Einmal Freak, immer Freak
Ferris MC im Interview
Sascha Reimann alias Ferris MC gehörte in den Neunzigern zu den großen Stars und Ausnahmetalenten der deutschen Sprechgesangsszene, das ‚Reimemonster‘ bringt heute noch die ganze Tanzfläche zum kollektiven Ausrasten. Nach verballerten Zeiten zwischen Genie und Wahnsinn hat der Musiker seine innere Mitte gefunden. Als Familienmitglied von Deichkind sorgt er für Remmidemmi, unter dem Pseudonym Elektro Ferris knallt er mit Techno, House und anderen elektronischen Böllern durch die Gegend bzw. Clubs. Jetzt meldet sich Ferris MC nach zehnjähriger Veröffentlichungsabstinenz mit einem neuen Soloalbum zurück. Einmal Freak, immer Freak? Mit absoluter Sicherheit und Glück ohne Scherben…
Wie definiert Ferris MC für sich persönlich das Wort bzw. das Gefühl von Glück?
Glück ist die Ehe mit meiner Frau, beim Essen nicht aufs Geld schauen muss und ein finanziell unabhängiges, sicheres Leben führen zu können – was jetzt aber nicht bedeutet, dass ich reich bin und im Geld schwimme. Luxus ist mir egal, es sind die kleinen Dinge im Leben, die wahres Glück bringen. Klingt schmalzig, ist aber am Ende so.
Nachdem du die Frage schon häufiger beantworten durftest, kannst du uns auch bitte kurz erzählen, was hinter dem Albumtitel ‚Glück ohne Scherben‘ steckt?
Früher sind viele meiner Songs aus emotionalen Scherben entstanden. Was das bedeutet? Ich habe schlechte Lebenserfahrungen in meiner Musik verarbeitet, mit denen ich dann kommerzielle Erfolge feiern durfte – in Summe alles eine sehr glückliche Fügung! Heute kann ich Musik schreiben, die auf Glück basiert. Das will ich mit diesem Albumtitel ausdrücken.
Klingt nach einer gereiften Erkenntnis aus einem bewegten Leben.
Stimmt, mit 41 Jahren hält sich die Bereitschaft in Grenzen, nach jedem Höhenflug wieder auf dem harten Boden der Realität zu landen. Ich muss nicht mehr so hoch und weit fliegen wie früher, dementsprechend kann der Absturz auch nicht mehr so schmerzen. Logisch oder? Jeder Mensch braucht unterschiedlich lang, bis er oder sie das versteht – wenn diese Erkenntnis überhaupt einsetzt. Was mir dabei geholfen hat: Ich nehme schon lange keine harten Drogen mehr, auch das Kiffen habe ich irgendwann aufgehört. Weil es diese Unzufriedenheit zwischen hui und pfui nur verstärkt statt ausgleicht.
Was bringt dich nach zehn Jahren Solopause wieder dazu, alleine aufzunehmen? Steckt mehr hinter dieser Veröffentlichung als auf dem ersten Blick?
Kein Grund für Spekulationen oder Ähnliches: Ich liebe meine Familie Deichkind, darum ist es für mich auch vollkommen in Ordnung, dass es dort textlich und musikalisch in eine gemeinsame Richtung geht. Das Auflegen als Electro Ferris hat mir auch meistens sehr viel Spaß gemacht – nur ist das kein sehr kreativer Prozess, Sound von anderen DJs zu spielen. Es hat sich einfach richtig angefühlt, jetzt wieder etwas Eigenes zu schaffen und mein Inneres auszuleben. Da war auch kein Label, das mich dazu genötigt hat, wieder etwas zu veröffentlichen. Zuerst war das Material komplett fertig, dann kam die Entscheidung, wo und bei wem die Veröffentlichung stattfindet.
Siehe Pressetext: Woher stammt die Bezeichnung Brachial-Pop für deine Musik?
Das war nicht ich, ein Kumpel von mir hat meinen Sound so beschrieben. Das fand ich witzig! Aber es trifft das Ganze nicht hundertprozentig, denn ich serviere ein Potpourri aus verschiedensten Musikrichtungen. Pop ist da auch mit dabei – aber handgemacht, nicht synthetisch. Punk, Rock, Rap und ein wenig Elektro gibt es ebenfalls zu hören.
Wie schwer ist es dir organisatorisch gefallen, dein neues Album auf den Boden zu bringen? Neben Deichkind, Elektro Ferris, Verpflichtungen als Ehemann und Ambitionen als Schauspieler…
‚Glück ohne Scherben‘ ist teilweise parallel zu anderen Projekten entstanden. Das ist kein Geheimnis! ‚Niveau Weshalb Warum‘, das aktuelle Album von Deichkind, stammt zum Beispiel aus der gleichen Zeit. Dazu habe ich verschiedenste Auftritte vor der Kamera absolviert – zusammen mit Eko Fresh und weiteren lustigen Kollegen spiele ich in der Sitcom ‚Blockbustaz‘, die bald auf ZDFneo in Serie geht. Im Herbst wird eine TV-Produktion ausgestrahlt, in der ich zu sehen und auch musikalisch zu hören sein werde. Der Film ‚Taxi‘ mit Peter Dinklage, dem Kleinwüchsigen aus ‚Game of Thrones‘, kommt im August in die Kinos. Dort habe ich eine kleine Nebenrolle. Es ist sich alles ausgegangen, viel Zeit für die Couch ist da aber nicht geblieben. Auch meine Frau hat sich hin und wieder über mein Arbeitspensum beschwert. Aber sie versteht und unterstützt mich dabei, denn nach so stressigen Phasen gibt’s dann auch immer wieder Zeiten, in denen ich einfach gar nichts mache und mein Leben frei genießen kann. Das sind die Vorteile gegenüber einem klassischen Angestelltenverhältnis – das ich aus meiner Zeit als KFZ-Lehrling noch kenne und mir nicht vorstellen kann, jemals wieder in einem so vorgegebenen System arbeiten zu können.
Bringst du Solokarriere und deine Familie Deichkind unter einen Hut?
Bis jetzt funktioniert beides ohne Probleme. Über die Sommermonate bin ich mit Deichkind unterwegs, kommenden November und Dezember plane ich für meine Solotournee. Dazwischen werde ich punktuell – zum Beispiel am Veröffentlichungstermin meiner neuen Platte – Konzerte als Ferris MC geben. Dabei erwarte ich mir nicht, dass die Hallen dabei so groß sind wie bei den Shows von Deichkind.
Verfolgst du die Entwicklungen im deutschsprachigen Rapgeschäft?
Natürlich! Ich weiß auch, wer mich disst und über Ferris MC lästert.
Woher willst du das wissen?
Von RapUpdate, der Bild Zeitung für Hip-Hop-Musik. Aber mich tangiert der ganze Blödsinn nicht wirklich, mir geht’s um Musik und nicht um persönliche Befindlichkeiten.
Und was sagt eine Ikone wie Ferris MC zum gegenwärtigen Sound im Rapgeschäft?
Ich will mich hier nicht als Richter über Gut und Böse bzw. Schlecht aufspielen, als Ikone schon gar nicht. Es gibt viele Produktionen, die mir gefallen. Okay! Dann ist aber auch genügend Zeug dabei, das komplett beliebig und austauschbar klingt. Auch die meisten Street Rapper erzählen immer wieder den gleichen Mist: Pumpen, Drogen, Frauen, Mutterficken? Langweilig!
Aber den Kids scheint es zu gefallen.
Natürlich gefällt es denen – auch deswegen, weil die Auswahl bzw. das qualitative Angebot immer bescheidener wird. Zum Kotzen…
Wird sich das am 29. Mai mit ‚Glück ohne Scherben‘ wieder ändern?
Keine Ahnung, ich bin kein Hellseher. Fakt ist, dass ich mich nicht auf meinen Erfolgen aus der Vergangenheit ausruhen darf und für den Erfolg des neuen Albums noch hart arbeiten muss. Ende des Jahres, also nach der anstehenden Tour, weiß ich dann, ob mein Comeback und der dazugehörige Sound jemanden da draußen interessiert.
Einmal Freak, immer Freak! Oder?
Was ist das für eine Frage? Selbstverständlich! Meine Freakiness lässt sich alleine von der Optik her nicht abstreiten…