Lieb sein!
Frank Turner im Interview
Seid doch alle ein bisschen netter zueinander! Ist doch nicht so schwer! Angefangen bei der nationalen und internationalen Politik bis hin zu zwischenmenschlichen on- und offline Eskalationen beweist der kollektive Spirit des Konfliktmanagements in den letzten Jahren jedoch immer wieder das Gegenteil. Das beschäftigt auch Frank Turner, für den mit seinem neuen Album nun die Zeit gekommen ist, sich auch musikalisch mit Politik, Zukunftsvisionen und Kritik auseinanderzusetzen. Wir haben nachgefragt. Die einzig vernünftige Antwort: God damn it, you’ve got to be more kind!
„Stop asking musicians what they think.“ Ich beginne mit der Eröffnung deines neuen Songs „1933“ und entschuldige mich gleich im Voraus, aber ich werde dich ziemlich sicher fragen, was du über Sachen denkst – ist das okay?
Das ist sehr höflich, danke für die Vorwarnung. (lacht) Es tut manchmal gut, etwas mit triefendem Sarkasmus zu beginnen.
Dein Album erscheint am 4. Mai – dem internationalen Star Wars Tag. Absicht?
Über diesen Feiertag weiß ich natürlich Bescheid, allerdings ist das ein Zufall – obwohl ich als Kind die alten Filme geliebt habe. Zeit, mir die neuen Teile anzusehen, hatte ich allerdings noch nicht. Das wird wahrscheinlich irgendwann nebenbei im Flugzeug passieren. Mein Leben ist doch etwas turbulent gerade.
Gute Unterhaltung! In dir schlägt unüberhörbar immer noch ein Punkerherz. Warum ist es wichtig, sich trotz allem über Dinge aufzuregen, die einen stören?
Ich habe es einige Alben lang vermieden, zu viel über Politik zu reden. Ich hatte einfach keine Lust darauf. Bei all den Dingen, die auf der Welt passieren, ist es im Endeffekt doch nur wichtig, dass man etwas hat, das einen inspiriert. Dabei ist es relativ egal, ob im positiven oder negativen Sinne. Nach 2016 hatte ich plötzlich sehr viel, worüber ich schreiben konnte. Ich empfinde es aber nicht als Pflicht, diese Themen zu behandeln. Jeder hat nur die Pflicht, das zu tun, was auch immer er will. Darum geht es mir eigentlich. (lacht) Jetzt, da ich das ausgesprochen habe, bin ich mir auch sicher, dass ich genauso weiter machen möchte. Bei Songs wie „1933“ oder bei „Sand in the Gears“ wurde ich des Öfteren mit Vorwürfen konfrontiert, ich wolle mit diesen Themen nur auf mich aufmerksam machen. Ich denke mir bei solchen Aussagen nur: Habt ihr euren fucking Verstand verloren? Könnt ihr euch vorstellen, wie viel einfacher mein Leben wäre, wenn ich mir über andere Sachen Gedanken machen würde? Ich bin bei der Thematik generell immer etwas nervös, weil mich das alles sehr beschäftigt. Außerdem habe ich schon mal versagt, als ich in der Öffentlichkeit über Politik gesprochen habe und das war nicht sehr angenehm. Um deine Frage also zu beantworten – ich habe das Gefühl, als wären diese Themen, diese Songs jetzt einfach in meinem Leben angekommen, die Zeit ist reif und ich möchte sie in die Welt tragen.
Schön! Dein Album würde ich trotzdem nicht direkt als politisch, sondern eher als liberal bezeichnen?
Erst einmal – danke, dass du das so siehst. Das war auch meine Einstellung beim Schreiben der Songs. Ich habe anfangs gezögert, den Ausdruck „politisches Album“ in den Mund zu nehmen. Nicht, weil ich ein Problem mit diesem Konzept an sich habe, aber „Be More Kind“ handelt eher von unseren Reaktionen als Individuen auf die Dinge, die in der Welt passieren und darum geht es auch mir persönlich. Mir kommt vor, wir haben verlernt, wie man Meinungsverschiedenheiten auf eine vernünftige Art und Weise löst. Es wirkt so, als gehörten zu jedem Konflikt sofort auch Stimmen, die wahnsinnig und aggressiv klingen. Das ist furchtbar für mich – und natürlich auch für unsere Politik. Meiner Ansicht nach ist Liberalismus so zu verstehen, als würde man bei einem Fußballspiel den Schiedsrichter anfeuern. Es geht nicht vorrangig um den Inhalt des Konflikts, sondern eher darum, wie wir damit umgehen – und miteinander. Das große Problem, das wir gerade in der Welt haben, ist, dass Menschen immer mehr dazu neigen, ihr Gegenüber zu entmenschlichen. So laufen die meisten Auseinandersetzungen über Politik im Internet ab, weil du dabei niemandem in die Augen schauen musst und die Hemmschwelle sinkt. Ich bin jetzt kein Experte für Geschichte, aber ich weiß, dass bisher immer schlimme Dinge passiert sind, wenn Leute angefangen haben, sich gegenseitig zu entmenschlichen.
„Be More Kind“ behandelt auch einige düstere Zukunftsvisionen. Wie kannst du deinen Optimismus trotzdem behalten? Was gibt dir die Motivation, „to be more kind“?
Die Zeile „Be More Kind“ stammt ja aus der Feder von Clive James, den ich sehr bewundere. Schon die Einleitung seines Buchs „Cultural Amnesia“ hat mich völlig umgehauen. Er ist leider zurzeit schwer krank und die Gedichte, die er gerade schreibt, handeln vorrangig von der Schwelle zum Tod. Eine seiner Schlussfolgerungen, das Leben betrachtend, ist: „I should have been more kind. It is my fate. To find this out, but find it out too late.“ Das hat mich verstört und tief berührt zugleich. Auch Kurt Vonnegut hat es in seiner letzten Rede gesagt: „God damn it, you’ve got to be kind.“ Das ist eine Sache, die Menschen oft sagen, wenn sie über das Leben reflektieren. Ich sehe in der Erkenntnis eine Art gemeinschaftliche Weisheit und möchte früh genug nach ihr leben. Es gibt aber auch noch eine andere Art, wie man den Titel des Albums interpretieren könnte. Ich bekomme relativ viele Zusendungen, da Menschen mich direkt kontaktieren können – und das machen sie auch gern. (lacht) Es ist viel Gutes dabei, aber ich habe im Laufe der Zeit auch viele zornige, fast aggressive Kommentare gelesen. Was ich mittlerweile gelernt habe, ist, dass Freundlichkeit und Höflichkeit der beste Weg sind, um mit so etwas umzugehen. Die Situation zu beruhigen und einen gemeinsamen Nenner mit dem Gegenüber zu finden – so mache ich das mittlerweile. Es funktioniert zwar nicht immer, aber in 9 von 10 Fällen erreicht man zumindest einen vernünftigeren Umgang miteinander. Und das ist gut!
Doch auch deine Liebeslieder sind netter geworden – wie „There She Is“. Das glückliche Ende einer langen Liebesgeschichte?
Dankeschön! Nun, es ist tatsächlich so, dass ich einfach nur froh bin, dass meine Partnerin nicht zugegen war, als in den letzten Jahren viele beschissene Dinge in meinem Leben passiert sind. Das ist auch gut für sie. Ich habe viel über mich selbst herausgefunden und auch, wie ich mein Leben mittlerweile führen möchte. Ich genieße und schätze das, außerdem tut es wirklich gut, einmal optimistische und positive Lieder über die Liebe zu schreiben. Damit würde ich gerne weitermachen.