Maria José Cristerna im Interview: Künstler statt Soldaten
Optisch betrachtet ist sie wohl die außergewöhnlichste Frau der Welt: Maria José Cristerna vollzieht seit 21 Jahren eine Ganzkörperverwandlung und ist vielen besser bekannt als ‚Mexican Vampire Woman‘. Den ‚Kosenamen‘ verdankt die 37-Jährige aus Guadalajara ihren scharfen, eckigen Zähnen und den Hörnern auf ihrem Kopf. Warum die viele Farbe, das ganze Eisen und Silikon? Früher war sie Opfer häuslicher Gewalt. Jetzt will Maria misshandelte Frauen dazu ermutigen, aus sich herauszugehen und ihre Peiniger anzuzeigen. Die Mutter von vier Kindern sieht sich als Kämpferin, Künstlerin und Aktivistin. Diesen Herbst ist sie Stargast bei der Wildstyle & Tattoo Messe 2012 in Linz. VOLUME hat Blut geleckt!
Unzählige Piercings und Tattoos (fast) auf der ganzen Haut, Vampirzähne und Hornimplantate aus Silikon – gibt es einen speziellen Grund für deine ‚Verwandlung‘?
Ganz einfach: Wir sind alle frei, das zu tun, was wir möchten – jeder von uns ist einzigartig. Warum sollten wir das nicht auch durch unseren Körper zeigen? Ich bewundere unsere Vorfahren und ihre Körperbemalungen. Als ich vor 21 Jahren mit meiner Verwandlung begonnen habe, wollte ich eine Art ‚moderne Kämpferin‘ werden.
Kannst du dich mit dem Namen ‚Mexican Vampire Woman‘ identifizieren?
TV-Shows in Mexiko haben sich diese Bezeichnung ausgedacht, hauptsächlich wegen des vermeintlichen Vampirgebisses. Ich bin keine Blutsaugerin, sondern habe mich von Völkern inspirieren lassen, die ihre Zähne so lange bearbeiten, bis sie scharf und eckig sind.
Was ist ‚Schönheit‘?
Schönheitsideale unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. Jeder definiert Schönheit für sich selbst.
Machen Tattoos und Piercings abhängig wie Drogen oder Alkohol?
Ja, ich muss zugeben, dass ich süchtig danach bin. Trotzdem behalte ich dabei immer eine gewisse Ästhetik und meine Weiblichkeit im Hinterkopf.
Du warst während deiner Ehe selbst Opfer von häuslicher Gewalt. Was gibst du Frauen mit auf den Weg, denen gerade das Gleiche widerfährt?
Um jeden Preis für die eigene Freiheit kämpfen! Niemand steht im Besitz eines anderen Menschen und hat es verdient, geschlagen oder gedemütigt zu werden.
Mit welchem Sound gehst du durch dein neues Leben?
Bei mir läuft ganz viel Metal von Bands wie Burzum, Mayhem oder Immortal. Ich stehe aber auch auf Industrial oder Electro Rock.
Gibt es österreichische Musiker, die du kennst bzw. hörst?
Belphegor! Mastermind Hellmuth und ich haben uns sogar kürzlich bei der letzten Wildstyle & Tattoo Messe kennengelernt.
Dein Look sorgt überall für Aufsehen. Wie erlebst du den Medienrummel um deine Person?
Die wachsende Präsenz in Funk und Fernsehen gibt mir die Chance, meine Ideologie mit einem größeren Publikum zu teilen. Ich bin Aktivistin gegen häusliche Gewalt, kann dieses Problem jetzt öffentlich und erfolgreich thematisieren. Dabei zählen meine Gedanken und nicht mein Aussehen. Wenn ich betroffenen Frauen also eine helfende Botschaft vermitteln kann, ist mein Äußeres doch wieder irrelevant.
Die bisher schmerzhafteste Reaktion auf deinen Style?
Natürlich gibt es vereinzelt Menschen, die einfach nicht bereit sind für meinen Look. Manche glauben sogar, dass ich Teil eines Satanskults bin – was kompletter Schwachsinn ist, mich aber nicht im Geringsten tangiert. Meine Kinder mussten vielleicht etwas darunter leiden, weil sie von ihren Mitschülern mit blöden Kommentaren zu meinem Aussehen konfrontiert wurden. Ich habe ihnen jedoch beigebracht, wie sie sich dagegen verbal verteidigen können. Durch meine steigende Popularität hat sich außerdem viel geändert: Heute danken mir sogar ältere Frauen mitten auf der Straße für meinen Einsatz gegen häusliche Gewalt. Dieses Feedback zählt mehr als alles andere.
Im Herbst bist du wieder Stargast bei der Wildstyle & Tattoo Messe in Linz. Welchen Eindruck hast du von deinen österreichischen Fans?
Die Menschen kommen mir viel offener und kunstbewusster vor. Wir Mexikaner leben zwar sehr nah an der US-Grenze, sollten uns aber generell mehr an den Europäern orientieren. Die Amerikaner investieren lieber in Rüstung, Waffen und damit auch Gewalt – Künstler sind mir lieber als Soldaten!