Placebo im Interview - Das Leben des Brian
Am NOVAROCK werden Placebo ihr neues Album „Battle For The Sun“ in Österreich erstmals live präsentieren. Wir haben vorab mit Engelsstimme Brian Molko telefoniert und verraten exklusiv, warum Hardcore-Fans den Morgen nach dem Konzert am besten an stillen Plätzchen außerhalb des Festival-Areals verbringen sollten. Superplusplus exklusiv: Herr Molko verlautbart den ultimativen Tipp gegen Kater-Beschwerden.
Hi, Brian. Vorhin hab ich im Radio gehört, dass heute der „Internationale Tag des Lärms” sei. Darf ich ihn angesichts dieses Gesprächs und des kommenden Albums zum „Battle For The Sun“-Tag umbenennen? Die Platte klingt im Vergleich zu den letzten nämlich recht heftig…
Naja, der richtige „Battle For The Sun”-Tag wird erst der Anfang Juni sein. Der Tag, an dem das Album endlich rauskommt. Aber um was geht’s bei diesem „Tag des Lärms“? Welcher Lärm ist da gemeint?
Keine Ahnung. Ich denke alles, das Geräusche erzeugt. Industrielärm…
…weinende Babies, Demonstranten ?
So in etwa. Aber wie gesagt, keine Ahnung.
Das ist cool. Wir gehen nämlich nachher ins Studio proben und werden ordentlich Lärm machen. Und versuchen, unser neues Leben musikalisch ein wenig zu ordnen. Du kannst sicher sein, dass wir am „Tag des Lärms“ dann Extra-Lärm machen. Ich werde einen Wettkampf ausrufen, wer das krankeste und ohrenbetäubendste Geräusch aus seinem Instrument holen kann.
Vielleicht Steve (Forrest, Anm.), euer neuer Drummer?
(lacht) Kann gut sein. Steve hat die Tendenz, sein Schlagzeug ziemlich böse zu behandeln. Du weißt ja, wenn man in einer halbwegs erfolgreichen Band wie Placebo ist, dann bekommt man ziemlich viele Sachen von Firmen kostenlos. Allerdings gibt’s da ein Limit. Und Steve hat beim Proben mittlerweile soviele Becken zerlegt, dass er dieses Limit überschritten hat und sein Zeug jetzt selbst bezahlen darf. Und das waren erst die Proben, wir sind noch nicht einmal auf Tour! That’s how hard this little kid hits those fucking drums.
Steve ist zarte 22, kommt aus einer Punk-Umgebung und schaut ein bisserl so aus als könnte er eine Posterboy-Rolle in „O.C. California“ spielen. Du und Stefan (Olsdal, Placebo-Bassist, Anm.) seid beide Mitte 30 und habt einen, nennen wir es eher künstlerischen Zugang zur Musik. Was redet ihr mit ihm, wenn ihr gemeinsam ins Pub auf ein Bier geht?
Stimmt, Steve ist verglichen mit uns verdammt jung und in einer Kleinstadt in Kalifornien aufgewachsen. Ein bisschen außerhalb von Modesto. Aber irgendwas muss in Modesto im Wasser sein, weil dort zum Beispiel auch Grandaddy herkommen, eine meiner absoluten Lieblingsbands. Modesto ist so scheißklein, du kannst es mit Luxembourg vergleichen, wo ich und Stefan aufgewachsen sind. Was du in Modesto also machst, ist den ganzen Tag irgendwas zu üben, bis du es perfekt beherrscht. Steve ist vor einem Jahr nach London gezogen und war klarerweise am Anfang ziemlich grün hinter den Ohren. Aber er hat sich verblüffend schnell zum Kosmopoliten entwickelt. Er ist ein echter Engländer geworden. Wahrscheinlich ist er mittlerweile englischer als ich. Was mir wichtig ist: Steve interessiert sich für dieselbe Musik wie Stefan und ich, auch schwierigere Sachen wie Sigur Ros oder Explosions In The Sky. Es ist ein bisschen so, wie wenn dein kleiner Bruder in der Band spielt. Du kannst ihn herumschubsen, wenn er lästig ist und trotzdem gleich wieder umarmen. Wir hänseln uns viel, im positiven Sinn.
Wie lang wird seine Probezeit dauern?
In seinem Sinne hoffe ich, dass es nicht so wird wie bei Ron Wood (Rolling-Stones-Gitarrist im Schatten von Halbgott Keith Richards, Anm.). Der ist immer noch auf Probe und wird als „der Neue“ angesehen, obwohl er seit 20 Jahren oder so in der Band ist (lacht). Im Ernst: Stefan und ich schauen jetzt, wie sich Steve auf der „Battle For The Sun“-Tour macht und dann hören wir auch auf, ihm ständig die Hölle heiß zu machen. Was ich an ihm so mag, ist sein unzähmbarer Drang zu lernen. Er ist wie ein Schwamm, der alles aufsaugt. Ein Diamant, aber eben noch ungeschliffen.
Im technischen oder mentalen Sinn?
Naja, es ist eine Frage der Erfahrung. Und davon hat er einfach noch verdammt wenig. Das ist aber auch ein Grund, warum wir Steve in der Band haben wollten, ehrlich. Wir wollten niemanden, der schon erfolgreich war, also ein vorgefertigtes Image mitbringt. Alles, was er jetzt erlebt, erlebt er im Gegensatz zu Stefan und mir zum ersten Mal. Für ihn ist alles wie für ein kleines Kind, jeden Tag passieren ihm neue Wunder (lacht). Und mit diesem Enthusiasmus hält er auch uns jung.
Ich hatte vor zwei Stunden das Vergnügen, „Battle For The Sun“ zum ersten Mal komplett anzuhören. Meine erste Einschätzung: Brilliant, wahrscheinlich euer bestes Album bisher. Speziell „Speak In Tongues“, „Bright Lights“ und „Kings Of Medicine“ sind wirklich gut. Das Ende von „Kings Of Medicine” klingt stark nach den Beatles, war das bewusst?
Ja. Das hat mit unserer Beatles-Obsession zu tun, die jetzt endlich einfließt. Vor allem ihre psychedelische Ära lieben wir. Für „Kings of Medicine“ haben wir unserem Blechinstrumente-Arrangeur bei den Aufnahmen in Toronto ausdrücklich gesagt, dass wir etwas wollen, das wie „All You Need Is Love“ klingt. Ich bin ein Beatles-Fan, seit ich 12 Jahre alt bin. Ich hab ja einen dreijährigen Sohn, und letztens hab ich mir in den USA die „Yellow Submarine“-DVD gekauft. Du weißt, wie Kinder sind: Wenn ihnen etwas gefällt, können sie nicht mehr damit aufhören. Also hab ich etwas gesucht, das sowohl ihm als auch mir gefällt. Und es hat perfekt funktioniert: Bisher haben wir die DVD mindestens zweimal am Tag angesehen. Einmal reicht ihm nicht. Egal, jedenfalls waren die Beatles der Grund, warum wir diesmal Blechinstrumente und Streicher verwendet haben. Wir wollten uns damit selbst überraschen und den Placebo-Sound erweitern. Ich finde es übrigens interessant, dass du genau diese drei Songs ausgewählt hast. Die stechen nämlich auch in meinem Kopf ziemlich heraus, weil sie die untypischsten Placebo-Songs seit langem sind.
Ich finde, „Kings Of Medicine“ wäre ein guter Kandidat für die letzte Nummer bei den Konzerten…
Tut mir leid, da muss ich dich einstweilen enttäuschen. Wir werden sie nämlich nicht live spielen, bis wir im Herbst auf Solo-Tour gehen. Ich glaube nicht, dass der Song Festival-tauglich ist. Die Lyrics passen nicht unbedingt in einen Festival-Kontext. Wenn du sie durchliest, wirst du verstehen, was ich meine. Aber ich kann dir verraten, dass er ab Herbst ziemlich am Ende der Setlist stehen wird.
Du sagst oft, dass du die Zeit zwischen Beendigung des Albums und dem ersten Live-Spielen des Materials nicht magst, weil du nicht wüsstest, ob die Leute auch für die neuen Sachen zu den Gigs kommen würden. Jetzt sind die ersten Tour-Daten komplett ausverkauft. Geht’s dir besser?
Was mich verwirrt an dieser Zwischenphase ist, dass wir da nur Pressearbeit machen. Du verbringst die meiste Zeit damit, zu erzählen, wie wundervoll dein neues Stück Arbeit ist, aber es ist nur deine eigene Perspektive der Dinge. Es gibt noch keine öffentliche Bestätigung dafür, ob du Recht hast.
Wenn ich darf, vergesse ich kurz den Journalisten in mir und sage dir aus der Fan-Perspektive, dass das, was ich vorhin gehört hab, tatsächlich sehr, sehr gut ist. Hilft das fürs Erste als öffentliche Bestätigung?
(lacht) Ohhhh. Danke vielmals. Freut mich zu hören. Jetzt bin ich schon weniger nervös. (Der letzte Satz darf mit einer guten Portion Sarkasmus in Molko’s Stimme gelesen werden, Anm.)
Es scheint, dass Du ein ziemlich gutes Händchen für die Auswahl von Cover-Songs hast. Ich mag zum Beispiel „Daddy Cool“ (im Original von Boney M., Anm.) von euch sehr gern…
…exzellente Wahl!
Danke. Aber jetzt findet sich auf der B-Seite der ersten Single-Auskopplung „For What It’s Worth“ ein Cover des Nik Kershaw-Klassikers „Wouldn’t It Be Good“ (Achtziger Jahre-Verbrechen, persönl. Anm d. Autors.). Willst du mir das bitte verständlich erklären?
(lacht) Well, das ist ein Song, der in meinem Hirn festsitzt, seit ich ein kleines Kind war. Nik Kershaw hatte ziemlich viele Hits, während ich aufwuchs. Und die einzige Nummer, die ich mochte, war „Wouldn’t It Be Good“. Da ist so eine komische Stimmung von Verzweiflung in diesem Song, obwohl die Hookline sehr positiv ist. Weißt du, ich hab eine Liste von Liedern auf meinem Computer, die ich eines Tages gern covern möchte. Und Nik Kershaw hat sich gerade richtig angefühlt. Wenn wir covern, gehen wir in den Proberaum und haben Spaß. Man könnte es als Arbeitsurlaub beschreiben. Das Lied sollte aber auch zu uns passen, und das war hier der Fall. Bei „Running Up That Hill“ von Kate Bush haben wir es damals aber wohl am Besten getroffen.
Wenn wir gerade beim Namedropping sind: Wärst du so nett, 5 Songs auszuwählen, mit denen man die perfekte Partynacht startet?
Nette Frage. Aber schwierig. Mal sehen… „The House Of Jealous Lovers“ von The Rapture ist ziemlich gut, da kann man seinen Arsch fein dazu bewegen. „Song 2” von Blur passt auch ganz gut, obwohl…nein…ich nehme „Beetlebum” von ihnen. Dann irgendwas von Nirvana, damit bringt man Bewegung rein. Auf jeden Fall auch „Sabotage“ von den Beastie Boys. Damit liegt man nie falsch. Und „Daddy Cool” von uns.
Während ich jetzt so mit dir plaudere, fällt mir kein Sänger ein, der beim Reden eine nur annähernd so tiefe und angenehme Stimme hat wie du. Wenn du singst, kannst du aber extrem hoch gehen, zum Beispiel bei „Black Eyed“. Was ist das Geheimnis? Du rauchst ja…
Ja, ziemlich viel sogar. Aber das gibt der Stimme auch Charakter. Denk an Janis Joplin, Leonard Cohen oder Tom Waits. Ich glaube, dass ich von Geburt an mit einem großen Stimmumfang gesegnet wurde. Meine Stimme deckt schon ein paar Oktaven ab. (In die Intonation des letzten Satzes darf man – zu Recht übrigens – ein bisserl Molko’sche Überheblichkeit interpretieren, Anm.)
Spürst du, dass sie mit dem Alter schlechter wird?
Nein, im Gegenteil, eher besser. Ich bin wie ein guter Wein oder eine Stradivari. (lacht)
Eine Frage, die mir selber schon zum Hals raushängt, aber ich hab mich so daran gewöhnt, dass ich sie wohl aus Zwang stellen muss: Sag mir eine kranke Tour-Angewohnheit von dir.
(lacht) Ich finde es ganz interessant, dass ich Unmengen an chemischen Handreinigern und feuchten Baby-Tüchern verbrauche. Wenn wir auf Festivals spielen, ist es oft schwierig, ein brauchbares Klo zu finden. Wenn ich in der Früh aufwache, hab ich gern „my morning constitutional“ (die elegant-britische Übersetzung für „Morgenschiss“, Anm.). Es kann also passieren, dass du mich in einem nahen Wäldchen findest, wo ich mein Geschäft verrichte anstatt in einem stinkigen Dixi-Klo. Ich bin, was das betrifft, ein Fan von „back to nature“.
Und Stefan?
Stefan ist ein eifriger Tagebuch-Schreiber. Er sitzt oft irgendwo ruhig in einer Ecke und schreibt einfach. Ich denke, das ist irgendeine Form von Therapie für ihn.
Eine persönliche Frage zum Abschluss: Ich kämpfe heute mit einem grandiosen Kater. Als Profi hast du sicher einen guten Tipp für mich…
(lacht) Was mir immer hilft: Mach dir ein neues Bier auf.
Danke für das Gespräch.