'Geh, wohin du willst, du Song' - Wallis Bird im Interview
Noch vor ein paar Jahren war sie unser „irischer Zuckerwürfel“ – das kleine Mädl von der grünen Insel mit den fehlenden Fingern und der Janis-Joplin-Stimme, das jede Bühne so bespielt, wie wenn es um ihr Leben ginge. Mit ihrem selbstbetitelten dritten Album geht’s nun auf einmal auch in den Charts los. Nach der Finger-Sache fragt heute nur mehr der Boulevard, und Janis Joplin ist seit 42 Jahren tot. VOLUME war mit Wallis Bird lang im Hotelzimmer. Und hat eine nachdenkliche Frau angetroffen.
(Interview: Christoph Löger)
VOLUME: Hi Wallis. Weißt du, was mir wirklich weh tut?
Wallis Bird: (lacht) Ahm, nein?
Ich war damals bei deinem Konzert im Wiener B72 (September 2009, Anm.) nicht dabei. Man hört, das wäre legendär gewesen. Überfüllt, Schweiß und du in Höchstform …
Oh mein Gott, ja. Das werde ich wirklich nie vergessen. Wir hatten ja vorher keine Ahnung. Es war unbeschreiblich heiß, niemand hat uns gesagt, wieviel Menschen dort sein werden. Und dann war es auf einmal so voll in diesem kleinen Raum. Alle fünf Minuten rumpelte die U-Bahn über meinen Kopf, Wahnsinn. Definitiv einer meiner intensivsten Gigs.
Bei unserem ersten Interview vor vielen, vielen, vielen Jahren …
(lacht) Wir werden gemeinsam alt, hm?
… hast du mir über deine Jugend erzählt, in der du in schmuddeligen Dubliner Pubs begonnen hast, allein zu spielen und die Männer ständig „Show us your tits!“ geschrien haben. Ganz ehrlich: Vermisst du die Zeit manchmal?
Nein, die vermiss ich nicht. Ich hab sie ja noch (lacht). Wenn ich nicht gerade auf großen Bühnen stehe, bin ich ja noch immer in diesen Pubs und hab meine Gitarre mit. Ich spiele auf Parties von Freunden und hab einfach Spaß dabei. Ich werde mich nie daran gewöhnen und will es auch nicht, dass ich nur vor Wallis-Publikum spiele. Keep yourself fresh and don’t ever think that the sun shines out of your arse, weißt du? Das ist gut so.
Trotzdem wird dein Publikum von Jahr zu Jahr größer. Wo glaubst du, ist der schmale Grat zwischen einem intimen Wallis-Bird-Konzert und einem Festival-Slot, wo ein Großteil der Leute nicht wegen dir da ist? Ist das dann trotzdem ein echter Wallis-Bird-Gig? Ändert sich da deine Bühnen-Persönlichkeit?
Schwieriges Thema. Ich hasse es, wenn ich während des Konzerts auf mein
Publikum böse werde. Wenn es zum Beispiel zu laut, zu leise oder einfach nur zu intensiv wird. Da können die Leute gar nix dafür, da spielen Umstände mit, die ich auf der Bühne gar nicht mitbekomme. Das kann ich auch gar nicht ändern und ich versuche, sie es nicht spüren zu lassen, wenn ich grantig werde. Ich kann es nicht besser erklären als dass ich am liebsten einen sehr natürlichen, intimen Abend habe, wo das Publikum und ich uns gegenseitig respektieren. Wenn man Respekt schenkt, bekommt man auch Respekt zurück, das ist wie im Alltagsleben. Es gibt während eines Gigs aber immer diesen einen Moment: Irgendwann begine ich, im Adrenalin-Rausch die Leute zu kontrollieren und mit ihnen heftig zu interagieren. Ab dann passiert der „Craic“ (Irisch für „ziemlich heftige Gaudi“, Anm.), und dann läuft es manchmal aus dem Ruder. Wird’s dann respektlos, kann ich aber kontern (lacht). Am Ende des Tages wollen die Songs gesungen werden und die Leute haben für ihr Ticket bezahlt, also haben sie ein verdammtes Recht auf eine nette Zeit. Ich kann nicht ein ganzes Konzert lang das beleidigte Arschloch spielen, wenn mir was nicht passt. Und weißt du was? Ich bin ziemlich dankbar, dass das sehr selten passiert. Und wenn doch, hält es mich frisch. (lacht)
Kannst du dir vorstellen, ein 50.000er-Festival zu headlinen?
Haha, hab ich schon. Karlsruhe “Das Fest” vor drei Jahren. Es waren aber nur 30.000 Leute da (lacht). Und es war mir nicht einmal bewusst, stell dir vor. Man nimmt bei sowas von der Bühne ja das Publikum nicht wahr, nur die Landschaft im Hintergrund …
… und die ersten zehn Reihen, oder?
Nicht einmal die sieht man bewusst. Man blickt nur in ein riesiges Feld von anonymen Köpfen, die als Masse hin- und herwogen. Ich weiß nicht, wie es anderen Künstlern dabei geht, aber ich sehe die Menschen gar nicht, sondern spüre sie nur. Eine meiner Grundregeln bei Konzerten ist, dass ich jedesmal für eine einzige fiktive Person im Publikum spiele. Wenn ich die nicht erreiche, brauche ich für die anderen x-tausend auch nicht spielen. Willst du ein Wallis-Geheimnis hören?
Yes but no but yes but …
(lacht) Ich hab einmal ein Konzert für einen einzelnen Menschen gespielt. Es war während der „New Boots“-Tour (zweites Album 2009, Anm.) in London …
Da warst du auf der Insel doch schon relativ bekannt?
… Ja, eben (lacht). Unser damaliger Promoter hatte damals die grandiose Idee, dass ich mit dem neuen Album untertags kleine Konzerte geben sollte. In alternativen Schuh-Geschäften. Schon klar, oder? “New Boots” und Schuhgeschäft. Und ich hab gesagt “Ja, lustige Idee, whatever”. Es sind eigentlich auch alle Mini-Gigs bis dahin gut gelaufen, es war immer ziemlich voll. Bis auf diesen einen Tag. Werktag, Mittagszeit, London war busy. Ich sitze dort in dem Geschäft auf meinem kleinen Stuhl, warte auf den Beginn, und da kommt nur dieser eine Mann herein, setzt sich hin und sieht mich erwartungsvoll an. Er hat mir so leid getan, ehrlich. Ich hab mich dann auf dem Boden auf einen Polster vor ihn gesetzt, noch einen Polster neben mich gelegt, auf dem ich mein Bier abgestellt habe. Er hat wortlos mein Bier und gleich einen Schluck davon genommen. Dann kam niemand mehr.
Klingt nach etwas, für das eingefleischte Fans eine Menge Geld zahlen würden. Was hast du gemacht?
Wirklich, er tat mir irrsinnig leid. Mir selbst war es aber nicht peinlich, dass
sonst niemand gekommen ist. Das Leben ist spannend, und manchmal läuft es komplett anders als erwartet. Leben halt, oder? Und dann hab ich für ihn gespielt.
Du kannst einen Schalter umlegen und nur für eine Person die Energie eines Wallis-Konzerts umsetzen? Das wäre ja, wie wenn du für mich allein da jetzt im Hotelzimmer spielen würdest?
Kein Problem. Machen wir später (lacht). Mir macht sowas wirklich nichts aus. Das ist nur eine Frage der richtigen Mischung aus Intro- und Extrovertiertheit. Ich hätte mich entweder hinsetzen können und peinlich berührt sein, weil niemand kam. Oder ich hätte mir bewusst machen können, dass dieser eine Mensch nur kam, um mich zu hören. Und das hab ich gemacht. Er hat halt die introvertierte, ruhige Wallis erlebt. Also mehr oder weniger mich allein beim Proben. Wenn das Konzert im B72 eins meiner bisher intensivsten mit Publikum war, war diese Stunde mit dem armen Mann sicherlich mein extremstes.
Immer, wenn ich dich treffe, strahlst du im Zwiegespräch eine unfassbare Ruhe aus. Wer dich jemals auf der Bühne gesehen hat, weiß wohl anderes zu berichten. Warst Du als Kind ein Wirbelwind oder scheue Einzelgängerin?
Ich glaube, ich war beides gleichzeitig. Und ich weiß heute, dass ich als erwachsene Frau noch immer beides bin. Meine Eltern sagen, dass ich einerseits ziemlich verrückt war und dann wieder still in meinem Zimmer verschwunden bin und sie mich belauscht haben, wie ich einfach zwei Tage lang darin verbracht und mit mir allein laut gelacht hab. Danach bin ich rausgekommen und hab gemeint „Hi, I’m back! Woohoo!“. Ich bin Nummer sechs von sieben Geschwistern. Ich nehme an, daher kommt meine Art, als körperlich kleiner Mensch ständig die Stimme zu verwenden, um sich Gehör zu verschaffen. Meine Kindheit war ein permanenter Wettbewerb. Wer ist laut genug, um sich durchzusetzen und die meiste Liebe zu bekommen? (lacht) Und wer ist leise genug, um im Trubel einer Großfamilie genug Ruhe zu bekommen, um mit den eigenen Gedanken aufwachsen zu können? Ruhe zu bekommen, während dein Bruder versucht, mit einem Kugelschreiber dein Auge auszustechen (lacht).
Das schwierige dritte Album …
Glaubst du wirklich an dieses Mysterium?
Ja, weil ich Beatles-Fan bin. „A Hard Days Night“ (das dritte Beatles-Album, Anm.) war nicht von Anfang an ein Erfolg. Aber lass uns über deinen selbstbetitelten Drittling sprechen. Was steckt hinter dem kindlich-naiven „Heartbeating City“, das einen erst nach mehrmaligem Anhören erwischt?
(grinst) Es hat eigentlich nur mit einem Beat begonnen (fängt an, auf den Tisch zu klopfen). Dann wurde daraus eine Multi-Session mit ganz vielen Leuten, die zufällig bei mir in der Wohnung vorbeikamen. Und dann haben wir den Song einfach passieren lassen. Im Sinne von „Geh hin, wo du hin willst, du Song. Fuck knows where you go!“ (lacht). Es geht um die Großstadt. Und das Leben in der Großstadt ist so ungeplant wie dieser Song entstanden ist. Zum Mond und zurück? Natürlich, alles ist möglich, alles kann passieren.
„In Dictum“ ist wohl die schönste Nummer, die du bisher geschrieben hast. Die Zeile „The more you hold on to me the less you can have of me“ lässt vermuten, dass der Song ziemlich persönlich ist.
(denkt lange nach) Jemand, der so persönlich von sich selbst erzählt wie ich
(rezitiert leise flüsternd “I’ve been battered and bruised and I’ve lived life and I’ve come out the other end, fuck“). Ich bin 29 Jahre alt, verdammt. Wieviel kann ich schon erlebt haben? Ein vierjähriges Kind kann auch schon ziemlich viel durchgemacht haben, oder? Es geht in der Nummer um eine Zeitspanne meines Lebens, in der es mir von außen gesehen eigentlich am allerbesten ging. The most secure, comforting and sweet time of my life. And I hated it. Ich war auf einmal in einer Situation, in der sich vielleicht viele Hausfrauen befinden: Alles passt, aber man fühlt sich trotzdem nicht wohl in diesem All-inclusive-Käfig. Es fehlt was. Auf einmal war da rund um mich dieser Luxus und gleichzeitig eine zermürbende Einfacheit. Ich weiß es ja selber nicht. Da ist ein Liebe/Hass-Ding in meinem Kopf. Die Lyrics zu „In Dictum“ machen mir eigentlich Angst. Ich habe in dieser Zeit alle Menschen rund um mich aus irgendeinem Grund weggestoßen. Lasst mich allein, ich will euch nicht, ich brauch euch nicht. Während ich das getan hab, hab ich aber tief in meinem Herzen gewusst, dass ich ohne diese Menschen nicht kann. Ich bin, auf mich allein gestellt, ziemlich nutzlos. Immer schon. Ich brauche zum Leben eine Beziehung, ich brauche viele Freunde um mich. Im Prinzip bin ich ein verwöhntes Mädchen. „In Dictum“ soll mir selber sagen: „Werd erwachsen, Wallis. Nicht jeder hat es so leicht wie du.“
Bist du erwachsener geworden in den letzten Jahren?
Ich glaube, schon. Zumindest war’s nicht umgekehrt. Ja, ich bin erwachsener geworden.
Hast du was an dir geändert?
Ja. Ich hab mir einen virtuellen Spiegel vor dieses Gesicht gestellt, dass sich jeden Morgen erzählt hat, wie toll es nicht ist. Mein Selbstbewusstsein hatte ein Level erreicht, wo nach oben nur mehr wenig Platz war. Ich habe eine andere Person in diesem Spiegel getroffen. Die hat mir gesagt: „Du bist so ein Ego, obwohl du allen erzählst, wie lieb du alle hast. Aber im Prinzip bist du ein Arschloch.“
Du hast also „Ms. Rockstar Wallis Bird“ im Spiegel kennen gelernt …
(seufzt) Ohhh, ja!
Du bist seit Beginn deiner Karriere ein Liebling der Musikpresse-Kritiker. In Zeiten wie diesen verkauft man dadurch trotzdem nicht mehr Alben. Macht einen das grantig?
Es gibt soviele Musiker-Kollegen in meiner Position. Und wir alle versuchen es einfach nur. Wir versuchen, nicht mehr. Es ist heutzutage wirklich teuer, ein Album zu produzieren. Nicht nur die Finanzen, sondern es geht in erster Linie um Zeit und viel Energie von Menschen. Bei meinem neuen Album haben wir viel von den Schwierigkeiten einfach umgangen: Wir haben den Großteil daheim bei mir aufgenommen, haben nach Gehör im Proberaum gespielt. Es war zwar knapp, aber nicht so, dass die finanziellen Ressourcen nicht gereicht hätten. So wie’s halt jeder gerade macht: Die Hauptarbeit passiert im Do-it-yourself-Verfahren. Was mich wirklich aufregt … Soviele meiner Freunde sind grenzgeniale Musiker. Und wenn man denen nur eine kleine Chance geben würde, glaub mir, nur einer deren Songs könnte die ganze Welt verändern. Freunde von mir sind zum Beispiel nach West-England gefahren, um sich dort in 24-Stunden-Sessions als Straßenmusiker die 1000 Pfund zu verdienen, die es kostet, ein Album aufzunehmen. Und dieses Album wird Wahnsinn, du wirst davon hören. Darum geht es heute, it’s all about living as a modern-day-creative-and-trying-to-get-through.
Wie wär’s denn, wenn du am 10. Juli auf der wunderschönen Burg Clam in Oberösterreich Beth Ditto und ihre Gossips unterstützen würdest?
Mach ich, natürlich. Sláinte!