Himmel und Hölle
AVEC im Interview
Ihre faszinierende, jugendliche Melancholie verpackt in intelligentes Songwriting und bittersüße Arrangements sind bereits seit der Veröffentlichung von „Granny“ der beste Beweis dafür, dass AVEC zu den absoluten Ausnahmetalenten der heimischen Branche zählt. Auch zwei Jahre nach ihrem gefeierten Debüt „What If We Never Forget“ hat der inhärente Kontrast von Stärke und Verletzlichkeit nichts an Faszination verloren und untermauert auf „Heaven / Hell“ einmal mehr ihre Status. Sie ist gekommen, um zu bleiben. Wir haben deshalb mit AVEC über Himmel oder Hölle, Fluch oder Segen, Generation Maybe oder alte Seelen sowie Attersee oder Traunsee nachgedacht.
Viele Künstler sprechen vom angeblich schwierigen zweiten Album. Wie war’s bei dir und „Heaven / Hell“?
Ich würde hier nicht wirklich von schwierig sprechen, da ich versucht habe, mir nicht all zu viel Druck zu machen. Natürlich hat man immer im Hinterkopf, wie denn das zweite Album ankommen wird, aber ich denke, das Wichtigste ist, dass man selbst damit glücklich und zufrieden ist – und das bin ich, sehr sogar!
Ist ein erfolgreiches, vorangegangenes Debüt in diesem Zusammenhang Fluch oder Segen?
Weder noch. Da man ja stetig versucht sich weiter zu entwickeln und neue Richtungen und Klänge einschlägt. Meiner Meinung nach kann man sich daher nicht auf einem erfolgreichen Debüt ausruhen oder sicher sein, dass auch das Nachfolgewerk das gleiche Ergebnis erzielt, da man keine Vergleiche ziehen kann.
Du fühlst dich heute erwachsener und siehst die Dinge in einem anderen Licht. Worin manifestiert sich das am deutlichsten – beispielsweise im Entstehungsprozess des neuen Albums und/oder grundsätzlich in deiner Arbeit als Künstlerin?
Auf jeden Fall in meiner Arbeit als Künstlerin, im Songwriting-Prozess und auch im Arrangement-Prozess. Ich habe mich auf diesem Album mit vielen verschiedenen Themen befasst. Ich sehe Dinge anders als noch vor zwei Jahren und habe versucht, völlig ehrlich zu mir selber zu sein, nichts zu verstecken und mehr denn je zu reflektieren. Ich würde sagen, dass ich mit diesem Album erwachsen geworden, aber auch gewachsen bin.
Du hast seit deinem Debüt viele Erfahrungen gesammelt. Welche davon gehören in die Kategorie „Heaven“, welche in die Kategorie „Hell“?
Für mich lässt sich das nicht in Kategorien einordnen. „Heaven / Hell“, die beiden Worte, fassen für mich diese Achterbahnfahrt durch das Leben zusammen. Es gibt Phasen, in denen man sich fühlt, als würde man einen Höhenflug Richtung „Heaven“ machen, voller Euphorie und Tatendrang. Doch es gibt auch Zeiten, in denen einfach nichts funktionieren mag und man, ohne es wirklich verstehen zu können, Richtung „Hell“ hinabgleitet.
Glaubst du an so etwas wie „alte Seelen“? Denn obwohl du erst 23 bist, sind deine Texte seit jeher sehr reflektiert, tiefgründig und reif …
Diese Frage bekomme ich tatsächlich sehr oft gestellt. Ja, ich glaube auf jeden Fall an so etwas wie „alte Seelen“ und ich bin auch fast davon überzeugt, dass ich so etwas bin … eine alte Seele – ich fühle mich zumindest sehr oft so. (lacht)
Wir Millennials sind ja angeblich die „Generation Maybe“, die sich nicht festlegt. Was glaubst du, worin liegt unser Problem: Dass wir uns nicht festlegen wollen oder dass wir einfach zu viele Optionen haben und uns deshalb gar nicht festlegen können?
Ich denke, mit diesem „sich nicht festlegen wollen oder können“ wächst auch gleichzeitig eine gewisse eigene Freiheit und eine Art jugendliche Rebellion. Ich kenne das, ich bin auch ein Mensch, der sich nur schwer festlegen will, da es so viele Optionen gibt und mir der Gedanke, sich festzulegen, oft ein mulmiges Gefühl bereitet, fast schon Druck auslöst. Man möchte sich dann doch immer alle Möglichkeiten offen halten, um herauszufinden, welche dann am Ende die beste Option ist.
„Heaven / Hell“ wartet mit einigen Überraschungen auf – natürliche Weiterentwicklung oder ganz bewusstes Setzen von Akzenten?
Mein neues Album „Heaven / Hell“ ist durch rein natürliche Weiterentwicklung gewachsen – das war auch das Ziel. Ich habe an diesem Album über zwei Jahre geschrieben, gearbeitet und oft gedacht, dass ich niemals fertig werden würde. Es war ein ständiges Auf und Ab in meiner Gefühlswelt und auch eine stetige Entwicklung über diesen Zeitraum, die ich oft gar nicht bewusst realisiert habe. Am Ende jedoch kann ich sagen, dass alles, was man auf diesem Album hört und alles, was man wahrnimmt, komplett ehrlich und natürlich im Laufe des Arrangement-Prozesses zuhause und beim Recording in Irland passiert ist.
Dir kommen angeblich viele Songideen, wenn du in Bewegung bist (im Auto, im Zug, etc.). Wie viele On-The-Road-Inspiration steckt im neuen Album? Und muss es dann ganz still um dich sein oder tragen Hintergrundgeräusche (Musik, Menschen, Stimmen, etc.) auch zur Ideenfindung bei?
Genau! Es ist generell so, dass ich sehr viel Inspiration aus der Bewegung schöpfe. Sei es, wenn ich im Auto oder Zug sitze, wenn ich auf Reisen bin, etc. Doch das wirkliche Songwriting – sprich, sich mit Gitarre/Klavier hinsetzen und einen Song kreieren – das passiert erst dann, wenn ich komplett alleine, in Stille bin. Da brauche ich wirklich meinen Freiraum und muss für mich sein. Inspiration finde ich aber natürlich auch in Musik, Menschen, in tiefgründigen Gesprächen, etc.
Liebe ist …?
… oft viel zu kompliziert.
Wo kannst du persönlich am besten tief durchatmen und abschalten?
In der Natur – am liebsten in Irland, wo auch die Temperatur stimmt und es nicht zu heiß ist. (lacht)
Kannst du gut allein sein?
Ich liebe es, alleine zu sein. Da liegt der Ursprung all meiner Songs und meiner Gedanken, welche ich dann zu Papier bringe. Dazu muss ich alleine sein und das kann ich zum Glück auch sehr gut. Ich bin ein Mensch, der sehr viel Freiraum und sehr viel Zeit für sich braucht.
Du gehst ab Oktober auf Albumrelease-Tour. Bist du noch nervös, wenn du neue Songs zum ersten Mal live spielst?
Ich bin immer nervös, bevor ich auf die Bühne gehe. Das gehört einfach dazu.
Zum Schluss: Attersee, Mondsee oder Traunsee?
Natürlich der Attersee!