Justice im Interview
And Justice For All
Mit ‚†‘ haben sich die beiden französischen Raver Xavier de Rosnay und Gaspard Augé ein prämiertes, millionenfach verkauftes Musikdenkmal gesetzt. Gerade ist der zweite Langspieler ‚Audio, Video, Disco‘ von Justice erschienen, den die Pariser Lebemänner am 23. Februar live im Wiener Gasometer präsentieren werden. VOLUME hat im Interview herausgefunden, von wo aus Justice ihre Beats um die Welt schicken und welche Rolle Werbung in ihrer Karriere spielt.
Nach eurem Hitalbum ‚†‘ sind ganze vier Jahre vergangen, jetzt gibt es mit ‚Audio, Video, Disco‘ endlich neuen Sound von Justice. Wieso hat der Nachfolger so lange auf sich warten lassen – allgemeine Kreativflaute oder zu viel Freizeit mit schönen Frauen am Privatstrand?
Xavier de Rosnay: Urlaub, Sonne und heiße Models klingen gut, aber seit unserem Langspielerdebüt 2007 können wir uns über mangelnde Beschäftigung nicht beschweren. Gaspard und ich waren eineinhalb Jahre ununterbrochen auf Tour, haben anschließend die begleitende Doku ‚A Cross the Universe‘ veröffentlicht und uns danach eigenen Projekten gewidmet.
Die da wären?
Gaspard Augé: Xavier hat eine nicht ganz unbekannte Band namens ‚Jamaica‘ produziert. Ich durfte zusammen mit Mr. Oizo den Soundtrack zur Splatterkomödie ‚The Rubber‘ arrangieren. Außerdem haben wir nebenbei vielen Freunden bei musikalischen Anliegen geholfen.
Xavier de Rosnay: Bis wir uns wieder ausschließlich auf Justice konzentrieren konnten, war bereits Frühling 2010. Okay, wir haben dann mehr als ein Jahr gebraucht, um unser neues Album fertigzustellen. Die meisten Bands schaffen so etwas in zwei bis drei Monaten. Aber Justice ist nicht auf der Flucht. Wir können uns Zeit nehmen und uns akribische Detailverliebtheit erlauben.
Wo ist euer Musikzuhause?
Xavier de Rosnay: Wir haben kein herkömmliches Studio. Unsere Homebase ist im Norden von Paris – dort leben und arbeiten wir in einem Haus. Oben ist der Wohnbereich, im Erdgeschoss sind unsere Büros und unten im Keller spielt die Musik. Wir haben extra darauf geachtet, dass es nicht steril und funktionell aussieht wie ein Tonstudio.
Gaspard Augé: Wenn du viel Zeit und Liebe in ein Album investierst, solltest du dich während der gesamten Produktionszeit wohlfühlen und entspannen können. Darum leben wir beide den Gedanken von Schlafzimmermusik und wollen auch genau so arbeiten und klingen.
Auf ‚Audio, Video, Disco‘ ist elektronischer Progressive Rock anstatt Schlafzimmermusik zu hören.
Xavier de Rosnay: Das eine schließt das andere nicht aus. Was uns an Progressive Rock fasziniert, ist nicht der Klang, sondern die Bilder, die diese Art von Sound im Kopf erzeugt. Um ehrlich zu sein: Wir wissen mehr über die Artworks von Roger Dean als über die Musik von Yes oder King Crimson.
Gaspard Augé: Wir wollten ein befreites Album produzieren, ohne dabei auf eingefahrene Musikstrukturen oder ausgelutschte Popelemente zurückzugreifen. Deshalb sind in vielen unserer neuen Songs radikale Tempo- bzw. Tonartwechsel, was der allgemeinen Vorstellung von Progressive Rock entspricht. Egal, wie sich unser Sound jetzt einordnen bzw. kategorisieren lässt – wir hoffen, mit „Audio, Video, Disco“ ein besonderes und stimmiges zweites Album abgeliefert zu haben.
Welche Fanreaktionen erwartet ihr auf das neue Material?
Gaspard Augé: Auch wenn behauptet wird, dass wir ‚†‘ für den Clubbetrieb ausgestattet haben und mit ‚Audio, Video, Disco‘ jetzt in Richtung Konzertbühnen schielen, unterscheiden sich die beiden Alben in unserer Wahrnehmung kaum voneinander. Vielleicht verlieren wir damit ein paar eingefleischte Fans, vielleicht kommen andere Leute genau dadurch auf unseren Geschmack. Jedenfalls haben wir nicht versucht, uns und Justice krampfhaft neu zu erfinden.
Wie sieht die Bühnenumsetzung für ‚Audio, Video, Disco‘ aus? Sind aus den Knöpfchen drehenden Ravern echte Livemusiker geworden?
Xavier de Rosnay: Nein, wir kennen unsere musikalischen Grenzen an klassischen Instrumenten. Hauptaugenmerk liegt nach wie darauf, hinter den Reglern eine kompakte aber dynamische Elektroshow zu präsentieren – mit den besten Sounds aus unserem Repertoire, die wir bei jedem Gig zu einer neuen Gesamtkomposition vereinen. Dabei geht es um Emotionen und die Interaktion mit dem Publikum, nicht um die glatt geleckte Performance einer voll besetzten Profiband.
Der erste Vorgeschmack auf euer neues Album, der Song ‚Civilization‘, wurde von Adidas für einen Werbespot benutzt. Könnt ihr nachvollziehen, warum es viele Künstler ablehnen, ihre Musik einem Großunternehmen zu überlassen?
Xavier de Rosnay: Einige unserer Kollegen haben Gewissenskonflikte, wenn sie ihre Kunst an Werbeagenturen verhökern. Verständlich, aber Justice ist keine politische Band. Gaspard und ich sind in den 80ern aufgewachsen und fühlen uns nicht berufen, den Kapitalismus zu bekämpfen. Werbung ist etwas ganz Alltägliches für uns. Darum ist ‚Civilization‘ auch der mittlerweile dritte Song, den wir für Werbekampagnen freigeben haben.
Neben dem Honorar: Welche Vorzüge bringen solche Werbedeals noch mit sich – fette Autos, die neuesten Outfits und Energy Drinks bis zum Kotzen?
Xavier de Rosnay: Der wohl größte Vorteil an einem weltweit ausgestrahlten Werbespot wie dem von Adidas: Wir haben so die Chance, ein noch größeres Publikum zu erreichen und für unseren Sound zu begeistern. Aber wir lehnen es strikt ab, für einen Sponsor als wandelnde Litfaßsäulen durch die Gegend zu laufen. Einen Führerschein haben wir leider auch nicht.
Dafür aber einen dicken Tourbus, der euch am 23. Februar nach Wien ins Gasometer bringt. Wir freuen uns auf Justice!