Im Gespräch mit Nils Petter Molvaer
Da er meint, Interviews dienen der gesunden Selbstreflexion, hat VOLUME für Nils Petter Molvaer den Psychologen gespielt und ihn ordentlich mit Fragen gefüttert: der norwegische Jazz-Tromper mit Hang zu abgefahrenen Beats im philosophischen Diskurs über Gesang in der Musik, Israel und Mariah Carey.
Deine neue Scheibe heißt ‚Hamada‘. Wie dein erstes Album ‚Khmer‘ stammt der Name aus einer östlichen Kultur. Transportiert der Albumtitel eine kulturelle Botschaft an den Westen?
Zuerst war mir gar nicht klar, dass Hamada ein arabisches Wort ist. Es bedeutet Wüste und die Titel der einzelnen Lieder sind alles Bezeichnungen für geologische Prozesse in der Natur. Khmer fand ich einfach einen schönen Namen. Eine politische Aussage ist damit nicht verbunden. Aber auch wenn ich in einer gewissen Weise froh bin, in Europa zu leben, finde ich es sehr wichtig, andere Länder zu bereisen und andere Kulturen kennenzulernen, um mal einen anderen Blick auf sich selbst zu richten.
Hast du schon mal in einem arabischen Land gespielt?
Kurz vor Weihnachten bin ich in Kairo aufgetreten. Angesichts der dort herrschenden Armut sieht man, wie verwöhnt, reich und selbstgerecht wir in unserer westlichen Welt sind. Mir wurde auch angeboten, in Israel zu spielen. Aber ich habe abgesagt. Es war die 60-Jahrfeier des Israelischen Staates, bei der keine palästinischen Künstler eingeladen wurden. Aber bitte: Meine Entscheidung hat nichts mit meiner Einstellung gegenüber dem jüdischen Glauben zu tun gehabt, sondern mit Israel als Staat. Ich kann nicht befürworten wie die Regierung mit den Palästinensern umgeht. Ich war aber auch nicht mit der Bush-Administration einverstanden, genauso wenig wie aktuell mit der iranischen Regierung.
Du hattest großen Erfolg mit deinen letzten Alben. Ist es ein großer Druck, ein neues Album zu machen?
Viele Leute wollen einfach immer wieder das machen, was ihnen schon gelungen ist und gut beim Publikum angekommen ist. Aber man verändert sich, wird älter und erlebt prägende Momente im Laufe seines Lebens. Und so verändert sich auch die musikalische Ausdrucksweise. Ich probiere in Bewegung zu bleiben. Immer so präzise wie nur möglich zu sein und meinen musikalischen Ausdruck zu schärfen. Aber man kann nie zu hundert Prozent präzise sein. Der Mensch ist nie perfekt, kann aber immer noch präziser sein. Das ist mein einziger Druck: präzise zu sein.
Ist dieser persönliche Ansprach etwa wie ein Perpetuum Mobile?
Ja, so kann man das sagen. Es geht darum, sich ständig zu bewegen und zu entwickeln.
Im Sommer hast du in Norwegen Konzerte im Freien gespielt, neben Leuchttürmern, direkt am Wasser. Visuelle Projektion auf den Turm und der Sonnenuntergang über dem Meer haben deinen Sound zusätzlich noch anschaulich gemacht. Inwiefern ist der visuelle Aspekt wichtig für deine Musik?
Ich versuche, indem ich die Musik mit dem Visuellen verflechte, eine Stimmung zu kreieren, ein audio-visuelles Ambiente. Man ist dort, hört und sieht etwas. Das ganze Erlebnis ist durch diese künstlerischen Elemente ein anderes. Auch hier muss man präzise sein, es muss eine Balance geben zwischen der Kunst fürs Auge und der fürs Ohr – das eine darf das andere nicht erdrücken.
Woher kommt deine Inspiration, elektronische Beats mit Jazz zu heranzuziehen?
In Clubs abhängen! Ich mag House Musik, älteren House, bevor es den ganzen Euro-Trash-House-Shit gab. Ich liebe Deep House, Chicago, Detroit oder TripHop. Außerdem haben die Beats im Groove und im Vibe etwas Afrikanisches in sich. Das ist meine Musik, die bei mir Spuren hinterlassen hat, was sich wiederum in meinem Sound zeigt. Ich probiere eigentlich nur etwas zu machen, was mir gefällt.
Deine Musik ist fast ausschließlich ohne Gesang. Hast du mal überlegt, jemals ein Album mit Vocals einzuspielen?
Ich habe ein paar Lieder zusammen mit Sidsel Endresen (Anm. d. Red.: norwegische Jazzsängerin) gemacht, und gerade habe ich ein Mail von TB (Anm. d. Red.: norwegischer Drum’n’Bass DJ) erhalten, ob wir nicht bald zusammen was machen wollen, vielleicht auch noch mit Sidsel zusammen. Es ist immer toll, etwas gemeinsam mit anderen Künstlern zu unternehmen, etwas zusammen kreieren. Dann auch gerne mit Vocals. Ich würde schon gerne mehr mit Gesang arbeiten, es hat, wie die Trompete auch, etwas sehr Menschliches an sich. Aber poppiges Gekreische kann ich nicht ausstehen. Wenn es zu überemotional ist wie bei Mariah Carey und den ganzen anderem Hipsters, die dann auch noch so auf sexy das Mikrofon antatschen. Außerdem finde ich, dass instrumentale Musik eine sehr direkte Form von Kommunikation ist. Sie ist unsichtbar, und geht – wenn sie präzise genug ist – direkt zu dem Empfänger. Vorausgesetzt, derjenige ist offen dafür.
Hast du etwas Spezielles, was du mit deiner Musik kommunizieren willst?
Ich will den Leuten mit meiner Musik nicht erzählen, was sie denken sollen. Es kommt alles sehr auf die Empfänger an, wie meine Musik im Einzelnen interpretiert wird. Ein Journalist hat mir neulich erzählt, wie sehr er mein Album ‚Er‘ mag, weil es angeblich mein dunkelstes Album sei. Während ich es für mich als eines der eher leichteren Produktionen sehe. So lange meine Musik etwas Eigenständiges beim Zuhörer auslösen kann, bin ich zufrieden. Das ist meiner Ansicht nach der Sinn von Musik.
Denkst du darüber nach, dass deine Musik eine besondere Bedeutung für die Zuhörer besitzt? Dass sie ihnen eine Möglichkeit gibt, aus dem normalen Leben zu entfliehen, zu transzendieren, wenn sie dein Trompetenspiel hören?
Ich denke nicht so sehr viel darüber nach, aber es ist fantastisch, wenn das klappt! Oft kriege ich jedoch Mails von Personen, die mir von ihren Erlebnissen mit meiner Musik erzählen. Zum Beispiel habe ich mal ein Mail von einem Mädchen bekommen, die mir geschrieben hat, dass ich ihr Leben gerettet habe. Sie war sehr depressiv, und wollte sich das Leben nehmen. Dann hat sie ‚On Straight‘ gehört hat (Anm. d. Red.: Stück auf dem Album ‚Khmer‘), was etwas in ihr ausgelöst hat und ihr bewusst gemacht hat: Du bist nicht alleine, es gibt mehr als was du bis jetzt erlebt hat. Ähnliches erlebe ich manchmal, wenn ich reise, erschöpft bin und mich alleine fühle. Dann lese ich zum Beispiel ein Gedicht von Olav H. Hauge (Anm. d. Red.: norwegischer Dichter), was mir dann einfach ein gutes Gefühl verleiht und mich beruhigt. Wenn meine Musik einen ähnlichen Effekt hat auf die Zuhörer, dann bin ich ein extrem zufriedener Mensch.
Danke für diese präzise Selbstreflexion. Tusen takk, og hadetbra!