Mo, 22. Jul 2013

Madchester goes Austria

James im Exklusivinterview

Gemeinsam mit New Order, Primal Scream und den Stone Roses waren James die Elektro-Pioniere der Madchester-Szene, die in den Neunzigern in den Rave-Wahnsinn mündete. In ihrer Heimat Großbritannien kennt sie jedes Kind, bei uns am Festland fast niemand. Anlässlich zweier rarer Konzerte in und um Österreich haben wir Bandgründer Jim Glennie zum Exklusivinterview gebeten.

Jim, am 27. Juli spielt ihr – vier Autostunden von Wien entfernt – zum ersten Mal in Tschechien beim Benátská Noc, am 8. August gibt’s beim Poolbar Festival dann die Österreichpremiere von James. In eurer Heimat Großbritannien kennt euch jedes Kind, am Festland seid ihr aber seit Jahrzehnten ein Geheimtipp für Insider geblieben. Warum ist das so?

(seufzt) Keine Ahnung. Wir haben zwar eine riesige Fanbase in Griechenland, Portugal und Spanien, aber im Rest von Europa sieht es nicht so rosig aus. Vielleicht liegt es daran, dass wir viele Jahre dort kaum Konzerte gegeben haben. Und außerhalb von England spielen die Radiostationen nur selten Songs von James. Ich weiß natürlich von unserer Facebook Fanseite, dass wir täglich hunderte Anfragen von Leuten aus der ganzen Welt bekommen, endlich einmal in ihrem Land zu spielen. Ich war auch schon ein paar Male in Österreich, aber dass wir noch nie bei euch aufgetreten sind, kann ich fast nicht glauben.

Jetzt hat das Warten ja ein Ende.

Ich entschuldige mich ausdrücklich, dass es so lang gedauert hat (lacht). Wir kommen!

‚Sit Down‘ ist euer größter Hit. Wahrscheinlich habt ihr die Nummer schon tausende Male gespielt – aber bekommt ihr beim ruhigen Mittelteil, den ihr live nur vom Publikum singen lasst, selbst noch eine Gänsehaut?

(lacht) Ach, ‚Sit Down‘ ist ein komischer Song. England ist nämlich das einzige Land, wo er bei Konzerten so gut funktioniert. In den USA ist es immer ‚Laid‘, bei dem das Publikum explodiert, in Griechenland dafür ‚Getting Away With It‘. Ist das nicht interessant? Die meisten Bands haben irgendwann einen globalen Ohrwurm, bei uns ist das irgendwie von Land zu Land verschieden.

Stell dir ein fiktives 16jähriges Mädchen aus Österreich vor, das total auf elektronische Musik steht, aber noch nie etwas von James gehört hat. Wie erklärst du ihr, dass ihr in dieser Hinsicht Pioniere wart?

Unser heutiger Sound ist mit jenem aus den Anfangstagen der Madchesterszene und der Ravebewegung in den Achtzigern kaum mehr vergleichbar. Jedes neue Album hat ja einen anderen Stil, der sich immer weiter entwickelt. Das Mädchen hat vielleicht auch noch nie etwas von The Clash oder den Smiths gehört. Das sind Bands, die uns wiederum beeinflusst haben. Ich empfehle ihr, einfach zu kommen und sich uns anzusehen. Es gibt nichts Schöneres, als komplett ohne Vorwissen von neuer Musik überrascht zu werden. Und wir würden sie überraschen, versprochen. Wenn du einmal in die Welt von James tauchst, wartet ein ganzes Universum voller Musik auf dich (lacht).

Es gibt so viele Songs von euch, die klanglich und textlich direkt ins Herz zielen. Und jetzt umgekehrt gefragt: Hast du auch Songs, bei denen es dir so geht?

Auf jeden Fall. Zum Beispiel ‚There’s A Light That Never Goes Out‘ von den Smiths. ‚Heart Of Gold‘ von Neil Young. Und natürlich der ‚Ship Song‘ von Nick Cave. Das sind Lieder, die im Moment, wo du sie hörst, einfach alles für dich werden, die dich wegtragen. Lieder, bei denen du für vier Minuten deinen Körper verlässt. Aus der Sicht des Musikers merke ich da erst, welch irren Einfluss man auf die Gefühlswelt eines Menschen haben kann. Irgendwie denkt man dann auch, dass die Musik ja eigentlich gar nicht dir gehört, obwohl du sie geschrieben hast. Sie gehört denen, die am meisten Freude daran haben. Musik ist eine sehr, sehr komische Sache. Ich verstehe sie bis heute nicht (lacht).

Ein spannender Aspekt an James ist die Geschichte eurer Vorbands. Ihr hattet Nirvana, Radiohead, …

(lacht)

… Coldplay, die Stone Roses, und so weiter. Gibt es nette Anekdoten direkt aus dem Backstage?

Die lustigsten, die wir jemals auf Tour mitgenommen haben, waren sicherlich die Happy Mondays. Die Jungs sind wirklich brillant, aber das war absolutes Chaos. Das erste Konzert haben sie gleich einmal versäumt, weil sie am Weg dorthin ihren Tourbus zerschossen haben. Beim zweiten Gig waren sie zwar pünktlich, sind aber leider zur falschen Halle gefahren. Als sie dann am richtigen Ort ankamen, hatten sie keine Zeit mehr für den Soundcheck und dementsprechend klangen sie dann auch. Die ganze Tour mit ihnen, jeder einzelne Tag, war eine lange Liste von Absurditäten. Lustig war aber auch, als wir selbst Support waren – von den Smiths. Als Riesenfan war ich ohnehin schon nervös, aber auf einmal kam Morrissey backstage zu mir und fragte mich, ob ich ihm eine Kopfmassage geben könnte, weil er so Kopfschmerzen hätte. Da saß ich also, allein mit Morrissey, und rubbelte den Kopf meines Idols (lacht).

Der Mann hat 24 Stunden am Tag Kopfweh, so grantig wie er immer ist …

(lacht) Leider weiß nur er, was da oben in ihm vorgeht. Er scheint ein zerrissener Charakter zu sein, oder? Voller Schmerz, immer zynisch, dazu sehr englisch in seinem Wesen. Man kommt auch ganz schwer durch seine Mauern, die er rund um sich aufgebaut hat. Das hat aber natürlich nichts damit zu tun, wie großartig er ist.

Lass uns von einem anderen Charakterkopf reden, eurem Frontmann Tim Booth. Es gibt kein anderes menschliches Wesen, das sich auf diese Art bewegen kann. Schon gar nicht auf der Bühne. Warum tanzt Tim, wie er tanzt?

(lacht) Tim liebt das Leben, ganz einfach. Er ist ja außerhalb von James auch Tanzlehrer und hat da diesen ziemlich eigenwilligen Stil entwickelt. Mich verwundert es auch wieder jedes Mal aufs Neue, wenn er auf der Bühne herumschlängelt wie ein komplett durchgeknallter Idiot. Er ist ja keine 20 Jahre mehr. Was aber die wenigsten wissen: Tim leidet extrem vor einem Konzert. Er ist auch heute noch fürchterlich nervös, was komplett verrückt ist, wenn du nachher siehst, wie er auf der Bühne agiert. Auch mir selbst geht es nach tausenden Konzerten noch immer so, dass ich mich vor Publikum sehr, sehr verletzlich fühle. Der verrückte Widerspruch ist, dass wir diese Angst lieben. Wenn sie wegfällt, ist das das beste Gefühl überhaupt.

Die einzige Angst, die wir haben, ist, dass es wieder so lange dauert, bis ihr das nächste Mal bei uns vorbeischaut. Wir sehen uns in Tschechien und Vorarlberg!