Immer wieder Fußnägel schneiden
Alligatoah im Interview
Da ist das Ding: Lukas Strobel alias Alligatoah präsentiert sein viertes Album namens ‚Musik ist keine Lösung‘, das er in seinem eigenen Studio aufgenommen hat – irgendwo in der niedersächsischen Pampa. Nicht unbedingt die Produktionsart und Weise, die Mann und Frau von einem MC erwartet. Wie auch immer: VOLUME hat beim Spitzengespräch versucht zu klären, ob Musik doch eine Lösung sein kann. Immerhin steht jetzt fest, was das Ganze mit Fußnägeln zu tun hat.
Das neue Album hast du am Land aufgenommen – warum?
Ich bin in einer sehr ländlichen Region aufgewachsen und brauche die Natur als Rückzugsort, um mit mir selbst in Kontakt zu treten und letztlich auf Ideen zu kommen. Daher war das für mich ein logischer Schritt.
Du hast mit selbst reparierten Instrumenten vom Flohmarkt gearbeitet. Bist du deiner Musik näher, wenn jedes Teil eine stärkere Verbindung zu dir hat?
Nein, aber in der Musik ist so mehr von mir. Es gäbe die Mäglichkeit, zu Musikern zu gehen, die alles perfekt einspielen. Ich hätte dann ein wunderbar ausproduziertes Album, was nach allen Regeln der Kunst, die es übrigens nicht gibt, stimmig wäre. Aber angepasst. Ich scheue mich davor, eine Professionalität zu erhalten, die zu etwas Gleichgültigem wird. Auf der Suche danach wird man in einem Pool von schon einmal Dagewesenem landen – meine allergrößte Angst. Deswegen versuche ich, so viel Unprofessionalität wie nur möglich reinzuwerfen. So begann mein Weg nach oben. Etwas Unbekanntes, dadurch dass ein Dilettant gewagt hat, etwas Unvollkommenes zu schaffen.
Klingt wie die Abgabe von Kontrolle, obwohl du doch den kompletten Produktionsprozess steuerst und alles selbst gestaltest?
Niemand sollte beim Musik machen die Illusion haben, alles kontrollieren zu können. Dann wird es statisch und unlebendig. Ich habe mich schon immer darauf eingelassen, dass der Zufall – vielleicht durch Fingerbewegungen auf dem Keyboard – mir einen Weg zeigt, den ich vorher nicht gesehen habe. Auf den ich auch nie gekommen wäre. Meine Kreativität bezieht sich darauf, diesen Zufall zu formen, mit ihm zu tanzen und ihn zu einem Werk zu formen.
Inspiration Hannes Wader und Franz Josef Degenhardt?
Deutsche Liedermacher aus der Studentenbewegung! Da haben junge Leute die Gitarre in die Hand genommen und politisch, satirisch, bissig und gesellschaftskritisch gesungen. Angenehme Melodien, die zugleich mit bösartigen und oft grausamen Themen geschmückt sind.
Diese politische, gesellschaftssatirische Komponente in der Musik kommt aktuell gerade im deutschen HipHop mit K.I.Z., Zugezogen Maskulin und eben auch Alligatoah wieder zurück.
Ja, das empfinde ich auch so. Viele neu auf der Bildfläche erscheinenden Künstler setzen sich mit solchen Themen auseinander. Ich glaube es ist aber auch die Zeit, die das provoziert: Die Verhältnisse und Zustände, in denen wir auf dieser Welt leben, die es eigentlich unmöglich machen, sich nicht damit auseinanderzusetzen.
Wie wichtig ist dir, dass dieser Ansatz bei den Leuten ankommt?
Ich glaube, dass mehr vom Inhalt der Lieder ankommt, als man im Internet manchmal den Eindruck hat. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass der meistgeschriebene Kommentar unter meinen Videos oft ist: ‚Ich glaube, 90% der Leute hier verstehen den Song ja gar nicht.‘ Jeder versteht die Lieder auf seine Art und glaubt, etwas darin zu erkennen, was andere nicht sehen. Mir ist wichtig, dass eine Diskussion entsteht. Das gibt mir Glückseligkeit. Zu sehen: Ich habe da etwas angestoßen. Was daraus wird, liegt nicht mehr in meinen Händen, aber da sind Leute, die diskutieren jetzt. Sie sprechen überhaupt miteinander. Das ist gut.
Aber im Endeffekt greifst du auf, was in der Gesellschaft ohnehin passiert. Niemand findet Umweltverschmutzung geil.
Stimmt, aber Mann und Frau machen es sich damit etwas zu einfach. Die Menschen neigen zum Vergessen. Es wäre auch schön, wenn jeder sich nur einmal im Leben die Fußnägel schneiden muss, aber nein: Alle müssen es immer wieder tun. Was in dem Album steckt, ist nicht nur Pathos des Gutmenschentums, nicht nur Aufruf zum friedlichen Miteinander. Es ist der Appell, seine Perspektiven zu wechseln, andere Blickwinkel einzunehmen. Das mache ich auf dem Album. Wenn der Trend ist, dass wir immer mehr Empathie haben, dann möchte ich doch wenigstens Teil davon sein. Das ist ein guter Trend. Und es gibt nach wie vor Menschen, denen das sehr schwer fällt.
Soll deine Musik dafür Lösungen liefern?
Der vielleicht versteckte Wunsch hinter allem ist, dass Alligatoah für irgendjemanden zu irgendeiner Lösung beitragen kann. Vielleicht ein Faktor in der Gleichung.
Also runtergebrochen: Was will uns Alligatoah mit seinem neuen Werk sagen?
Es gibt eine These, die in den Raum gestellt wurde: Musik ist keine Lösung. Und es gibt ein Album voller Lieder, die versuchen, das Gegenteil zu beweisen.
Sehr schöne Abschlussworte! Bis bald im Wiener Gasometer am 11. März 2016.