Im Zeichen der Sonne
Cari Cari im Interview
Touren rund um den Globus, Auftritte bei den renommiertesten Festivals der Welt, Musikpreise, Platzierungen in Hollywood-Produktionen und vieles mehr … Cari Cari spielen seit einigen Jahren im Schein einer immer heller strahlenden Erfolgssonne. Gleichzeitig stehen Stephanie Widmer und Alexander Köck erst am Anfang ihrer Reise, deren wichtigste Etappe sie nun mit ihrem Debütalbum „ANAANA“ markieren – heiß, glühend, spannend, abwechslungsreich, voll treibendender, ursprünglicher Energie. Wir haben mit dem dynamischen Duo im Interview die letzten Sonnenstrahlen vor dem Winter eingefangen.
Ihr habt euch mit eurem Debütalbum Zeit gelassen. Wieso?
Alexander: Es hat sich sehr natürlich ergeben. Das Album hat sich als Standardformat etabliert – deswegen macht man ein Album. Ich glaube aber, dass es heutzutage gar nicht mehr unbedingt notwendig ist, ein ganzes Album zu machen. Bis jetzt war für uns die Zeit dafür noch nicht reif. Wir haben Singles gemacht, wir haben eine EP gemacht – darauf war das, was wir sagen wollten. Wir wollten eigentlich kein Album machen, aber irgendwie ist nun sozusagen eine Ära zu Ende gegangen. Jetzt haben wir ein Set an Liedern, die ein Gesamtkonzept ergeben. Jetzt macht es für uns Sinn, ein ganzes Album zu machen. Wir wollten nicht einfach nur drei potenzielle Singles aufnehmen und den Rest der Platte dann mit sieben oder acht weiteren Liedern auffüllen – nur um ein Album gemacht zu haben.
Stephanie: Dieser Verlauf erinnert mich irgendwie an eine Beziehung: Von dem Zeitpunkt weg, an dem man sich kennenlernt, bis zum ersten Kind. Die EP steht vielleicht für das Zusammenziehen oder das erste gemeinsame Haustier. Das war alles wichtig, doch jetzt hat man die Entscheidung für den nächsten großen Schritt getroffen und macht man Ernst.
Ein sehr guter Vergleich! Viele junge Bands gehen heutzutage immer seltener diesen nächsten großen Schritt. Der Trend geht immer mehr in Richtung EPs …
Alexander: Das war natürlich auch eine Überlegung. Doch ich finde es immer uncool, wenn eine Band sich im Proberaum zusammensetzt und sagt: „Wir sind eine Indie-Rock-Band!“ – und so muss eine Indie-Rock-Band angezogen sein, so muss sich die geben. Sie nehmen ein Album auf, designen ihre Facebook-Seite perfekt durch, stellen ihre Musik online und dann sind sie da. Da fehlt der Teil, in dem sich das alles entwickeln kann. Ich glaube, die Aufmerksamkeit des Publikums ist auch zu Beginn noch nicht groß genug, damit es sich gleich ein ganzes Album durchhört. Wir haben jetzt das Gefühl, dass wir ein Publikum haben, das sich das Ganze anhört und wirklich schon auf ein Album wartet. Es waren somit mehrere Aspekte: von künstlerischer Seite, vom Zeitpunkt und eben auch vom Publikum. Wir haben das Gefühl, da sind Menschen, die sich richtig dafür Zeit nehmen und diese unterschiedlichen Ebenen, die ein Album haben kann, auch wahrnehmen.
Stephanie: Das kann es auch nur geben, wenn man als Band schon eine Geschichte hat. Das ist wie bei Harry Potter – jede Figur hat schon so viel Geschichte rund herum. Es wirkt manchmal irgendwie bodenlos, wenn ein Album aus dem Nichts kommt und alles von vorne bis hinten perfekt durchdesignt ist.
Alexander: Für uns war es wichtig, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Das macht ein Album für uns aus. Dann macht es auch Sinn. Für mich sind gute Alben wie ein gutes Glas Rotwein – sie werden besser, je öfter du sie hörst. Du kannst immer noch etwas Neues entdecken oder vielleicht sind beim Artwork noch Kleinigkeiten, über die du diskutieren kannst. Es geht nicht nur um die Lieder an sich, sondern auch darum, wie sie sich zueinander verhalten. Was ist das Gesamtkonzept und wie ist es entstanden? Es sollte mehr Raum dahinter geben, sodass das Ganze mehr ist als zehn Songs. Das ist bei uns jetzt so.
Du hast vorhin auch vom Ende einer Ära gesprochen …
Alexander: Vielleicht ist es weniger ein richtiger Abschluss, sondern das Aufschlagen eines neuen Kapitels. Bis jetzt gab es noch kein Album und wir war für viele deshalb vielleicht noch nicht ganz greifbar. Wenn man uns live gesehen hat, dann ist da ein Unterschied zu dem, was wir bis jetzt veröffentlicht haben. Wir waren sehr viel unterwegs und es hat sich sehr viel entwickelt. Wir haben jetzt im Moment diesen Sound – das sind wir. Das wollten wir einfach einmal festhalten und damit schlagen wir ein neues Kapitel auf. Das bezieht sich aber auch auf die Live-Shows und das ganze Drumherum. Bei manchen Musikern, die es schon eine Zeit lang gibt und die immer nur EPs und Singles veröffentlichen, denke ich mir manchmal: Ok, irgendwann musst du dich aber festlegen. Irgendwann musst du ein Statement abgeben. Das neue Kapitel, das wir damit aufschlagen, ist sozusagen die Ära bis zum nächsten Album oder bis zur nächsten großen Veränderung.
Wie prägend waren die vielen in den letzten Jahren zurückgelegten Reisekilometer für das Album? Und wo ist es dann tatsächlich entstanden?
Alexander: Das war von Song zu Song unterschiedlich. „After The Goldrush“ haben wir zum Beispiel in London geschrieben. Wir sind drei Tage nach dem Brexit nach London gezogen. Das Lied haben wir weitgehend am Computer produziert. Wir haben dort in einem kleinen Apartment gelebt – da gab es nicht die Möglichkeit, ein volles Bandset aufzubauen. Andere Songs sind wieder bei uns im Proberaum entstanden, wo wir zu zweit gejammt haben und alles direkt auf Band aufgenommen haben. Dann haben wir eine Artist Residence in Portugal gemacht. Es rattert die ganze Zeit. Du nimmst von dort eine Idee mit oder irgendwas inspiriert dich da. Wo es dann im Endeffekt aufgenommen wird oder wo dran gearbeitet wird, ist heutzutage zum Glück egal. Das Album ist aber ein sehr guter Querschnitt von allen Orten, an denen wir in den letzten zwei Jahren waren.
Welche Songs würdet ihr diesem oder jenem Land/dieser oder jener Stadt zuordnen?
Alexander: „After The Goldrush“ ist für mich am eindeutigsten – das ist London … das Thema und die ganze Stimmung vor Ort, als wir nach dem Brexit hingekommen sind. Das war auch das Ende einer Ära. Das Bild, das die Engländer von sich selbst hatten, ist ein bisschen zerbrochen und viele internationale Leute vor Ort waren natürlich auch total verzweifelt.
Stephanie: Vor allem Musiker – die ganze Musikszene hat sich gefragt, wie geht es jetzt weiter?
Alexander: „Nothing‘s Older Than Yesterday“ verbinde ich mit Australien.
Stephanie: Oder mit Japan.
Alexander: Oft zieht sich der Entstehungsprozess auch über ein Jahr. Bei „Mapache“ ist beispielsweise eigentlich zuhause entstanden. Das war schon fast fertig, aber wir hatten das Gefühl, irgendwas fehlt noch. Dann waren wir bei einem Freund in London zu Besuch, der drei spanische Mitbewohner hat. Wir waren aus und sind um Mitternacht heimgekommen. Wir haben dort im Wohnzimmer geschlafen und wollten eigentlich schon ins Bett. Ein Spanier ist aber mit seiner Freundin ziemlich stoned im Wohnzimmer gesessen und wollte, dass ihn jeder „el lobo“ nennt – also Wolf auf Spanisch. Er hat sich dann für jeden Mitbewohner einen Tiernamen überlegt – die Katze, der Otter, usw. Seine Freundin war „Mapache“, der Waschbär. Das war das letzte Puzzleteil, das uns gefehlt hat. Wir haben das dann sofort ausprobiert.
Stephanie: Wir haben uns erst vor Kurzem diese Handyaufnahme wieder angehört. Der Song ist tatsächlich genau so geworden, wie auf dieser Aufnahme, die eigentlich komplett improvisiert war. Die Nummer war bereits in dem Moment perfekt.
Alexander: Das ist das Schöne an Musik: Du kannst sie mittragen. Einen Song kannst du einfach mitnehmen. Dir fällt da was ein, dann nimmst du ihn wieder mit und dann fällt dir dort was ein. Jeder neue Eindruck trägt zum Endergebnis bei.
Wie lang darf ein Song mitgetragen werden?
Stephanie: Mit der Entscheidung, dass wir ein Album machen, kamen natürlich auch Deadlines. Irgendwann muss man fertig werden, vieles muss vorausgeplant werden. Das war schon stressig, weil wir so viel unterwegs waren. Wir sind oft zwischendurch zwei Tage ins Studio, dann wieder ein Wochenende weg, dann wieder ins Studio – so ging das die ganze Zeit. Es war eine irrsinnig schnelllebige Zeit und das spiegelt sich auf jeden Fall extrem auf dem Album wider. Die Lieder haben alle vielleicht knapp über drei Minuten. Ich glaube, genau aus dem Grund, weil unser Lebensrhythmus in der Zeit auch so schnell war.
Bereits vor eurem Debütalbum habt ihr international ordentlich Vorschusslorbeeren geerntet. Gleichzeitig werdet ihr in Österreich oft noch als „Geheimtipp“ bezeichnet. Empfindet ihr das auch so?
Alexander: Ich glaube, im letzte Jahr sind wir doch schon präsenter in Österreich geworden. Bei unserer ersten EP wurden wir von großen internationalen Blogs aufgegriffen. Wir haben damals aber auch CDs nach Amerika, Australien, Chile, etc. geschickt. Wenn wir zur gleichen Zeit in Wien gespielt hätten, wären vielleicht zehn Leute gekommen. Das ist nicht gut oder schlecht, das ist einfach so. Dadurch, dass wir jetzt auch ein Label in Österreich haben, hat sich das schon verändert.
Ihr habt somit gleich eher auf internationalen Erfolg gesetzt …
Alexander: Es gibt verschiedene Mechanismen im Musikbusiness und es ist ein bisschen gefährlich, wenn man nur in Österreich präsent ist. Da hängt man irgendwie in einer Blase fest und gibt sich mit dem zufrieden. Dieses: „Wenn ich hier gefalle, dann passt das schon.“ Dann funktioniert es in Österreich, man denkt aber gar nicht weiter. Ich glaube, es ist gesünder, wenn man das gar nicht im Kopf hat, sondern einfach Musik macht und schaut, was passiert.
Haben euch die internationalen Vorschusslorbeeren mehr Druck gemacht oder waren die eher Ansporn? Fluch oder Segen?
Alexander: In Hinblick auf das Album ist dadurch kein Druck entstanden. Das liegt vielleicht daran, dass wir in den letzten Jahren extrem viel live gespielt haben. Wir spielen live eigentlich nur drei veröffentlichte Songs, der Rest ist neu. Wir sind für unsere Live-Shows sehr gefeiert worden und haben ein paar Preise gewonnen. Vom Rolling Stone wurden wir zum Beispiel für unseren Auftritt am Primavera Sound sehr gelobt. Da haben Nick Cave, Arctic Monkeys und ähnliche Größen gespielt. Wir waren auf so einer Art Durchzugsbühne zwischen den zwei größten Bühnen. Als wir begonnen haben, waren da ungefähr 500 Leute. Als wir aufgehört haben, waren es 5000. Für mich war das ein ganz spezieller Moment. Das ist das ehrlichste Feedback, wenn die Leute stehen bleiben und zuhören. Wir konnten sozusagen mit dem musikalischen Niveau des Festivals mithalten. Wir haben hauptsächlich Songs vom Album gespielt und hatten dadurch das Gefühl, das funktioniert. Das ist gut. Es herrschte deshalb eher eine positive Aufbruchsstimmung: „So, jetzt schauen wir, dass wir da noch eine Schippe drauflegen und das Beste draus machen.“ Wir haben uns nicht gefragt, ob es gut wird.
Ihr seht Musik in Bildern. Zu welcher Art von Film wäre euer Debütalbum der perfekte Soundtrack? Was wäre die Story?
Stephanie: Man kann das gar nicht an einem Thema oder einer Geschichte festmachen. Für mich könnte es sowohl ein Western als auch ein Sci-Fi-Movie sein.
Alexander: Er wäre aber definitiv auf körnigem Film aufgenommen.
Wofür steht „ANAANA“ eigentlich?
Alexander: Das Wort kommt aus der Maori-Sprachen und hat mehrere Bedeutungen: „Glut“, „Lava“ …
Stephanie: „Hitze“.
Alexander: Sozusagen die Vulkan-Energie. Das spiegelt unsere Lebensgeschwindigkeit im letzten Jahr sehr gut wider – ein Vulkanausbruch nach dem anderen. Uns ist auch diese rohe, ursprüngliche Energie sehr wichtig. Das man es grooven lässt und nicht zu viel nachdenkt. Diese indigene Kraft war immer unser Ding. Später sind wir draufgekommen, dass „Anaana“ auf Grönländisch auch „Mutter“ heißt. Das war ebenfalls sehr passen, weil es am Album auch um die Sonne geht. Die Sonne als Mutter von allem Leben – Schöpferin und Zerstörerin. Das war genau die Klammer, die alles umfasst, was wir mit dem Album sagen wollen.
Apropos Sonne … das Album bewegt sich zwischen Abendrot und Morgendämmerung – wenn ihr zuordnen müsstet, wer von euch ist was?
Stephanie: Ich fühle mich schon düsterer.
Alexander: Sie ist die Königin der Nacht – auch bei den Songs. Manchmal singen wir beide, manchmal ist einer von uns im Vordergrund. Ich bin dann eher der Sonnenuntergang, sie die Morgendämmerung. „Do Not Go Gentle Into That Good Night“, das nur von Stephanie gesungen wird, verdeutlicht das am besten. Die Nummer ist weitgehend die tiefste Nacht, aber am Schluss habe ich immer das Gefühl, dass die ersten Sonnenstrahlen langsam durchkommen.
Euer Sound ist grundsätzlich unglaublich warm, voll und geerdet. Darf man das als einen bewussten Gegenentwurf zum kühlen, nüchternen Autotune-Trend verstehen?
Alexander: Zunächst ist es einfach mal das, was uns gefällt. Ich kann mit sehr viel von diesem glatt polierten Pop nichts anfangen. Da kann sogar der Song an sich gut sein, aber das ist für mich wie Nägel auf einer Tafel. Wir haben beide eine extreme Vorliebe für das Körnige, das Bandrauschen, den Sound der 60er Jahre. Wir versuchen, dieses Gefühl mit modernen Mitteln zu erreichen. Es gibt Retro-Bands, die die Musik genau so wie früher machen wollen – auch in der Produktion. Bei uns sind nur einzelne Songs des Albums komplett auf Band ausgenommen. Sich nur darauf zu fokussieren, finden wir auch ein bisschen angestaubt. Wir versuchen, das zu nehmen und es mit einem modernen Anspruch umzusetzen, sodass es für uns interessanter und frisch klingt. Von dem her ist es schon ein Gegenentwurf, weil wir wissen, dass das was wir machen, nicht unbedingt Zeitgeist ist.
Das Album ist Anfang November erschienen. Da ist es Wien schon mehr grau als sonnig. Ist „ANAANA“ somit eure Empfehlung gegen den Winterblues?
Alexander: Erstens ist in der südlichen Hemisphäre ja gerade Sommer. Zweitens ja! Wir freuen uns, wenn wir den Sommer damit verlängern können. Wir haben „Summer Sun“ deshalb auch erst im September veröffentlich. Es hat etwas Melancholisches – man trauert dem Sommer immer ein bisschen nach. Ich hoffe, dass wir mit „ANAANA“ ein paar Herzen im kalten Winter erwärmen können.