Mo, 1. Nov 2010

Poppen mit MGMT

MGMT im Interview

Von avantgardistischen Performances und aufblasbarem Schneemann mit Vollgas in die Popcharts – und dann ein Stück weit wieder zurück: Das New Yorker Duo MGMT hat nach ihrem Durchbruch mit Hits wie „Time To Pretend“ oder „Kids“ einen herrlich versponnen Psychedelic-Sound geschaffen. Albumtitel: „Congratulations“. Am 8. Dezember stellen sie ihren neuen Langspieler im Wiener Gasometer live vor. Im Interview mit VOLUME erzählt Ben Goldwasser, was Brian Eno und John Cage damit zu tun haben, wo er Tyrannei ortet und warum er Frankreichs Staatspräsident Sarkozy verklagen musste.

Warum habt ihr mir eurem jüngsten Album „Congratulations“ eine drastische Abkehr vom Sound der Hits „Time To Pretend“ und „Kids“ gewagt? 

BEN GOLDWASSER: Mit „Time To Pretend“ sind wir nur auf Grund von ein paar – übrigens zynisch gemeinten – Textzeilen als dieses drogensüchtige, psychedelische Hippie-Electronic-Duo abgestempelt worden. Wir fühlen uns aber ganz anders, sind im wahren Leben sehr nachdenkliche Menschen. Mit dem neuen Album versuchen wir deshalb, inhaltlich mehr zu sagen. Und der neue Sound kommt daher, dass wir eine sehr breite Definition von dem Begriff „Psychedelic“ haben. Für uns hat das nichts mit Drogen zu tun, sondern allein damit, wie man Dinge betrachtet. Man kann auch ohne chemische Hilfe und künstlich veränderte Geisteszustände auf neue Perspektiven kommen.

Ihr habt experimentelle Musik studiert und mit avantgardistischen Performances begonnen. Wolltet ihr weg vom Mainstream und wieder dorthin zurück? 

Was wir machen ist Pop und das wird auch so bleiben. Aber wir haben beim Studium viel über die Werke von John Cage und Philip Glass gelernt. Wie es ihnen um den Prozess ging, den man verfolgt, um kreativ zu sein. Wie dieser Prozess die Sounds rechtfertigt, auch wenn sie vielleicht nicht mehr als Musik sondern als Geräusch eingestuft werden. Das hat uns schon stark beeinflusst. Aber auch Industrial hat uns geprägt.

Trent Reznor und Nine Inch Nails? 

Mehr Throbbing Gristle, Cabaret Voltaire und Fad Gadget – Musik, die bewusst unhörbar gestaltet wurde, aber in der Struktur immer noch Pop war. Wir sind mit „Congratulations“ bei weitem nicht so experimentell und verrückt wie die. Aber wir sind definitiv gegen diese Tyrannei in der Popmusik, wo alles einem Trend folgen muss, sonst ist es nicht cool. Es sollte genau umgekehrt sein. Pop sollte nicht Trends folgen, sondern sie anführen und kreieren. Deshalb haben wir bei diesem Album bewusst nie das Offensichtliche gemacht, sondern immer etwas anderes – weil es außerhalb des Offensichtlichen so viel anderes Interessantes zu tun gibt. Zum Beispiel in einem Song einen Refrain nicht wiederholen sondern für jede Strophe einen neuen schreiben.

Habt ihr deshalb dem ähnlich experimentierfreudigen Brian Eno einen Song gewidmet?

Darin geht es mehr um Fantum und öffentliche Wahrnehmung. Wie übrigens in mehreren der neuen Songs. Eno ist ein interessantes Beispiel dafür, wie Leute in einem Teil der Öffentlichkeit als durchgeknallt gesehen werden. Aber für Leute, die ihn näher kennen, ist er fast ein Gott. Obwohl wir beide derart hingebungsvolle Fans von ihm sind, ist das auch eine Anbetung, die wir für gefährlich halten.

Einige der Botschaften in „Congratulations“ klingen politisch motiviert. Ihr habt euch aber immer gegen das Image der politischen Band gewehrt. 

Wir finden schon, dass auch Popmusik etwas über die Zeit, in der wir leben, sagen muss. Aber sie muss auch offen für alle sein und nicht nur für Leute, die eine bestimmte Meinung haben. Deshalb würden wir in der Öffentlichkeit nie konkrete politische Ziele und Kampagnen unterstützen – außer es muss unbedingt sein.

Wie damals, als ihr die Partei von Frankreichs Staatschef Sarkozy auf Entschädigung wegen Urheberrechtsverletzung geklagt habt, weil er euren Hit „Kids“ im Wahlkampf verwendet hat.

Wir glauben fest daran, dass es falsch ist, Leute für illegale Downloads zu bestrafen. Plattenfirmen wollen ihren Konsumenten Regeln auferlegen, wie sie Musik zu hören haben, die Musik in einen Käfig sperren, anstatt eine Lösung zu suchen, mit der sie und ihre Kunden zufrieden sind. Sarkozy hat illegal unseren Song benützt, während er gleichzeitig darauf gedrängt hat, illegale Downloads gesetzlich mit Strafen zu belegen. Wir fanden, das war das Dümmste, was er machen konnte. Um das klarzustellen, mussten wir uns leider in die Politik einmischen. Und mit der Ausgleichszahlung konnten wir dann auch noch den Erdbebenopfern in Haiti helfen.


 

FACT BOX

BESETZUNG: Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser lernten sich beim Studium der Experimentellen Musik an der Wesleyan Universität in Connecticut kennen. Sie nannten sich zunächst Management (abgekürzt: MGMT) und  begannen sofort mit avantgardistischen Performances. Ben: „Wir haben irgendwelche Songs vom iPod abgespielt, dazu mit dem Mikrofon Rückkopplungs-Geräsuche gemacht und Bäume mit Spray-Dosen bemalt. Oder eine Nine-Inch-Nails-Nummer gecovert und dazu einen Schneemann aufgeblasen.“

 

DURCHBRUCH: 2005 machten Goldwasser und VanWyngarden ihren Uni-Abschluss, veröffentlichten die EP „Time To Pretend“ und gingen auf Tour. Ohne nennenswerte Erfolge. Als sie schon aufgeben wollten, bekam Linkin-Park- und Gossip-Produzent Rick Rubin die EP in die Hand, war begeistert und verschaffte ihnen einen Plattenvertrag. Das Album „Oracular Spectacular“ erschien 2008 und verkaufte sich mehr als eine Million Mal.