Renaissance statt Reunion
The Libertines im Interview
Mit Carl Barât zu telefonieren, ist immer eine sehr feine Angelegenheit. Vor allem dann, wenn er bestens gelaunt im ausnahmsweise sonnigen London sitzt und charmant Geschichten darüber erzählt, wie er heute Shorts und Flipflops trägt. Außerdem ist das neue Album ‚Anthems for Doomed Youth‘ von The Libertines einfach zu gut gelungen, um nicht auch ein paar Fragen in die musikalische Richtung zu stellen. Reunion? Eher ein Schlachtruf, ein Heimkehren und gleichzeitig auch ein Zurückerinnern!
Alles Gute nach London! Erschöpft von den vielen Shows der letzten Wochen?
Danke, mir geht’s bestens. Die Sonne scheint und das, obwohl ich in London sitze. Auch sonst läuft momentan alles wirklich sehr gut.
Welcher war der beste Auftritt dieser Tour bis dato?
Das war in einem eher kleineren Club in Berlin, natürlich kann ich mich gerade nicht an den Namen erinnern. Verflixt! Ich weiß noch, wir sind dort angekommen und dachten, dass das alles total daneben geht. Die Technik hat nicht so funktioniert wie gewünscht, abgesehen davon gab es etliche weitere Probleme. Aber siehe da – der Gig war wunderbar. Das haben wir wohl größtenteils dem Publikum zu verdanken.
Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie nervös seid ihr vor einem Auftritt?
Acht? (lacht) Nein, ganz so schlimm ist es wohl nicht! Aber wobei, doch – nervös sind wir schon. Man weiß ja wirklich nie, wie das Publikum drauf ist und reagiert. Außerdem kann eine gewisse Grundnervosität nie schaden!
Wann war für euch klar, dass ihr ein drittes Album aufnehmen wollt?
Ach, in Wahrheit war uns immer klar, dass wir das wollen. Offen gestanden waren die Probleme, die das verhindert haben, eher privater Natur. Pete (Doherty, Anm. d. Red.) war auf Entzug, darüber hat die Klatschpresse ja ausführlich und geschmacklos berichtet. Generell gab es viele Höhen und Tiefen – bei jedem von uns, das hat uns als Band leider sehr oft zurückgeworfen. Nun hat der Zeitpunkt für jeden von uns perfekt gepasst, um wieder gemeinsam ins Studio zu gehen.
Wie war’s in Thailand? Habt ihr euch vor Ort musikalisch inspirieren lassen?
Nun ja, sicher ist man immer – zumindest stellenweise – von dem Ort geprägt, an dem die Aufnahmen stattfinden. Thailand war aber mehr ein Rückzugsort für uns. Die Songs bzw. Demos waren vorher schon im Kasten, wir haben sie vor Ort dann eingespielt und abgerundet.
Was hat ‚Anthems for Doomed Youth‘ zu bedeuten?
Es gibt ein gleichnamiges Gedicht von Wilfred Owen, einem englischen Dichter. Er verarbeitet darin seine Eindrücke des Ersten Weltkriegs, in dem er als Soldat selbst gekämpft hat. Es geht hauptsächlich darum, dass er die jungen Männer beklagt, die in der Schlacht fallen, während zu Hause der Krieg glorifiziert wird. Ganz so dramatisch ist unsere Situation natürlich nicht, aber es hat metaphorisch gut zu unserer Situation gepasst. Ein Schlachtruf, ein Heimkehren und gleichzeitig auch ein Zurückerinnern.
Was entgegnet ihr den Kritikern, die meinen, ihr klingt genau wie vor zehn Jahren?
Einen gewissen Sound wird man als Band wohl nie ganz los. Wieso auch, das ist auch der Grund, warum einen die Fans lieben und schätzen – der sogenannte Wiedererkennungswert. Nur denke ich schon auch, dass Bands mit jedem Song, jeder Platte eine Überraschung bieten müssen – auch wenn es nur eine kleine ist. Wir haben versucht, vor allem unsere Erfahrungen der letzten Jahre zu bündeln und in die neuen Songs zu stecken. Musikalisch wie privat!
War es schwierig, mit dem Medienrummel und dem daraus resultierenden Druck um eure angebliche Reunion umzugehen?
Ehrlich gesagt haben wir davon wenig mitbekommen. Natürlich hört oder liest man, was geredet und geschrieben wird – aber wir waren wirklich so sehr in die Arbeit vertieft, dass wir keine Zeit hatten, uns damit auseinanderzusetzen. Was sicher auch seine Vorteile hatte! Erfüllen wir die Erwartungen der Fans? Das ist auch so eine Phrase, die man in dem Zusammenhang oft zu hören bekommt. Ich glaube natürlich, dass viele unserer ehemaligen Fans die Platte kaufen oder zu den Shows kommen werden. Aber ebenso glaube ich, besser gesagt, weiß ich mittlerweile, dass in der ersten Reihe oft ganz junge Leute stehen. Die waren bei unserem Debüt vielleicht in der Grundschule. Da können wir quasi komplett von vorne starten. (lacht)
Ist ‚Reunion‘ nicht auch ein Wort mit schalem Beigeschmack?
Das kann sein. (schmunzelt) Es gibt sicher einige Bands, die es lieber hätten bleiben lassen sollen. Das stimmt! Aber wenn ich an The Kinks oder The Smiths denke, kann es auch in eine andere Richtung gehen. Ich hoffe natürlich, dass wir uns dort einreihen. Wobei ich bei The Libertines vielleicht gar nicht das Wort ‚Reunion‘ in den Mund nehmen würde. Das hat die Presse künstlich aufgebauscht. Natürlich haben wir einige Jahre nichts veröffentlicht. Aber das war, wie bereits gesagt, nicht deshalb, weil wir nicht wollten. Es ging einfach nicht…
Dafür freuen wir uns jetzt umso mehr, dass The Libertines wieder können! Bis hoffentlich bald in Wien.