Tage davor spontan gefragt, ob er bei einem Song mitspielen möchte. Das hat uns dann allen so getaugt, dass wir ihn ganz kurzfristig für eine Aufnahmesession eingeladen haben. Wir haben ihn an einem sonnigen Nachmittag bei ihm zu Hause besucht, ein Mikro in seinem Wohnzimmer positioniert und dann hat er auch schon losgelegt. Im Anschluss haben wir uns kleine Patisserie-Törtchen vom Meidlinger Markt gegönnt und uns gegenseitig Anekdoten aus unserem Leben erzählt. Willi ist ein unfassbar herzlicher und inspirierender Mensch und Musiker, es ist uns wirklich eine große Ehre, dass er auf „Pendulum“ zu hören ist.
Coole Sache! Danke fürs Gespräch … wir sehen uns am 17. Oktober im B72!