Sexy ohne Bart
Nick Cave im Interview
Nach der Rückkehr zu seiner Stammformation, den Bad Seeds, hat sich Nick Cave von seiner herrlichen Rotzbremse getrennt. Schade drum, aber vielleicht will sich Mr. Cave durch diese Rasur auch optisch von Grinderman lösen – seinem Nebenprojekt, mit dem er in den letzten Jahren ziemlich lässig seine Lebenskrise verarbeitet hat. Das Gröbste dürfte der Mittfünfziger nun aber geschafft haben, denn auf ‚Push The Sky Away‘ klingt der australische Superstar äußerst gelassen und harmoniebedürftig. Live spielt er mit den Bad Seeds beim FM4 Frequency Festival in St. Pölten.
Nick, was schätzt du an deinem Freund Warren Ellis?
Warren und ich arbeiten bei vielen unterschiedlichen Projekten zusammen: Bad Seeds, Grinderman und bei unseren Filmmusikproduktionen. So etwas wie Langeweile oder Ideenarmut kommt dabei aber nie auf. Im Gegenteil: Die Zusammenarbeit mit Warren ist stets unglaublich fruchtbar. Was er der aktuellen Platte beigesteuert hat, ist enorm. Bei allen Liedern auf „Push The Sky Away“ hatte er seine Hände im Spiel. Woher er seine Sounds, seine endlose Kreativität bezieht, ist für alle Beteiligten ein Rätsel. Die Loops, die er für ‚Push The Sky Away‘ kreiert und eingespielt hat, sind außergewöhnlich, sehr organisch, nicht elektronisch, aber doch detailreich und unglaublich intensiv. Ich habe in meiner Karriere schon mit vielen Leuten kollaboriert, aber mit Warren zusammen zu arbeiten empfinde ich als Privileg. Er ist ein absoluter Glücksfall für mich.
Die Bad Seeds gibt es jetzt schon über 30 Jahre. Unglaublich. Was für ein Geheimnis steckt hinter dieser Langlebigkeit?
Diese Band ist nicht mehr das, was sie vor zehn, zwanzig Jahren mal war. In der langen Zeit gibt es natürlich immer wieder Veränderungen, Umbrüche: Mitglieder verlassen das Kollektiv, widmen sich anderen Projekten und kehren nach Jahren wieder zurück. Barry Adamson zum Beispiel. Er hat zwar die Band vor langer Zeit verlassen, aber wir sind über die Jahre stets in Kontakt geblieben. Für das neue Album habe ich ihn dann gefragt, ob er nicht den Bass spielen möchte. Und er hat mit Begeisterung ‚Ja‘ gesagt. Ich hatte auch Blixa Bargeld eingeplant. Der wollte anfangs mitmachen, konnte dann aber leider nicht. Betonen möchte ich, dass die Bad Seeds mehr sind als ein loser Haufen von Vagabunden. Sie sind viel mehr eine sich ständig verändernde Familie.
Wie findet es deine Frau, dass ihr für das Albumcover ein Nacktbild von ihr verwendet habt?
Sie findet es gut, hatte überhaupt nichts dagegen und sich sogar richtig über das Foto gefreut.
So manche Feministin ist aber der Meinung, dass eine Nackte am Cover nicht sein hätte müssen.
Stimmt, diese kritischen Stimmen habe ich auch gehört. Mich überrascht das ehrlich gesagt. Insbesondere Frauen denken oft, dass andere Frauen, die so etwas tun, also zum Beispiel sich ausziehen, von Männern dazu gedrängt wurden. Meine Frau würde garantiert niemals etwas tun, das sie nicht wirklich tun wollte – keine Feministin dieser Welt muss sich ihrer annehmen. Aber danke der Nachfrage!
Wie sieht der Entstehungsprozess deiner Songs aus?
Zuerst muss ich mir in meinem Kalender einen Termin notieren, an dem ich mit der Arbeit beginne. Es gibt am Anfang also nichts außer ein leeres Blatt Papier – keine Ideen, keine Akkorde, keine Lyrics. Das Songschreiben nimmt bei mir sehr viel Zeit in Anspruch. Manchmal füllen meine Vorstellungen zu einem Song mehrere Seiten. Das Lied nimmt nach einer gewissen Zeit eine gewisse Anatomie an. Diese muss man dann so lange formen, bis man damit zufrieden ist. Bei den Arbeiten an ‚Push The Sky Away‘ war Sommer und ich saß oft auf der Terrasse, wurde von vielen Beobachtungen inspiriert, die sich dort rund um mich abgespielt haben.
Im Song ‚Watet’s Edle‘ treffen sich Mädchen und Jungs am Strand, um ihre Unschuld zu verlieren. Hast du das auch beobachtet?
Im Song geht es nicht in erster Linie um die Jungs und Mädls, sondern um einen alten Typen, der sie dabei beobachtet, wie sie zum Ufer gehen. Das sollte als Antwort ausreichen.
Wie würdest du den Gesamtsound von ‚Push The Sky Away‘ beschreiben?
Sinnlich, das war so gewollt. Wir lassen klanglich viel Platz, viel Raum, was auch zu einer gewissen Wärme im Sound führt. Auch die Songtexte sind viel femininer als bei Grinderman, wo es ja doch meist recht machohaft und brachial zugeht. ‚Push The Sky Away‘ ist auf eine weibliche Art sexy.
Welcher deiner Songs ist dir über die Jahre besonders ans Herz gewachsen?
Unmöglich zu beantworten, denn es gibt so viele Songs, die ich in meiner Seele trage – etwa ‚The Mercy Seat‘. Ich kann dieses Lied immer bei einem Auftritt aus dem Hut ziehen. Und es ist egal, was wir gerade durchmachen, oder welchen Stil wir gerade spielen. Wir können immer ‚The Mercy Seat‘ bringen. Das ist der Beweis für einen guten Song.
Was heißt es für dich, auf Tournee zu gehen?
Eine ausgiebige Tournee verändert einen Menschen. Vor Tausenden von Menschen zu spielen ist für eine kurze Zeit eine sehr intensive Angelegenheit. Danach vergeht dieses wunderbare Gefühl aber, und bei den Auftritten stellt sich eine gewisse Routine ein. Danach dreht man nach dem Konzert am liebsten den Fernseher auf, will bloß seine Ruhe haben und fängt an, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Und genau das ist das Problem bei einer Tour: Man fängt an, sich auf sich selbst zu sehr zu konzentrieren.
Dann werden wir versuchen, dich beim FM4 Frequency Festival ordentlich abzulenken. Bis bald in St. Pölten!