Herz über Kopf
Joris im Interview
Wenn hoffnungslos das Gegenteil von hoffnungsvoll ist und man zwischen Herz oder Kopf wählen muss, dann liegt Joris mit seiner Musik irgendwo dazwischen. Unvereinbare Gegensätze erscheinen wie die natürlichsten Symbiosen, wenn der 25-Jährige mit den Füßen am Boden und dem Kopf in den Wolken beginnt seine Geschichten zu erzählen. Sein Debüt ‚Hoffnungslos Hoffnungsvoll‘ verzaubert mit anspruchsvollen Melodien, seiner unverkennbaren Stimme und viel Talent für ausdrucksstarkes Songwriting. Er selbst wirkt im Interview mit VOLUME ebenso bescheiden wie überwältig, als er uns erklärt, warum er dafür völlig auf digitalen Sound verzichtet hat, wann er Herz- und wann Kopfmensch ist und wieso Platte Nummer 2 noch Zeit hat – frei nach seinem Motto: Wenn’s am schönsten ist und du nichts mehr vermisst, dann mach die Augen auf!
Du hast relativ lange an deinem Debüt ‚Hoffnungslos Hoffnungsvoll‘ getüftelt…
Ja, stimmt! (lacht) Ich mache mittlerweile schon seit fast 20 Jahren Musik und habe vier Jahre an diesem Album geschrieben.
Dann gingen noch einmal anderthalb Jahre im Studio drauf. Das Spannende war, dass sich früher niemand wirklich für meine Musik interessiert hat…oder um es positiv auszudrucken: Ich hatte sehr, sehr viel Zeit, mich mit mir selbst und dem Sound zu beschäftigen. (lacht) Seit dem Release ist aber alles ganz anders. Es sind so dreimonatige Etappen und dann verändert sich mein Leben wieder komplett: Promotouren, Konzerttouren, Festivals und so weiter. Immer spannend, immer anders und immer wieder neu.
Wieso hast du bei der Arbeit am Album völlig auf digitalen Sound verzichtet?
Alle Musiker, die wirklich mit Herz und Seele Musik machen, haben natürlich nostalgische Gefühle in Bezug auf analogen Sound. All die großen Künstler von früher haben analog aufgenommen und auf Band klingt vieles tatsächlich anders. Dafür hatte ich jetzt zwar kein Geld, aber vielleicht in der Zukunft. (lacht) Wir haben aber wirklich nur Instrumente aufgenommen, die wir spielen. Das ist für mich einfach eine philosophische Grundsatzentscheidung. Am Computer geht natürlich alles sehr viel schneller, aber es klingt für mich ein bisschen…das Wort ‚toter‘ gibt es nicht, oder? (lacht) Sagen wir, es klingt nicht ganz so lebendig.
Verstanden. Was steckt hinter dem Titel?
Der Name der Platte war für mich nie Priorität Nummer 1, zuerst kommt immer die Musik. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass alle Texte und Songtitel viele Gegensätze beinhalten und sehr ambivalent sind. So bin ich ja auch! (lacht) Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, was ‚Hoffnungslos Hoffnungsvoll‘ für mich selbst bedeutet. Natürlich steckt das Wort hoffnungslos auch mit drinnen, aber Traurigkeit und Melancholie gehören zu jedem Leben – auch zu meinem. Insgesamt ist doch alles hoffnungslos hoffnungsvoll – sprich, unglaublich hoffnungsvoll! Mir ist es auf jeden Fall wichtig, mir in jedem Song diesen gewissen Funken Hoffnung zu bewahren.
Im gleichnamigen Song sollte es eigentlich ganz dreckig um Sex gehen. Wie kommt’s, dass die Nummer dann doch unschuldiger geworden ist?
Diese Anekdote habe ich mal so erzählt. (lacht) Wenn ich ehrlich bin, sollte es aber kein reiner Sex-Song werden. Es geht mehr um dieses Gefühl des Frischverliebt-Seins. Wenn alles zum ersten Mal passiert. Man zweifelt ein bisschen, aber gleichzeitig ist es viel zu spannend, als dass man wegen irgendwelchen Kleinigkeiten wieder aufhören würde. Wir haben uns gedacht, so eine Bettszene muss deshalb mit drinnen sein. Als wir uns den Song dann zwei Wochen später noch einmal angehört haben, lagen wir lachend auf dem Boden. Es war nicht so dreckig, wie wir gedacht haben. (lacht)
Bist du mehr Herz- oder Kopfmensch?
Das kommt ganz auf die Situation drauf an. Wenn ich mir ein T-Shirt kaufe, dann bin ich Kopfmensch und würde mir zum Beispiel nie ein Shirt bei Primark kaufen. So eine Billigkette möchte ich nämlich nicht unterstützen. In allen emotionalen Belangen bin ich aber definitiv Herzmensch. Das fängt an bei der Pizza, die ich mir nachts noch reinpfeiffe ohne dran zu denken, ob das jetzt gesund ist oder nicht. (lacht) Bis hin zu dem, was jetzt gerade in meinem Leben passiert. Natürlich leiden da manchmal andere Dinge drunter, aber es ist das, was ich gerade möchte, deswegen höre ich auf mein Herz.
Sind Herzentscheidungen dann die besseren?
Nicht unbedingt. Wenn du morgens in einem fremden Bett aufwachst, dann wäre es vielleicht doch besser gewesen, den Kopf einzuschalten. (lacht)
Wieso singst du auf Deutsch?
Ich habe mein ganzes Leben lang immer englische Musik geschrieben und gehört. Sie hat irgendwie etwas Entspannendes. Emotional spricht nämlich die Musik viel mehr als der Text. Auf Deutsch zählt das, was auf der Hand liegt. Ich habe mich erst vor vier Jahren getraut, auf Deutsch zu schreiben. Es gibt mir eine unglaubliche Energie, weil man eben jedes Wort verstehen kann und dadurch zusätzlich eine Ebene mehr bekommt. Wenn ich bei Konzerten ‚Schneckenhaus‘ spiele, ist es mucksmäuschenstill – jeder hört zu. Da herrscht eine ungeheure Energie, die ohne deutsche Texte für mich vermutlich nicht so stark da sein würde. Ich bin damit sehr glücklich und werde davon so schnell nicht ablassen. (lacht)
Du singst, spielst Gitarre, Klavier und Schlagzeug, schreibst deine Texte, komponierst und produziert – was davon machst du am liebsten?
Dass ich irgendwie alles mache, sagt schon sehr viel über mich aus. (lacht) Ich weiß, was ich möchte und man kann seine eigenen Ideen natürlich immer am besten wiedergeben. Es ist unglaublich wertvoll im Studio, wenn man intuitiv arbeiten kann. Das ist total schön! Was ich davon am liebsten mache, kann ich gar nicht so genau sagen. Im Moment stehe ich am liebsten auf der Bühne. Ich bin jemand, der immer zu 100% das machen möchte, was er gerade macht. Ich konzentriere mich dann ganz auf das und genieße es. Man muss sich im Leben einfach im Moment fallen lassen können, um wirklich alles aufzusaugen.
Du hast also auch keinen Stress, möglichst bald Platte Nummer 2 zu liefern…
Nein. (lacht) Diesen Stress mache ich mir nicht! Ich habe genügend Songs, um eineinhalb Stunden ein gutes Konzert spielen zu können. Wenn das nicht möglich wäre, wäre ich vermutlich nicht so entspannt. Für mich ist es nämlich unglaublich wichtig, den Leuten wirklich eine gute Show bieten zu können. Aber das können wir, dementsprechend genieße ich jetzt einfach, dass zwischen 5 und 40 000 Leute vor der Bühne stehen. Das ist wie eine Droge. (lacht) Die Leute können mitsingen, vor allem bei ‚Herz über Kopf‘. Für mich als kleiner Mensch vom Dorf ist das ein total intensives Gefühl. Ich genieße das. Das nächste Album kann noch warten. (lacht)
Deine große ‚Hoffnungslos Hoffnungsvoll Tour‘ startet demnächst. Na, schon nervös?
Ich habe schon immer viel live gespielt. Bei den Konzerten waren damals natürlich hauptsächlich meine besten Freunde und Bekannte. Das waren vielleicht so 10 bis 50 Personen, wenn es hoch kommt einmal 100. (lacht) Die Clubtour im Frühjahr war dann auf einmal ausverkauft. Das war echt krass! Es ist etwas komplett anderes, wenn so viele Leute kommen und nicht nur deine Freunde da stehen. Diese Herbsttour ist für unsere Verhältnisse echt groß! Ich freu micht total, bin aber auch ein bisschen aufgregt. Aber wenn ich etwas gelernt habe, dann ist es, dass ich einfach auf mich selbst und meine Band vertraue. Ich denke, das wollen die Leute auch. Die wollen nichts komplett durchgestyltes, sondern ehrliche Musik – und das ist das, was mich ausmacht.
Vielen Dank! Wir sehen uns am 6. Oktober in Wien!