Di, 28. Sep 2010

Onkel Grantig - Grinderman im Interview

Nick Cave ist nicht unbedingt der Erste, den man anrufen sollte, wenn man gemeinsam ein bisschen lachen will. VOLUME hat sich trotzdem getraut, ihn in seinem Häuschen im südenglischen Brighton erwischt und nachgefragt: Warum ihn Zahlen verwirren, wie das damals mit Johnny Cash war und warum er damit einverstanden ist, dass sein neues Album wie ein Autounfall klingt?

Hi, Mr. Cave. Wie ist das Wetter in England?


Ach, ich schaue gerade aus dem Fenster aufs Meer und es sieht so aus wie in meinem Kopf. Ziemlich bewölkt.

Du lebst nun schon lang auf der Insel. Hast Du über die Jahre britische Spleens angenommen?


Ich glaube schon. So etwas wie anhaltende Trübsal vielleicht. Ich halte diese unermüdliche Hingabe zu den Enttäuschungen des Lebens für etwas zutiefst Britisches.

Äh…hast Du heute schlecht geschlafen?


(lacht) Ich bin okay, keine Angst. Das liegt in meiner Natur.

Ich hab mir letzte Woche „Grinderman 2“ angehört und hab’s sofort gemocht. Meine Freundin hat gemeint, es klänge wie ein Autounfall.


Das verstehe ich als ausdrückliches Kompliment.

Warum ist es so, dass Frauen und Männer oft so eine unterschiedliche Wahrnehmung in der Musikrezeption haben, obwohl sie sonst einen ganz ähnlichen Geschmack haben?


Ich bin mir nicht sicher, ob das so ist. Ist das so?

Zumindest bei Grinderman nehme ich es so wahr. Bei Nick Cave & The Bad Seeds kommen beide Geschlechter schnell auf einen gemeinsamen Nenner, bei Grinderman weniger.


Viele Frauen mögen Grinderman. Grinderman ist sogar eher für Frauen gemacht als für Männer. So sehe ich das.

Hmm…“Worm Tamer“ zum Beispiel? (die Interpretation der Lyrics sei jedem selbst überlassen, Anm.)


(lacht) Ja, stimmt, du hast mich erwischt. Weiter.

Was hat es mit Dir und der Zahl „29“ auf sich? Im aktuellen „Mickey Mouse And The Goodbye Man“ singst du vom „29th floor“, in “From Her To Eternity” von 1984 vom ominösen “Room No. 29“…


Ernsthaft?

Ja.


Wow, gut recherchiert. Das war mir neu und ich bekomme ein wenig Angst, wenn ich ehrlich bin. Das ist ein Zufall, der mich verwirrt. Weißt du, es ist eben nicht „30“. „29“ (Anm. d. Red.: Englisch ausgesprochen) hat vielleicht so einen Rhythmus, der irgendwie sexy klingt. Sag es mal laut.

29“


Siehst Du?

Gut, ich hab’s verstanden. Im Pressetext zu „Grinderman 2“ heißt es, dass Grinderman das Erbe der Bad Seeds mit einem Baseballschläger zerstört. Willst Du mir das erklären?


Ich würde das nicht so ernst nehmen. Das ist halt ein überformulierter Pressetext. Ich bin ziemlich stolz darauf, was wir über die Jahre als Bad Seeds erreicht haben und noch erreichen werden. Ich habe diesen Text nicht geschrieben, klar, aber ich könnte mir vorstellen, dass damit die medial oft übertriebene Relevanz der Bad Seeds gemeint ist, die ich so nicht sehe. In meinen Augen sind wir als Bad Seeds eine Band wie jede andere, die Platten rausbringt. Aber den Satz mit dem Baseballschläger mag ich nicht. In Wahrheit kann ich es nämlich nicht erwarten, wieder ein Album mit den Bad Seeds zu machen.

Muss Mann und Frau euch glauben, wenn ihr behauptet, dass die erste Songwriting-Session für „Grinderman 2“ nur fünf Tage gedauert hat?


Ich fürchte, ja. Die Vorgehensweise von Grinderman ist ganz anders als ich es sonst mache. Mit den Bad Seeds setze ich mich de facto monatelang allein in ein Büro und tüftle an den Songs, bevor ich sie den Jungs zum Interpretieren gebe. Mit Grinderman gehen wir zu Viert direkt für fünf Tage ins Studio, völlig unvorbereitet. Keine Lyrics, gar nichts. Dann stöpseln wir die Instrumente an, improvisieren rund um die Uhr und nehmen dabei absolut alles auf.

Ein Hundert-Stunden-Jam?


Exakt. Musikalisch kommen wir dabei von den zartesten Melodien bis zu wirklich hartem Chaos. Dann gehen wir gemeinsam alles Aufgenommene durch, filtern das Interessanteste heraus und machen daraus 10 CDs. Die nehme ich dann mit nach Hause und versuche, dieses Zeug, diesen Autounfall, wie Du es genannt hast, irgendwie in Form zu bringen.

Du warst auch schon gemeinsam mit Gottvater Johnny Cash im Studio. Wie hast du ihn erlebt?


Als wir damals „I’m So Lonesome I Could Cry“ aufgenommen haben, war er schon sehr alt und gebrechlich. Aber sobald er zu spielen begann, ist er aufgelebt. Ich war nervös, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich mit dieser riesigen, beeindruckenden Stimme neben mir umgehen sollte. Aber er war so generös und fast zärtlich in der Art, wie einfach er es mir machen wollte. Für mich als ewiger Fan war es schlimm, weil es ihm zu dem Zeitpunkt wirklich nicht mehr gut ging.

Im Oktober kommt der böse Grinderman nach Wien. Was dürfen wir erwarten?


Wenn die Proben gut verlaufen, werden wir euch den Kopf von den Schultern blasen.

Perfekt. Wir horten mal das Aspirin.