Die Erwartungshaltung ist eine Krätze
Bosse im Interview
2013 war Axel Bosses erfolgreichstes Jahr überhaupt: Goldene Schallplatte für das Album ‚Kraniche‘, erster Platz beim Bundesvision Songcontest, zwei wichtige Musikpreise und eine ausverkaufte Tour im Anschluss. Boom! Was folgt nach dem großen Durchbruch? Hat man nach sechs Alben überhaupt noch etwas zu sagen? Ja, zum Beispiel wie man glücklich und zufrieden älter wird. ‚Engtanz‘ strahlt mit Authentizität und Natürlichkeit. Weder möchte es stilistisch zwingend neu und anders klingen, noch hat Axel Bosse seine funkensprühende Kreativität über Bord geworfen. Mit VOLUME hat er über ein Steinhaus in Mittelitalien, verflossene Liebe und seinen richtigen Spitznamen gesprochen.
Axel, warum nennt dich jeder Aki?
Ganz einfach: Bei meiner Geburt hat mich meine Mutter so genannt. Seitdem müssen mich alle Freunde und Bekannte so rufen – sonst bekommen sie Ärger mit meiner Mama. (lacht)
Tanzen junge Leute heutzutage noch im Engtanz miteinander?
Es beginnt wieder! In Hamburg organisiert man wieder solche speziellen Tanzabende. Kürzlich war ich in einem Restaurant, um halb zwei, alle waren schon etwas betrunken vom Wein, hat der Koch die Tische zur Seite gestellt und man(n) bzw. frau lag sich in den Armen.
Hat dieser Abend etwas mit deiner neuen Platte zu tun?
Im weiteren Sinne: ‚Engtanz‘ soll nahe gehen und doch energetisch und tanzbar bleiben.
2013 war dein erfolgreichstes Jahr überhaupt. Kannst du das toppen?
Axel Bosse: Die Erwartungshaltung ist eine Krätze. Ich will nicht Musik machen, um den drei wichtigsten Szenejournalisten im deutschsprachigen Raum zu gefallen. Klar haben meine Plattenfirma, mein Management und meine Fans eine gewisse Erwartungshaltung. Aber am Ende sitze ich alleine mit einem leeren Blatt Papier und einer Gitarre da und sage: ‚Fuck it!‘. Ich möchte Sachen machen, die ich selbst gut finde und die aus mir herauskommen. Mein Traum war es immer, Musik zu machen, bis ich irgendwann alt bin und mir das Raucherbein abfällt.
Das neue Album hast du wieder mit Philipp Steinke aufgenommen, der auch mit Boy produziert hat. Wie seid ihr vorgegangen?
Philipp ist mein engster Mann. Das Album wurde über zweieinhalb Jahre gestückelt produziert. Ich wollte nämlich vermeiden, auf Tour zu schreiben. Immer wenn ich ein neues Demo hatte, rief ich Philipp an. In der Endphase sind wir nach Umbrien gefahren, wo wir uns zwei Wochen in einem alten Steinhaus zurückgezogen haben.
Bella Italia! Klingt nach Urlaub …
An keinem Ort bin ich so produktiv wie dort! In Umbrien schaffe ich in zwei Wochen so viel wie in Hamburg in drei Monaten. Zu Hause bin ich ständig abgelenkt. Mal ruft wer an, mal muss ich einkaufen gehen.
Wie schaltet ihr ab?
Man ist automatisch weniger auf Facebook. Wenn ich mitten in der Natur bin, möchte ich nicht wissen, was mein Kumpel in Hannover gerade macht. Wir haben nicht viel bis auf die Natur, gutes Essen und unsere Musik. Wir stehen um acht auf und beginnen gleich mit den Arrangements. Philipp spielt am Klavier oder Schlagzeug. In den Pausen sitze ich auf der Terrasse, rauche und freue mich über die Aussicht.
Du singst, dass deine Jugend vorbei ist. „Kipp’ mir Cola in den Wein“ oder „Dönerreste im Haar“- das klingt aber doch ein bisschen nostalgisch oder?
Ganz im Gegenteil. Ich habe zwar Familie aber das bedeutet nicht, dass ich in manchen Nächten nicht durchfeiern kann. Ich hätte dieses Album mit Zwanzig nicht schreiben können, weil es darum geht, dass man einen festen Boden hat. Das Album ist nicht eifersüchtig auf die Zeit, die ich damals in WGs verbracht habe, höchstens auf den Körper oder die Ausdauer, die ich damals hatte, als ich „3 Millionen“ geschrieben habe. (lacht) In „Blicke“ geht es darum, jemanden zu treffen, mit dem man mal was hatte? Den Moment kennt doch jeder oder? Man trifft seinen Ex bzw. seine Ex und denkt nach vier Gläsern Wein: „Hätten wir uns damals aufeinander eingelassen, wäre das jetzt auch in Ordnung.“ Im Song geht es um dieses Dilemma, das ich von vielen meiner Freunde kenne.
Und? Geht man mit ihm oder ihr am Ende wieder nach Hause?
Ich erzähle die Geschichten nie bis ganz zu Ende. Aber in meinem Kopf schafft man es weiter befreundet und trotzdem glücklich zu sein, dass man getrennte Wege gegangen ist. Die meisten meiner Hörer scheinen in den Songs sich selbst zu sehen und spinnen damit ihre eigene Version.
So wie in der Single „Steine“ – es geht darum zu verarbeiten, statt zu verdrängen.
Das ist das Herz des Songs, ja. Man kann nicht glücklich sein, wenn man zwischen den Stühlen steht. Aber auch wenn man Sachen unausgesprochen lässt und zu viel mit sich rumträgt. Es reicht nicht aus, zu sagen: ‚In Thailand scheint die Sonne! Ich fahre drei Wochen hin und dann sind all meine Probleme erledigt.‘
Du fährst lieber nach Wien. Was verbindest du mit der Stadt?
Axel Bosse: Feiern! Ich trinke nirgends so lange und so viel wie in Wien.